"Man hört die Dinger bevor man sie sieht", sagt Holger Köhler und lächelt dabei ein wenig verächtlich. Ist ja auch irgendwie nachvollziehbar: Wer von einem E-Bike überholt wird, vernimmt zunächst das surrende Schnarren des Elektromotors, bevor der Pedaleur dann an einem vorbeizieht. Als aber Köhler, ein sportlicher Mittvierziger aus dem Münchner Umland, vor Kurzem am Kloster Schäftlarn aus dem Isartal rauf in den Ort pedalierte und mal wieder dieses Surren hinter sich vernahm, staunte er doch: Was da an ihm vorbeizog, war kein klobiges Tourenrad mit E-Motor in der Radnabe. Sondern ein rassiges Rennrad.
Tatsächlich macht sich die Zweiradbranche derzeit offenbar daran, auch noch die letzte Nische des weitverzweigten Fahrradmarktes für den elektrischen Unterstützer zu öffnen: die der Rennräder. Hersteller Haibike zum Beispiel hat ein knapp 19 Kilogramm schweres Trumm namens Xduro Race im Angebot. Mit dem treiben auch wenig Trainierte die Tachoanzeige in Bereiche, die sonst den Profis bei der Tour de France vorbehalten sind.
"Das ist doch kein Sportgerät"
Es handelt sich dabei um ein S-Pedelec, also einen bis zu 45 Stundenkilometer schnellen Flitzer mit Elektro-Unterstützung. Unter dem Sattel ist ein Versicherungskennzeichen montiert. Und auf dem Unterrohr klemmt ein klobiger Kasten, der Akku, der wiederum den im Tretlager verbauten Mittelmotor speist. Für Rennradpuristen wie Köhler ist das Xduro ein Sakrileg. "Das ist doch kein Sportgerät." Für viele Pendler indes, vielleicht sogar ausgerüstet mit Schutzblechen und Gepäckträger, kann das Rad durchaus von Interesse sein.
Die Zahl der bundesweit verkauften Pedelecs, S-Pedelecs und E-Bikes steigt stetig an: Wurden 2008 noch gut 110 000 Räder mit eingebautem Rückenwind abgesetzt, stieg die Zahl auf 480 000 im Jahr 2014, wie Daten des Zweirad-Industrieverbands (ZIV) zeigen. Und die Branche setzt darauf, dass dieser Trend weiter anhält. Mittelfristig wollen die Hersteller etwa 600 000 E-Fahrräder pro Jahr verkaufen - das wäre ein Marktanteil von gut 15 Prozent. Auch wenn E-Bikes 500 bis 2000 Euro mehr kosten als vergleichbare Fahrräder ohne Elektroschub. Das Xduro etwa kommt in einer abgespeckten Variante auf 4700 Euro, ein Modell mit besseren Bremsen und exklusiveren Laufrädern bringt es auf knapp 8000 Euro.
Die Modellvielfalt wird immer größer
Trotz des stolzen Preises setzen sich E-Bikes mehr und mehr durch. "Das Elektrofahrrad hat das Image des ,Schummelfahrrads' mit Reha-Touch verloren", sagt Anja Smetanin vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD). Boten die Unternehmen anfangs meist City- und Trekking-E-Bikes mit tiefem Einstieg und langem Radstand an, wird die Modellvielfalt immer größer: Mountainbikes mit Akku und E-Motor ermöglichen längere Touren und selbst steilere Anstiege lassen sich mühelos bezwingen.
Kleinunternehmer und Lieferdienste setzen auf Lastenräder mit E-Unterstützung. Liefertouren per Fahrrad können im Stadtverkehr schneller sein als mit dem Auto. Eltern lassen am Wochenende ihre Kinder in einem Fahrradanhänger Platz nehmen - und sind froh, wenn sie diesen dann dank der Zusatzenergie aus dem Akku bequemer zum Biergarten kutschieren. Und Fatbikes, eine Art Mountainbike mit besonders wuchtigen Reifen, erlauben es dem Fahrer, auch durch feinen Sand oder lockeren Schnee zu pflügen. Mit dem E-Antrieb in der Nabe oder am Tretlager sind trotz des großen Rollwiderstands damit auch längere Strecken kein Problem. Der ZIV hofft daher, mit "dem breiteren Spektrum an Produkten neue Zielgruppen" zu erschließen.