Fernverkehr:Fernbusse sollen draußen bleiben

Fernbusse am Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) in der Münchner Arnulfstraße.

Geschätzt mehr als 20 Millionen Fahrgäste haben im Jahr 2015 Fernbusse genutzt. Das bringt zusätzlichen Verkehr - und Ärger - in die Städte.

(Foto: Florian Peljak)
  • Weil die Branche wächst, fahren immer mehr Fernbusse durch die Innenstädte.
  • Mit Köln und Stuttgart gibt es jetzt erste Städte, die Fernbus-Terminals außerhalb errichten, um die Fahrzeuge aus dem Zentrum fernzuhalten.
  • Auch an anderen Stellen wächst der Unmut über Fernbusse - auch deshalb, weil die Unternehmen immer wieder quengeln.

Analyse von Marco Völklein

So mancher Anwohner an der Arnulfstraße im Münchner Westen sieht mittlerweile grün. Wahlweise auch blau oder grau-weiß. Je nach dem, ob gerade ein Fahrzeug von Meinfernbus/Flixbus, ein Bus des irischen Anbieters Megabus oder einer der Deutschen-Bahn-Tochter IC Bus an seinem Küchenfenster vorbeirollt. Bei Anna Hanusch jedenfalls, die sich als Stadtviertelpolitikerin für die Bürger entlang der Arnulfstraße engagiert, gehen immer wieder Beschwerden darüber ein, dass es mit den Fernbussen nun langsam zu viel wird. Neulich beantragte eine Anwohnerin in einer Bürgerversammlung gar, den Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) wegzuverlegen. Vom Standort nahe des Hauptbahnhofs an den Rand der Landeshauptstadt.

Eine Mehrheit fand dieser Vorschlag in der Bürgerversammlung nicht. Und auch im Münchner Stadtrat würde das Ansinnen kaum auf Gegenliebe stoßen. Schließlich hatte die Stadt dem Baukonzern Hochtief erst vor etwa zehn Jahren erlaubt, den neuen ZOB an dem zentralen Standort zu errichten.

Köln und Stuttgart sperren die Fernbusse aus

In anderen Kommunen allerdings regt sich Widerstand gegen die vielen Fernbusse, die seit der Liberalisierung des Marktes in die Innenstädte drängen. Köln zum Beispiel verfügte im Oktober, dass Fernbusse nicht mehr den innerstädtischen Haltepunkt am Hauptbahnhof ansteuern dürfen und stattdessen am Flughafen halten sollen. Auch in Stuttgart versucht die Stadtverwaltung, mit einem neuen Busterminal am Flughafen im Süden der Stadt die Fernbusse aus dem ohnehin schon vom Verkehr stark belasteten Talkessel herauszuhalten, wenngleich die geplante Inbetriebnahme zuletzt um etwa ein Vierteljahr auf April 2016 verschoben wurde. Die Fernbusbetreiber jedenfalls hoffen, dass "das Negativbeispiel Köln keine Schule macht", wie Gregor Hintz vom Anbieter Meinfernbus/Flixbus sagt.

Tatsächlich sind auf den deutschen Straßen mehr und mehr Fernbusse unterwegs. Seit der Marktliberalisierung im Januar 2013 wuchs die Anzahl der angebotenen Linien nach Angaben der Berliner Unternehmensberatung IGES von 62 auf derzeit etwas mehr als 320. Bereits kurz nach der Liberalisierung im Januar 2013 drängten zahlreiche Anbieter in den Markt, besetzten Rennstrecken wie München-Stuttgart-Frankfurt oder Hamburg-Berlin und lieferten sich einen knallharten Preiswettbewerb. Angesichts des immensen Drucks ging einigen Firmen rasch die Puste aus, die beiden größten Anbieter Meinfernbus und Flixbus schlossen sich zusammen. Nach und nach verfeinerten die verbliebenen Anbieter ihre innerdeutschen Netze, banden kleine und mittlere Städte ein und entwickelten an zentralen Knotenpunkten Drehkreuze, sogenannte Hubs, an denen die Passagiere auf andere Linien umsteigen können. Ähnlich wie im Flugverkehr.

Der Markt expandiert weiter

Aktuell suchen die Unternehmen nach neuen Wachstumsfeldern: Viele expandieren ins Ausland, fahren von Deutschland aus in benachbarte Länder oder ziehen dort Binnennetze auf. "Der deutsche Fernbus wird zum Exportschlager", sagt IGES-Berater Christoph Gipp. Aber auch innerhalb Deutschlands wächst der Markt weiter: Fast jeder größere Anbieter zimmert an einem Nachtliniennetz.

Meinfernbus/Flixbus, mit 73 Prozent Marktanteil die klare Nummer eins, bedient seit dieser Woche von München aus auf acht Linien regelmäßig 37 Wintersportorte in den Alpen; Zubringerbusse bringen Sportler unter anderem aus Belgien und Holland über Nacht zum Münchner Drehkreuz. Und die Deutsche Post lässt seit kurzem Express-Busse von Aachen über Bonn und Montabaur zum Frankfurter Airport fahren. Die Kleinbusse mit Platz für maximal acht Passagiere sollen mit bis zu 130 Stundenkilometer auf Tour gehen und somit schneller sein als die Reisebusse, für die bei Tempo 100 Schluss ist. Der Expressservice kostet etwa das Doppelte gegenüber einer normalen Postbus-Reise. Sollte sich das Expressangebot bewähren, könnte es auf andere Regionen ausgeweitet werden, sagt Postbus-Chef Joachim Wessels.

Die Branche wächst - und quengelt

Bei den Kunden kommen die Fernbusse gut an: So verdoppelte sich die Zahl der Fahrgäste im vergangenen Jahr auf 16 Millionen. Für 2015 prognostizieren Fachleute mehr als 20 Millionen Fernbusreisende. Die vielen zusätzlichen Fahrzeuge bringen zusätzlichen Verkehr auf die Straße - und Ärger in die Städte. So beglückwünschte der Berliner SPD-Chef Jan Stöß im Oktober die Kölner zu ihrer "mutigen Entscheidung" und forderte ein ähnliches Vorgehen in der Hauptstadt.

Mancher Kommunalpolitiker reagiert auch deshalb gereizt, weil die Branche immer wieder quengelt, die Städte mögen doch bitte ihre Haltestellen aufmöbeln. Um weiter wachsen zu können, sei es "entscheidend, dass die Anbieter weiter Zugang haben zu zentrumsnahen, gut ausgestatteten Haltepunkten", sagt Megabus-Chef Edward Hodgson.

Auch die Deutsche Bahn ist verärgert

Doch die Kommunen sehen sich nicht in der Pflicht, der Branche Glaspaläste für die Passagierabfertigung hinzustellen. Der Fernverkehr sei "in der Regelungs- und Finanzzuständigkeit des Bundes", sagt Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Gerne seien die Städte bereit, moderne Haltepunkte zu errichten oder diese besser an den Nahverkehr anzubinden, "wenn die Fernbusunternehmen die Finanzierung übernehmen". Die Betreiber aber lehnen das strikt ab: "Das wäre der falsche Weg", sagt Postbus-Chef Wessels. Die Busse brächten Übernachtungsgäste, von denen örtliche Hotels, Gastronomen und Händler profitierten. Zudem zeigten Beispiele wie Hannover, dass sich moderne ZOBs auch für Investoren rechnen könnten.

Neben Kommunalpolitikern ist auch die Führung der Deutschen Bahn (DB) nicht gut zu sprechen auf die Busse. So ging der DB-Umsatz im Fernverkehr stetig zurück, seitdem die Konkurrenz über die Autobahnen flitzt. Wenngleich der Konzern noch immer jährlich 130 Millionen Fahrgäste in Fernzügen transportiert, habe die DB-Spitze die Fernbusse massiv unterschätzt, klagt Martin Burkert (SPD), Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses. "Das Ergebnis sehen wir jetzt: Auf ihren Hauptstrecken verliert die Bahn massiv Kunden."

Viele steigen vom Auto in den Fernbus um

DB-Chef Rüdiger Grube will nun mit mehr Zügen, neuen Verbindungen und einer besseren Pünktlichkeit reagieren. Fahrgastverbände bemängeln zudem, Fernbusreisende hätten weniger Rechte als Bahnkunden; Gewerkschafter halten den Busfirmen vor, Lenk- und Ruhezeiten nicht einzuhalten, was die Betreiber freilich zurückweisen. Selbst Michael Ziesak vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) zeigt sich mittlerweile "überrascht, dass die Bahn so konkurrenziert wird". Dabei zählt der ökologisch ausgerichtete Verband zu denen, die sich für die Busse stark gemacht hatten. "Mein Hauptziel war und ist es, die Leute aus dem Flieger und aus dem Auto zu bekommen", sagt Ziesak.

Genau dazu trügen die Busse ja auch bei, sagt Branchenkenner Gipp und präsentiert eine Fahrgastbefragung von 2014. Damals hatten etwa 38 Prozent der Fernbus-Passagiere zuvor den Pkw genutzt, 34 Prozent waren von der Schiene herübergewechselt. Etwa zehn Prozent fielen in das Segment "Neuverkehre", diese Gruppe hätte die Reise gar nicht angetreten, wenn es keine Fernbusse gäbe. "Es findet keine einseitige Kannibalisierung zulasten der Bahn statt", sagt Gipp. "Im Gegenteil: Es existieren sogar nennenswerte Wanderungen vom Pkw hin zum Fernbus." Im Grunde seien Zug und Fernbus "keine Feinde", ergänzt Dirk Flege vom Bahnbranchenverband "Allianz pro Schiene", sondern "strategische Freunde" im Ringen um eine andere Verkehrspolitik.

Ähnlich versucht die Münchner Stadtteilpolitikerin Anna Hanusch ihren Bürgern die Sache zu erklären: "Besser ist es doch, es fährt ein Bus in die Stadt als 30, 40 oder 50 Autos."

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