Falträder:Origami auf Rädern

Aus dem einstigen Klapprad ist nach einer langen Durststrecke ein faltbares Hightech-Gerät geworden. Das viele Fragen beim Betrachter aufwirft.

Thomas Becker

Zum Beispiel Christoph Hartmann, seit 16 Jahren Oboist bei den Berliner Philharmonikern: Viel unterwegs. Und fast immer im Gepäck: das Faltrad. Im vergangenen Herbst ging's für die Musiker nach London, Liverpool und Dublin, im November nach Seoul, Tokio, Osaka, Hyogo und Okayama, im Februar nach Brüssel, Zürich und Wien und im Juli ist das Orchester wieder in Aix-en-Provence - lauter schöne Städte, die es zu erkunden gilt, und das geht nun mal am besten mit einem Klapprad.

Falträder: Aufgefaltet, losgefahren: Klappräder sind auf städtischen Straßen im Trend.

Aufgefaltet, losgefahren: Klappräder sind auf städtischen Straßen im Trend.

(Foto: Foto: oh)

Hartmann und drei weitere radbegeisterte Philharmoniker-Kollegen haben das Modell Dahon Cadenza getestet: 26-Zoll-Räder, Scheibenbremsen, Acht-Gang-Nabenschaltung, 13 Kilo Gewicht. Ihr Fazit: "Bei einer Konzertreise mit einer größeren Gruppe ist es wichtig, die Kollegen nicht mit Extra-Gepäck wie zum Beispiel einem traditionellen Fahrrad zu behindern oder Wartezeiten zu verursachen. Und da ist das Cadenza perfekt, weil man es so durchdacht zerlegen und als normales Gepäck versenden kann."

Abgesehen davon, dass diese Räder praktisch, handlich und extrem wendig sind und sich fast so gut fahren wie normale Räder - sie sind auch noch hip, angesagt, cool, echte Hingucker. Das schlechte Image, das das Klapprad der siebziger Jahre umgab, hat sich längst gewandelt.

Aus den Billig-Rädern von einst sind Hightech-Produkte geworden, nach denen man sich umdreht. Und es werden immer mehr. Eine Studie des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) ergab: Der Trend geht in der Stadt zu der Kombination aus öffentlichem Personennahverkehr plus Faltrad. Menschen, deren Fahrrad meist nur im Keller stand, rollen plötzlich wieder durch die Straßen.

Und wer dies als 1,90-Meter-Mann auf einem 16-Zoll-Rad tut, hat die Schmunzler auf seiner Seite. Man muss auch nicht wie ein Getriebener strampeln, weil bei den modernen Falträdern die Übersetzung an die kleineren Räder angepasst ist. Nur Freihändigfahren sollte man lieber nicht versuchen - das geht nicht gut aus, versprochen!

Mit neuem Namen zum Erfolg

Es ist allerdings kein ganz billiges Vergnügen, da in den Mini-Flitzern viel Technik und hochwertige Materialien stecken. Für 500 Euro bekommt man ein 16-Zoll-Rad mit Drei-Gang-Schaltung, das sich selbst von technisch Minderbemittelten in etwa einer halben Minute auf die Zentimetermaße 87 (Länge), 67 (Höhe), 35(Breite) zusammenfalten lässt. Anspruchsvollere Radler blättern dagegen auch schon mal mehr als 2000 Euro hin - und gehen dann auf große Fahrt.

In mehreren deutschen Städten treffen sich Faltrad-Fans zu sogenannten Origami-Touren. Außerdem hat sich die Spezialradmesse in Germersheim bei Karlsruhe, die jedes Jahr am letzten April-Wochenende stattfindet, zu einem Treffpunkt der Szene entwickelt.

Hochrad in Vierteln

Dabei ist das Klapprad ja nicht erst seit den Camping-Urlauben der siebziger Jahre in der Welt. Das erste Klapprad baute der Engländer William Grout im Jahr 1878. Ein Hochrad, dessen riesiges, 1,80 Meter hohes Vorderrad sich tatsächlich in vier Teile zerlegen ließ. Knapp zwanzig Jahre später kam das Modell Faun dem modernen Rad schon recht nahe.

Schließlich begann auch das Militär sich für faltbare Räder zu interessieren; im Zweiten Weltkrieg wurde gar ein Modell für Fallschirmspringer konzipiert. Auslöser der Klapprad-Welle wurde Anfang der Sechziger das Stowaway - Pack's weg! - von Alex Moulton.

Angezogen vom Erfolg des Stowaways versuchten sich nun fast alle Hersteller an Klapprädern, glaubten jedoch am Material sparen zu können, was viele Billigräder mit mäßigem Fahrkomfort entstehen ließ und dem Klapprad sein mieses Image einbrockte. Ende der Siebziger war das Klapprad imagemäßig und bald auch von den Verkaufszahlen praktisch tot.

Erst viele Jahre später erlebte es eine Renaissance - von den Herstellern nun ganz geschickt als Faltrad bezeichnet, um erst gar keine schlechten Erinnerungen zu wecken. Mittlerweile gibt es Fans, die einen regelrechten Kult darum betreiben, zum Beispiel bei den Falt-und-Fahr-Rennen. Und obwohl man immer mehr Falträder auf den Straßen fahren sieht, erwecken sie Neugier und sind Anlass für Fragen; ein Fanklub bietet im Internet deshalb sogar einen "Handzettel für neugierige Passanten" zum Download an.

Sogar bei Touren über Alpenpässe kommen die kleinen Flitzer zum Einsatz. Oder am anderen Ende der Welt: Ein Wissenschaftler in der Antarktis pendelt zwischen Teleskopen und Forschungsstation mit einem Klapprad.

Und eine tapfere Britin radelte in 45 Tage mehr als 3000 Kilometer von England nach Istanbul. Auch die vier Kollegen von der Berliner Philharmonie haben längst eine große Tournee hinter sich. Das Modell, mit dem sie unterwegs waren, scheint wie für sie geschaffen - es heißt Allegro.

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