Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik:Die wichtigsten Fakten zum Fahren im Alter

Brauchen wir Fahrtests für betagte Autofahrer? Verkehrsminister Scheuer lehnt das kategorisch ab. Was Sie über Senioren am Steuer wissen müssen.

Von Christina Müller

Sollte es in Deutschland den Führerschein weiterhin auf Lebenszeit geben? Oder wäre ein Test in einem gewissen Alter sinnvoll? Über Fahrtests für betagte Autofahrer wird immer wieder diskutiert. In Großbritannien gab es kürzlich eine solche Debatte, nachdem Prinz Philip einen Unfall hatte, bei dem der 97-Jährige selbst am Steuer saß. Jetzt hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe verpflichtende Fahrtests für ältere Autofahrer abgelehnt. Dazu sagte er: "Ich setze auf Eigenverantwortung." Jeder müsse immer wieder selbst seine Fitness und seine Fähigkeiten im Straßenverkehr überprüfen. Unfallforscher empfehlen dagegen eine verpflichtende Testfahrt für Autofahrer, die älter als 75 Jahre alt sind. Scheuer sagte zudem, in naher Zukunft würden ältere Menschen auch nicht mehr unbedingt selbst fahren müssen: "Gerade auf dem Land können ältere Menschen mit Hilfe von autonomen und automatisierten Systemen mobil bleiben." Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Fahren im Alter.

Fahren Senioren am Steuer wirklich schlechter?

Pauschal lässt sich das nicht sagen. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen aber: Mit dem Alter steigt die Gefahr, einen Unfall beim Autofahren zu verursachen. Über 64-jährige Autofahrer trugen häufig die Hauptschuld, wenn sie in einen Unfall verwickelt waren (67 Prozent). Bei den über 75-Jährigen waren es sogar 75 Prozent. Das ist ein höherer Wert als bei den Fahranfängern im Alter von 18 bis 24 Jahren, die statistisch gesehen am häufigsten verunglücken. Sie sind aber nur in 65 Prozent der Fälle schuld, wenn es kracht.

Die Hauptursachen für die Unfälle der Älteren sind missachtete Vorfahrt oder Fehler beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren. Nicht angepasste Geschwindigkeit, sonst die Unfallursache Nummer eins, spielt kaum eine Rolle. In den seltensten Fällen verursachen Senioren Unfälle wegen Überholfehlern oder Alkoholeinfluss.

Warum wird das Thema "Senioren im Straßenverkehr" immer relevanter?

Die Zahl der Menschen über 65, die in Deutschland im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis sind, steigt von Jahr zu Jahr. 2018 waren es laut dem Kraftfahrtbundesamt etwa 16 Millionen. Damit macht diese Altersgruppe mittlerweile rund ein Viertel aller Fahrer aus. Dementsprechend steigt die Zahl der Unfälle, in die Senioren verwickelt sind. Senioren haben auch ein höheres Risiko, bei Unfällen zu sterben als Jüngere. Insgesamt ist die Zahl der Verkehrstoten seit 1991 zwar deutlich zurückgegangen. Allerdings zeigt sich dieser Effekt hauptsächlich bei jüngeren Verkehrsteilnehmern. Menschen unter 65 Jahren starben seit 1991 zu 74 Prozent weniger im Straßenverkehr, bei über 65-Jährigen lag der Rückgang nur bei 45 Prozent.

Wie halten es andere Länder mit der Überprüfung der Fahrtauglichkeit?

Nur in Deutschland, Frankreich, Belgien, Österreich, Polen und Bulgarien gilt der Führerschein auf Lebenszeit. Alle anderen EU-Länder prüfen auf unterschiedliche Weise die Fahrtauglichkeit im Alter - etwa mittels Sehtest, medizinischem Check oder Fahrtest. Am frühesten werden die Fahrer in Portugal getestet: schon mit 50 Jahren. In Großbritannien läuft die Fahrerlaubnis mit 70 Jahren ab, kann aber mit einem einfachen Selbsteinschätzungstest erneuert werden. In Schweden muss die Fahrerlaubnis grundsätzlich alle fünf Jahre neu beantragt werden.

Wohin kann ich mich wenden, wenn ich meine Fahrtauglichkeit überprüfen lassen möchte?

Grundsätzlich ist ein Gesundheitscheck beim Hausarzt immer möglich. Zusätzlich haben Automobilclubs wie ADAC oder AvD freiwillige Angebote für Senioren, wie zum Beispiel spezielle Fahrtrainings. Bei Fahrschulen, TÜV und Dekra können Fahrstunden genommen oder -trainings absolviert werden. Auch die Stellen, die Medizinisch-Psychologische Untersuchungen (MPU oder "Idiotentest") durchführen, können Menschen auf ihre Fahrtüchtigkeit testen.

Welche Alternativen gibt es für Senioren, wenn sie sich nicht selbst ans Steuer setzen?

Die Aussage von Verkehrsminister Scheuer, dass "in naher Zukunft" Menschen auf dem Land mit autonomen Fahrzeugen ihre Wege zurücklegen können, ist nach dem jetzigen Stand der Technik unrealistisch. Bislang gibt es nicht einmal vernünftige Prognosen, wann erste Robotaxis für verkehrstechnisch wesentlich einfachere Szenarien wie zum Beispiel auf der Autobahn oder festgelegte Strecken in der Stadt verfügbar sein werden. Für Landstraßen und Dörfer wird es vermutlich noch Jahrzehnte dauern, bis es derartige Angebote gibt

Bisherige Alternativen in einigen Regionen sind "Ridesharing-Dienste" - eine Art Anruf-Sammeltaxi. Man teilt sich zum Beispiel die Fahrt in den nächsten Ort mit anderen Mitfahrern und ist damit nicht auf die festen Zeiten des öffentlichen Nahverkehrs angewiesen. Zudem gibt es besonders im ländlichen Raum Initiativen im Rahmen von Nachbarschaftshilfe. Dort unterstützen sich Menschen aus einem Ort gegenseitig bei bestimmten Tätigkeiten. So bieten jüngere Menschen Senioren zum Beispiel Fahrdieste zum Einkaufen oder Arzt an, im Gegenzug können die Älteren beispielsweise bei der Kinderbetreuung oder Hausarbeit unterstützen.

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