Verkehrssicherheit:Wie Fahrradhelme noch besser schützen könnten

Junge mit Radhelm

Kinder fahren heute selbstverständlich mit Helm Lauf- oder Fahrrad. Für erwachsene Radler hat der Hersteller Trek-Bontrager gerade eine Technik namens WaveCel vorgestellt.

(Foto: Puky/PD-F.DE, Trek-Bontrager)

Lange hat sich in der Entwicklung wenig getan. Die Industrie stellt nun neue Konzepte vor, die den Schädel besser vor schweren Traumata bewahren sollen.

Von Sebastian Herrmann

Der Unfall ereignete sich wie in Zeitlupe, die Situation war völlig harmlos. Der Kumpel rollte mit Schrittgeschwindigkeit auf dem Mountainbike einen breiten Pfad in den italienischen Alpen entlang. Es war Nachmittag, die Sonne stand tief und die Tagesetappe war fast geschafft. An einer Weggabelung wollten wir kurz auf die Karte schauen. Im Bremsen blieb der Radlkumpel mit dem Vorderrad an einer Wurzel hängen - nur ein kleines bisschen mehr Tempo, und er wäre einfach über das winzige Hindernis gerollt. Er erschreckte sich, wurde hektisch und löste seine Schuhe nicht rechtzeitig aus den Klickpedalen. Rad und Radler kippten zur Seite, und der Freund knallte mit dem Kopf gegen einen Felsbrocken, der neben dem Pfad aus dem hohen Gras ragte.

In seinem Helm war eine kräftige Delle, das harte Styropor an einer Stelle gebrochen. Ihm selbst war nichts geschehen, außer dass er einen Schreck bekommen hatte und kurz blöd aus der Wäsche schaute. Es sind Erlebnisse wie dieses, die einen vom Sinn eines Fahrradhelms überzeugen.

"Genau für solche Alleinunfälle sind Helme ausgelegt", sagt Klaus Bauer, Unfallforscher und Biomechaniker am Institut für Rechtsmedizin der Universität München. Viele Unfälle ereignen sich, weil Radfahrer auf nassem Laub wegrutschen, auf Glatteis geraten, mit den Rädern zwischen Trambahnschienen geraten oder auf andere Art und Weise ohne Fremdbeteiligung die Kontrolle über ihr Rad verlieren. "Die häufigsten Stürze sind solche Alleinunfälle, die etwa 20 Prozent der tödlichen Unfälle ausmachen", sagt der Verkehrssicherheitsexperte Roland Huhn vom Fahrradverband ADFC. Todesursache ist in der Mehrzahl der Fälle eine schwere Kopfverletzung. "An einem gebrochenen Arm stirbt man nicht", sagt Huhn.

In einer Studie haben Unfallmediziner von der University of Tucson, Arizona, einmal bilanziert, dass ein Fahrradhelm das Risiko für schwere Hirnschädigungen um 58 Prozent senke und die Wahrscheinlichkeit an einer Kopfverletzung zu sterben mit Helm um 59 Prozent geringer sei. Ob diese Zahlen exakt so Bestand haben, lässt sich bei jeder Studie im Detail auseinandernehmen - eine Aussage aber lässt sich treffen: Bei leichten Stürzen kann ein Helm das Risiko für schwere Kopfverletzungen deutlich senken. Wenn ein Radler aber mit einem Auto kollidiert, das mit einer gewissen Geschwindigkeit unterwegs ist, bietet ein Helm ziemlich sicher keinen relevanten Schutz mehr. Wer gegen einen Felsen kippt, hat mit Helm gute Chancen; wer von einem abbiegenden Lastwagen übersehen wird, dem hilft der beste Helm nichts.

Experten kritisieren vorgeschriebene Normen als deutlich zu lasch

Aus technischer Sicht stellt sich da die Frage: Könnten Fahrradhelme noch mehr Schutz bieten? "In den vergangenen Jahrzehnten hat sich da in der Entwicklung kaum etwas getan", sagt Unfallforscher Bauer. Fahrradhelme bestehen seit einigen Jahrzehnten - seit etwa der Hersteller Bell einen Fahrradhelm in den USA vorstellte - aus gehärtetem Styroporschaum, über dem eine dünne Schale aus hartem Plastik liegt. Auch die DIN-Norm, die Helme erfüllen müssen, gilt seit 1997. Demnach ist es erforderlich, dass Helme es aushalten, aus eineinhalb Metern Höhe senkrecht auf eine gerade Fläche zu fallen - mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 19,5 Kilometern pro Stunde. "Das bildet aber die Praxis nicht ab", sagt Bauer.

Wenn Radler stürzen, prallen sie so gut wie nie senkrecht mit der Helmoberseite auf den Asphalt, wie soll das auch geschehen? Nein, sie knallen mit dem Hinterkopf auf die Straße, treffen mit der Schläfe auf oder irgendwie anders in einem schrägen Winkel, so dass Rotationskräfte auf den Schädel wirken und der Kopfinhalt regelrecht durchgeschüttelt wird. Die Aufprallgeschwindigkeit bei diesen Tests entspricht etwa jener, die bei einem Sturz aus dem Stand auftritt, so wie damals in den italienischen Alpen. Die Standards und die Testmethoden müssten sich aber weiter entwickeln, um die Schutzwirkung von Helmen zu erhöhen, fordert beispielsweise ADFC-Vertreter Huhn.

Verkehrssicherheit: Im Helminneren befindet sich eine grüne Wabenstruktur, die Gehirnerschütterungen vermeiden soll.

Im Helminneren befindet sich eine grüne Wabenstruktur, die Gehirnerschütterungen vermeiden soll.

(Foto: Puky/PD-F.DE, Trek-Bontrager)

Bisher bleibt es Herstellern selbst überlassen, Helme zu verbessern, gezwungen werden sie nicht und dem Thema fehlt auch etwas der Sexappeal. Gerade hat der US-Hersteller Trek-Bontrager einen Helm auf den Markt gebracht, der mit dem für die Sportartikelbranche üblichen Getrommel beworben wird. WaveCel nennt sich das Konzept und angeblich schützen diese Helme wesentlich besser vor Gehirnerschütterungen. Kernidee ist eine verformbare Wabenstruktur, die der Biomechaniker Michael Bottlang mit seinen Kollegen am Legacy Research Laboratory in Portland, Oregon, für das Innere des Helms konzipiert hat. Die Waben verformen sich bei einem Aufprall, falten sich quasi zusammen und absorbieren auf diese Weise Stoßenergie. Zugleich soll sich die Wabenstruktur innerhalb der harten Helmschale verschieben und so seitliche Rotationskräfte mindern, die auf den Kopf wirken.

"Vor Schädelbrüchen schützen Helme schon lange recht gut", sagt Michael Bottlang, "aber kaum vor Gehirnerschütterungen." Vereinfacht gesagt, schwappt die Flüssigkeit im Kopf durch ruckartige Seitenbewegungen hin und her, wobei entsprechende Verletzungen entstehen können. Die Waben reduzieren angeblich die seitlichen Kräfte, die zu Gehirnerschütterungen beitragen. Harte Styroporschalen verformen sich hingegen offenbar nicht ausreichend, um genug Stoßenergie zu absorbieren - zum Beispiel bei Stürzen mit geringer Wucht. "Da wird die Energie dann fast komplett an den Schädel weiter geleitet", sagt Wissenschaftler Bauer.

445 Radfahrer

kamen nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2018 auf deutschen Straßen ums Leben. Das waren 16,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Bei der Zahl der schwerverletzten Radler registrierten die Statistiker einen fast zweistelligen Anstieg gegenüber dem Vorjahr: um exakt 9,8 Prozent auf etwas mehr als 15 500.

"Es war überfällig, dass sich hier mal etwas tut"

Die Biomechaniker um Michael Bottlang haben Messungen zu ihrem Konzept im Fachjournal Accident Analysis and Prevention publiziert. "Das ist mit hohem wissenschaftlichem Standard gemacht und klingt plausibel", kommentiert Bauer. "Das ist tatsächlich mal eine neue Idee." Im weiteren Sinne vergleichbare Konzepte haben auch schon andere Hersteller auf den Markt gebracht. Seit einigen Jahren existiert ein Konzept namens MIPS, und die schwedischen Firma POC verbaut ein ähnliches System mit der Bezeichnung SLIP. Dabei befindet sich, grob vereinfacht, ebenfalls eine Zwischenschicht im Helm. Bei einem Aufprall soll sich die harte Schale auf dieser Schicht seitlich bewegen können, so dass Stoßenergie absorbiert wird.

"Die Datenlage dazu ist nicht ganz klar", sagt Bauer, der Helme mit dem MIPS-System getestet hat. Man könne vielleicht - wohlwollend - einen geringen Nutzen annehmen. Kritiker weisen darauf hin, dass Helme selten so fest auf dem Kopf sitzen, dass sich die Zwischenschicht wie gewünscht verschiebt und die Kopfhaare ohnehin ähnliche Wirkung hätten. Wie praxisrelevant solche Konzepte und Labormessungen sind, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. "Aber es war überfällig, dass sich hier mal etwas tut und die Technik weiter entwickelt wird", sagt Bauer.

Ob ein Radler einen Helm aufsetzt oder darauf verzichtet, sollte jedem selbst überlassen bleiben - dafür plädieren die meisten Experten. Die Bereitschaft, sich so eine harte Schale auf den Schädel zu packen, ist in den vergangenen Jahren jedenfalls stark gestiegen: Für das Jahr 2017 gibt das Bundesamt für Straßenwesen (BASt) an, dass zum Beispiel 72 Prozent der sechs- bis zehnjährigen Kinder mit Helm auf dem Fahrrad unterwegs sind.

Die besorgten Eltern setzen sich damit dann selbst unter Zugzwang: Den Kindern Vorträge halten und selbst ohne Kopfschutz zu radeln, ist schwer unglaubwürdig. Trotzdem waren 2017 laut BASt insgesamt nur 19 Prozent aller Radler innerorts mit Helm unterwegs. Am Ende sprechen ohnehin nur zwei Argumente gegen Helme: dass es etwas umständlich ist, das Ding immer dabei zu haben; und dass die Kopfbedeckungen nicht sehr schick sind. Aber ein kaputter Schädel sieht deutlich hässlicher aus.

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