Süddeutsche Zeitung

Ford Escort RS Cosworth:Nur im Dunkel der Nacht

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Imposante Fahrleistungen, aber eine seltsame Karosserie

(SZ vom 30.05.1992) Es gibt Autos, die man tagsüber lieber in der Garage gefangen hält, um sie besser nur im Schutz der Dunkelheit auf die Umwelt loszulassen. Dieser Geflügel- Ford zählt dazu. Nur in der Anonymität der Nacht gelingt es seinem Fahrer, sich voll auf das Auto zu konzentrieren und von dem zu zehren, was den Escort RS Cosworth auszeichnet. Am Tage provoziert der mit einem extremen Spoilerwerk verunzierte Wagen abschätzige Blicke, nicht selten spöttisches Lächeln, allerdings auch helle Begeisterung - letztere insbesondere vor Schulhöfen während der Pausenzeit. Dieser Escort und sein Fahrer stehen immer im grellen Licht öffentlichen Interesses.

Warum muß der Verkaufsschlager von Ford Köln, der der Escort nun einmal ist, das erdulden? Die Antwort ist ebenso einfach wie einleuchtend: Dieser Escort will strenggenommen gar kein Escort für die Straße sein, sondern eher als Rennsportauto gelten. Besteht er doch aus dem Fahrwerk des allradgetriebenen Ford Sierra mit einer aus aerodynamischen Gründen modifizierten Escort-Karosserie. Und von der zahmen Straßenversion des neuen Rallye-Autos, das den Kölnern den Weltmeistertitel 1993 in der Gruppe A bringen soll, müssen zur Homologation mindestens 2500 Fahrzeuge auf dem freien Markt verkauft werden. Danach werden sie auch im weniger aggressiven Outfit mit gestutztem Heckflügel, ohne Radhausverbreiterungen und ohne vergrößerten Frontspoiler erhältlich sein - gegen Aufpreis, versteht sich.

Weiterhin aber wird unter der Fronthaube die bekannte Sierra-Cosworth- Technik arbeiten: Ein 2,0-Liter-Vierzylinder-Aggregat ist dort eingepaßt, allerdings Escort-unüblich in 'Nord-Süd- Bauweise', also in Fahrtrichtung längs. Wie im größeren Bruder Sierra verhelfen ihm ein 16-Ventil-Zylinderkopf und ein Turbolader zu 162 kW (220 PS). Gegenüber dem Sierra Cosworth wurde der Motor optimiert und unter anderem mit einem größeren Garrett-Turbolader, einem zweistufigen Ladeluftkühler und einer elektronischen Ladedruckregelung ausgestattet; selbstverständlich ist ein geregeltes Katalysatorsystem. So bietet der 1275 Kilogramm leichte Escort RS Cosworth Fahrleistungen nahezu auf Porsche-Niveau - jedenfalls bis etwa 170 km/h. In 6,1 Sekunden sprintet der kleine Kölner aus dem Stand auf 100 km/h und erreicht bei 225 km/h seine Höchstgeschwindigkeit.

Der doppelte Heckflügel sorgt bei hohen Geschwindigkeiten für den Abtrieb, der im Rallyesport einer bestmöglichen Traktion und Seitenführung der Räder dient - Ford nennt 70 Newton vorn und 200 Newton hinten bei 180 km/h. Wer im zivilen Einsatz auf den imposanten Doppeldecker verzichtet, kann im Escort Cossie sogar 232 km/h schnell sein. Erstaunlich, daß er sich im Drittelmix mit 10,1 Litern Super Bleifrei pro 100 Kilometer zufriedengeben soll.

Platz finden Fahrer und Beifahrer auf höhenverstellbaren Schalensitzen hinter einer verstellbaren Lenksäule, neben der neuen Mittelkonsole und vor hintergrundbeleuchteten Hauptinstrumenten wie in einer Flugzeugkanzel. Durch die Vielfalt von Anzeigen und Schaltern auf recht kleinem Raum wirkt das Cockpit ein wenig überladen. Aber schließlich gilt es, die komplexe Technik eines Hochleistungsfahrzeugs zu überwachen.

Der Escort RS Cosworth beeindruckt im alltäglichen Betrieb durch fulminante Fahrleistungen, die niemals brutal über den Fahrer hereinbrechen. Unüberhörbar, aber mühelos dreht der Motor die Gänge aus. Vier permanent angetriebene 16-Zoll-Leichtmetall-Räder mit 225/45 R 16-Z-Reifen führen den Cossie präzise auf der Spur. Einzig die neue Servolenkung könnte im letzten Geschwindigkeits-Drittel ein wenig direkter reagieren.

Erfreulich, daß diese Fahrmaschine mit einer angemessenen Bremsanlage ausgerüstet ist. Vier innenbelüftete Scheiben mit 278 Millimetern Durchmesser vorneund 273 Millimetern hinten sorgen zusammen mit ABS und hydraulischer Bremshilfe für eine rasche Verzögerung.

Ford und Karmann entwickelten die Karosserie des RS Cosworth auf der Bodengruppe des Sierra 4*4, die allerdings um 50 Millimeter schmaler und um 40 Millimeter kürzer wurde. Wegen der gewaltigen Spurbreite wuchs sie dennoch über die Breite des Serien-Escort hinaus. Bemerkenswert steif ist die Fahrzeugstruktur durch insgesamt vier Längsträger. Jeweils zwei stammen vom Sierra beziehungsweise vom Escort.

Nur zwei Jahre Entwicklungszeit, so verkündet Ford stolz, haben zum RS Cosworth geführt. Über die normale Straßenversion hinaus, die für einen Preis von 56 500 Mark bei den Händlern steht, entstand auch eine Motorsportversion. Sie besitzt Recaro-Sitze und von Hand verstellbare Außenspiegel. Darüber hinaus sind die gewichtigen Extras der Normal- Version wie Sitzheizung, Kurbel-Hubdach, elektrische Fensterheber und Frontscheibenheizung nicht lieferbar.

Zusammenfassend darf der Escort RS Cosworth als High-Tech-Sportler verstanden werden, der als Imageträger auf die Basisbaureihe abstrahlen wird. Für 1992 plant Ford europaweit noch 5000 Stück zu verkaufen, allein 1000 davon werden in Deutschland bleiben. Und da zumindest der Doppeldecker-Flügel nach dem ersten Rallye-Einsatz des Cossie Anfang 1993 in Monte Carlo auch im Zubehörprogramm auftauchen wird, bleibt abzuwarten, ob nicht schon bald der erste Escort 1,8 Diesel im Outfit des geflügelten Cosworth die Parkreihe vor der Eisdiele zieren wird.

Von Jürgen Zöllter

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