Feinstaub-Belastung:Stadtzentren werden zur Tabuzone

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Etwa 6,7 Millionen Pkw dürfen von Ende 2007 an in viele Innenstädte nicht mehr fahren, allein in München sind mindestens 800.000 Autos betroffen. Im Februar kommt die verpflichtende Umweltplakette.

Joachim Becker

Von wegen weiße Weihnacht: Statt Schnee rieselt der Feinstaub in den Straßen. Das stabile Hochdruckwetter, das uns den Winter vorenthält, begünstigt die Anreicherung der Luft mit ultrafeinen Partikeln.

Mit dem Diesel-Boom wurde der Ruß wieder vermehrt in die Innenstädte getragen. (Foto: Foto: AP)

Jene Killer-Aerosole, denen das Umweltbundesamt nachsagt, dass sie die Lebenserwartung der Menschen im Schnitt um ein bis drei Monate verkürzen. Kein Vergleich allerdings zu den sechziger Jahren: Damals betrugen die Staubemissionen in Deutschland noch weit mehr als drei Millionen Tonnen jährlich.

Seitdem ist der Grauschleier auf nur noch 0,4 Millionen Tonnen zurückgegangen. Damit liegen die Staubbelastungen im Jahresdurchschnitt meist zwischen 20 und 35 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft - und damit unterhalb des EU-Grenzwertes von 40 Mikrogramm.

Bedeutendster Luftschadstoff

Trotzdem gilt Feinstaub als bedeutendster Luftschadstoff in Westeuropa. Mit dem Diesel-Boom wurde der Ruß wieder vermehrt in die Innenstädte getragen. Da hilft es wenig, dass mittlerweile 90 Prozent der Neuwagen für den heimischen Markt mit Partikelfilter ausgeliefert werden.

Das Problem sind die alten Dieselstinker unter den Pkw, Lkw und Bussen. An vielbefahrenen Straßen werden die zulässigen Feinstaublimits regelmäßig überschritten.

Eine Messstation am Mittleren Ring in München hat im vergangenen Jahr sogar 107 Überschreitungstage gemeldet - erlaubt ist ein höherer Tagesmittelwert nur an 35 Tagen. "Um dieses Ergebnis zu vermeiden, müssten wir den Mittleren Ring sperren und etwa 140000 Verkehrsbewegungen pro Tag wieder großflächig in die Wohngebiete verteilen", sagt Christian Ude, Münchens Oberbürgermeister und zugleich Vorsitzender des Deutschen Städtetags: "Dies zu tun wäre hirnrissig."

"Kleinstaaterei der Postkutschenzeit "

Im Übrigen sei es völlig verfehlt, dass die Europäische Union Hunderte europäische Kommunen zwinge, ihre eigenen Regelungen zur Luftreinhaltung zu schaffen, fügte Ude auf dem 44. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar hinzu. Genau diese aktionistische Kleinteiligkeit, "die selbst die deutsche Kleinstaaterei der Postkutschenzeit in den Schatten stellt" (Ude), scheint momentan um sich zu greifen.

Städte wie München, Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf, Köln, Stuttgart oder Augsburg wollen Millionen Autos aus den Innenstädten verbannen, um die Staubkonzentration zu verringern. Grundlage ist die Plakettenverordnung, die Pkw in vier verschiedene Emissionsstufen einteilt.

Voraussichtlich von Februar an werden die roten, gelben oder grünen Plaketten bei Zulassungsstellen, Kfz-Fachbetrieben und TÜV-Centern für etwa fünf Euro erhältlich sein. Wer keine Plakette oder nur eine der Stufe 1 bekommt, darf nicht in die Umweltzonen fahren, die von Ende 2007 an eingeführt werden sollen.

Von diesen Fahrverboten werden laut ADAC nach heutigem Stand 6,7 Millionen Pkw betroffen sein. Neben den etwa 1,1 Millionen Dieselfahrzeugen dürfen dann künftig auch 5,6 Millionen Benziner nicht mehr in die gesperrten Innenstädte - darunter auch relativ saubere Benziner mit einem geregelten Katalysator der ersten Generation.

Anwohner erhalten Ausnahmegenehmigungen

Der Zentralverband des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes (ZDK) schätzt, dass von den betroffenen Diesel-Modellen die Hälfte durch Filternachrüstung eine Plakette erhalten kann. "Die 5,6 Millionen Benziner lassen sich nicht umrüsten und müssen definitiv aus den Sperrzonen draußen bleiben", sagt ZDK-Sprecherin Claudia Schiffer. Der ADAC hält diese Regelung für ungerecht, weil Otto-Motoren gar keine Partikel ausstoßen. Anwohner mit Ausnahmegenehmigungen dürfen hingegen ihre alten Kisten weiter fahren.

Doch die lokale Umsetzung der Plakettenverordnung ist nur einer von vielen Streitpunkten. Noch disputieren die Experten heftig darum, welchen Anteil der Straßenverkehr überhaupt an der örtlichen Feinstaubbelastung hat. "Fahrverbote bringen keine nennenswerte Verbesserung, weil Pkw lediglich zu neun Prozent zur Staubbelastung beitragen", meint der ADAC.

Rußpartikelfilter senken Belastung nur wenig

Auch Peter Hupfer, Chef des TÜV Süddeutschland, zieht eine nüchterne Bilanz: "Selbst bei einer 100-prozentigen Einbaurate mit Rußpartikelfiltern sinkt die Gesamtbelastung um maximal fünf Prozent." Reifen- und Bremsenabrieb, aber auch das Zerfahren von Granulat, das als umweltschonendes Streumittel eingesetzt wird, trage maßgeblich zur Staubbelastung durch den Verkehr bei.

Das Umweltbundesamt hält dagegen, dass die innerörtliche Staubbelastung etwa zu 50 Prozent aus der Emission von Dieselfahrzeugen (Lkw, Kleinlaster, Busse, Pkw) stammten. Hinzu kämen etwa 25 Prozent aus dem Abrieb von Bremsen, Reifen und Straßenbelag, der vom Verkehr aufgewirbelt werde. Nur etwa 25 Prozent des Feinstaubs seien auf ferntransportierte Partikel wie Saharastaub zurückzuführen.

Wie weit die Kontrahenten mit ihren Rechnungen auseinanderliegen, zeigt das Beispiel Berlin. Das Umweltbundesamt kommt zu dem Schluss, dass etwa zwei Drittel des PM10-Jahresmittelwerts in der Hauptstadt auf lokale Emissionen zurückzuführen seien.

PM10 bedeutet Particulate Matter, also Feinstaub, in der gängigen Messgröße von zehn Mikrogramm. "Unsere Interventionsmöglichkeiten sind gering", entgegnet Manfred Breitenkamp von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: "Wir haben Tempo-30-Zonen eingeführt und Lkw die Durchfahrt verboten.

Versuch während Bushs Besuch

Dennoch können wir das Überschreiten der Höchstgrenzen nicht verhindern." Die Ursachen für die steigenden Werte seien nur zu einem geringen Teil in der Stadt selbst zu suchen: "In Osteuropa wird geheizt aus allen Rohren, der Ostwind trägt den Feinstaub hierher."

Sind die Grenzwerte überhaupt einzuhalten, wenn der Feinstaub eingeschleppt wird? Der Vorjahresbesuch von George W. Bush hat in Mainz zu einem groß angelegten Feinstaub-Feldversuch geführt. Als der US-Präsident am 23.Februar 2005 ins Rhein-Main-Gebiet kam, wurde der Verkehr einen Tag lang nahezu lahmgelegt.

"Die Verkehrsreduzierung konnte ganz klar anhand des geringeren Stickstoffmonoxids nachgewiesen werden", erklärte Michael Weissenmayer vom Landesumweltamt Rheinland-Pfalz. Zur Verblüffung der Experten zeigte die Feinstaubbelastung jedoch keine Reaktion - obwohl an einer Hauptverkehrsstraße gemessen worden war, die täglich von durchschnittlich 39000 Autos befahren wird.

Fahrverbote von 2009 an weiter verschärft

Das Wunder von Mainz zeigt zumindest, wie komplex die Feinstaub-Thematik ist. Sollte sich die dicke Luft auch in den Umweltzonen nicht rapide bessern, werden die Fahrverbote voraussichtlich 2009 weiter verschärft. Dann dürfen auch Dieselfahrzeuge der Fahrzeuggruppe 2 nicht mehr in die gesperrten Innenstädte.

Eines ist schon jetzt klar: Selbst wenn die Verbote wenig an der Luftqualität ändern, dann sind sie immer noch gut für das Wirtschaftsklima. Vorgezogene Neuwagenkäufe und die absehbare Nachrüstwelle bei Filtern und Katalysatoren werden zum milliardenschweren Konjunkturprogramm für die Autoindustrie.

© SZ vom 23.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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