Ferrari 612S:Das schnelle Pferdi

Technologie à la Modena: Ferraris neuestes 2+2-Coupé im Limousinenformat wird eingekleidet von der altehrwürdigen Carrozzeria Scaglietti. Und hat ein Einzelstück für Ingrid Bergman in der Ahnenreihe.

Von Georg Kacher

Das S steht für Carrozzeria Scaglietti; es könnte aber auch schnell, sauteuer, souverän oder superstark abkürzen. Schließlich rückt der neue Ferrari 612S die Messlatte wieder ein Stück weiter nach oben in Richtung Extremsportwagen und noch mehr Geld. Der Nachfolger des 456GT (von dem seit 1994 mehr als 3300 Stück gebaut wurden) kostet 210.000 Euro - ohne jedes Extra, wohlgemerkt. Allein das F1-Getriebe, auf das neun von zehn Kunden nicht mehr verzichten wollen, wird mit 8000 Euro gesondert in Rechnung gestellt.

2 x 612S

Zusammen sind das hier 1080 PS.

(Foto: Foto: Ferrari)

Die Ferraristi scheint das nicht abzuschrecken: Die Jahresproduktion von 550 Exemplaren ist auf lange Sicht ausverkauft, das erste 80er-Kontingent für Deutschland hat seine Abnehmer ebenfalls bereits gefunden. Wer sich für Vergleichbares wie einen Bentley Continental GT oder einen Aston Martin DB9 entscheidet, der spart gegenüber dem 612S rund 50.000 Euro. Man lässt sich halt nicht nur das Formel-1-gestählte Markenimage, sondern auch den selten gewordenen Luxus, dass Motor, Fahrwerk und Karosserie garantiert nicht mit schnöden Großseriengenen durchsetzt sind, bezahlen.

Ausgewogene Gewichtsverteilung

Der 612S ist ein stattliches Auto: 4,90 Meter lang, 1,95 Meter breit, 2,95 Meter Achsabstand - ein Coupé im Limousinenformat. Das Platzangebot hat sich durch die großzügigeren Dimensionen zwar gegenüber dem 456GT deutlich verbessert, doch die Rücksitze sind immer noch nicht wirklich erwachsenen- oder langstreckentauglich, der Kofferraum fasst nur durchschnittliche 240 Liter. Gerade gerückt wird dieses schiefe Bild durch die für einen Wagen mit Standardantrieb ungewöhnliche Achslastverteilung von 46 Prozent vorne zu 54 Prozent hinten.

Als Mittel zum Zweck dient nicht nur das an die Hinterachse ausgelagerte Transaxle-Getriebe, sondern auch der um drei Handbreit weiter in Richtung Cockpit versetzte Motor. In Verbindung mit der Aluminiumkarosserie, die gegenüber dem Vorgänger einen Gewichtsvorteil von 60 Kilogramm bringt, sorgt dieses zukunftsweisende Konzept für niedrigeren Schwerpunkt und deutlich reduziertes Trägheitsmoment.

Der 612S fährt sich gelassener und geschmeidiger als die Frontmotor- Ferrari der alten Schule. Weil auf den Vorderrädern weniger lastet, agiert die Lenkung wie befreit: Richtungsänderungen erfolgen spontaner, es wird mehr Fahrbahnkontakt vermittelt, die Rückmeldung wirkt aussagekräftiger. Weil die Federung vor allem auf unebenen Autobahnabschnitten gleichzeitig mehr als das gewohnte Maß an Aufbaubewegungen um die Längsachse zulässt, treiben schnelle Kurvenkombinationen den Adrenalinfluss in die Höhe.

Großzügiges Terrain erwünscht

Die Domäne des neuen Ferrari sind freie Autobahnen und großzügig angelegte Landstraßen. Enge Biegungen mag er eben weniger - da stört die beträchtliche Breite genauso wie das Kampfgewicht von immerhin 1840 Kilogramm. Doch selbst auf dem glatten Serpentinen-Parkett überzeugt das XXL-Coupé durch sein präzises Handling. Die ungleiche Bereifung - 245/46ZR18 vorne, 285/40ZR19 hinten - sorgt für ein fast schon transzendentales Maß an Bodenhaftung, die elektronisch geregelten Dämpfer kompensieren in nur 45 Millisekunden Nachlässigkeiten der Straßenmeisterei und die Brembo-Bremsen holen immer wieder zuverlässig zurück aus der Tiefe des Raumes.

Aber: Wie der Maserati Quattroporte braucht auch der 612S mit abgeschalteter Stabilitäts- und Traktionskontrolle viel Platz für eventuelle Ausfallschritte, denn unter Last entwickelt das schwere Heck eine nicht zu unterschätzende Dynamik.

Die üblichen Leistungen

Für die entsprechende Längsdynamik ist der neu entwickelte Zwölfzylinder zuständig - unter dem roten Schrumpflack des Ansaugsystems verbergen sich vier Nockenwellen, 48 Ventile und knapp 5,8 Liter Hubraum. In Verbindung mit reichlich Superkraftstoff ergibt das 397 kW (540 PS) und ein maximales Drehmoment von 588 Nm, das bei 5250 Umdrehungen zur Verfügung steht. Die Beschleunigung von Null auf Tempo 100 wird mit 4,2 Sekunden angegeben, die Höchstgeschwindigkeit mit 320 km/h.

Wer sich einem solchen Auto hingibt, muss sich nicht politisch korrekt mit dem Verbrauch auseinander setzen - gesagt sei es dennoch: Dem Normverbrauch von 20,7 Litern pro 100 Kilometer stand ein Testverbrauch von 25 Litern gegenüber, was auf eine Reichweite von etwas mehr als 400 Kilometer schließen lässt. Der V12 hängt gierig am Gas, dreht mit Begeisterung bis 7700 Touren und harmoniert vor allem im mittleren Tempobereich ausgezeichnet mit dem ideal abgestuften Getriebe.

Nur die akustische Stimulanz kommt zu kurz - der 612S ist ein leiser, perfekt isolierter Kokon, in dem sich das sonst auf verlorenem Posten lärmende Radio gegen die geballte Phonkraft der Mechanik durchsetzen kann.

Bewährter Getriebemodus

Ferrari will mit dem neuen F1A-Getriebe den Automatikmodus stark verbessert haben, doch am Kopfnicken während der Schaltpausen und an der Qualität des gelegentlich unharmonischen Schaltprogramms hat sich leider nichts Grundlegendes geändert. Trotz besseren Ansprechverhaltens, schnellerer Gangwechsel, neckischen Zwischengases beim Zurückschalten und höherer Drehzahlen im Sport-Modus ziehen wir die Schaltpaddel vor. Sie funktionieren intuitiv, erledigen ihre Arbeit - auskuppeln, schalten, einkuppeln - in Schumi-ähnlichen 200 Millisekunden und sind immun gegen zu frühes Hochschalten oder zu spätes Zurückschalten.

Der 612S ist der erste Ferrari mit Stabilitätsprogramm, Memorysitzen, Einparkhilfe, Bluetooth-Autotelefon und Isofix-Kindersitzverankerung. Er ist auch das erste Zwölfzylindermodell aus Maranello, dessen Außenhaut komplett aus Leichtmetall gefertigt wird. Der Rohbau erfolgt in Modena in der firmeneigenen Carrozzeria Scaglietti, wo jede Karosse 893 Messpunkte durchlaufen muss, ehe sie zur Vollendung freigegeben wird.

Übrigens: Modell für den 612S stand der 375MM - ein unvergessenes Einzelstück aus dem Hause Scaglietti, von Roberto Rossellini 1954 für Ingrid Bergman in Auftrag gegeben.

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