Fahrrad-Sharing:Lieber mit der U-Bahn

MVG Räder in München

Bis Ende des Jahres will die MVG 125 Fahrradstationen in München installieren.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Rütteln Sie mal." - "Ich rüttele schon!" Beim Bike-Sharing-Test in München fühlt sich unser Autor wie in einem Sketch von Loriot.

Von Felix Reek

Das Miet-Rad ist wieder verschlossen. Genauer gesagt seit einigen Minuten. Die App auf meinem Smartphone hingegen zählt weiterhin die Sekunden. 3:20, 3:21, 3:22. Jede davon kostet mich Geld. Das Fahrrad reagiert nicht auf mein Smartphone und die App hat keine Funktion, um die laufende Transaktion abzubrechen. Genau so wenig wie das Rad. Ich stecke in der Sharing-Economy fest. Dabei hätte es so einfach sein können, mein Ausflug ins Fahrradfahren für Jedermann.

Die zugrundeliegende Idee ist so simpel wie genial. In München hat der städtische Anbieter MVG, der auch das U-Bahn-, Bus- und Tramnetz betreibt, seit Oktober letzten Jahres 1200 Räder über die Stadt verteilt. So kann jeder nach Anmeldung auf der Seite des Betreibers auf ein Fahrrad zugreifen. Die App ermittelt den eigenen Standpunkt und zeigt freie Räder in der Umgebung an. Diese kann man eine Viertelstunde lang reservieren oder gleich mieten. Soweit die Theorie. Die Realität ist wesentlich ernüchternder.

Bremsen? Nicht vorhanden

Nachdem es mir endlich gelungen ist, mich von Rad Nummer eins abzumelden (drei Minuten a 0,08 Euro ohne einen Meter zurückgelegt zu haben), gehe ich ein paar Schritte weiter zum nächsten Rad. Diesmal klappt alles problemlos. Bis ich an der ersten Kreuzung merke, dass die Bremsen keinerlei Wirkung zeigen. Ich rolle einfach weiter auf die Straße zu. Also stelle ich auch dieses Rad wieder ab. Zumindest diesmal keine Probleme beim Abmelden per App.

Das nächste Fahrrad befindet sich nur einen Block weiter. Ich folge der Karte in der App, laufe mehrmals die Straße hinauf und wieder herab - doch da ist nichts. Ich schaue genauer hin. Es sieht auf der Karte aus, als stünde das Bike in einem Hinterhof. Doch außer dem Frittiergeruch des dort ansässigen Asia-Imbisses und dem kritischen Blick des Koches finde ich auch dort - nichts.

"Und, geht's nicht?"

Glücklicherweise liegt in der Nähe eine Station der MVG. Hier stehen mehrere Leihräder an einem Ständer. 45 gibt es davon in München, bis Ende des Jahres sollen 80 weitere entstehen. Also, wieder das gleiche Spiel: Rad auswählen, Code eingeben, aus der Verankerung ziehen. Doch die hält das Rad fest umklammert. Es ist auch kein Öffnen eines Schlosses zu hören. Das gleiche versuche ich bei mehreren Mietfahrrädern. Ohne Ergebnis. Dabei muss ich wohl so verzweifelt ausgesehen haben, dass ein Passant aus dem Café gegenüber rübergelaufen kommt. "Und, geht's nicht?", fragt er. "Ist mir letztes Mal auch passiert. Dann hab ich in der Hotline angerufen." Er drückt mir die Nummer in die Hand.

Stundenlanges Warten in der Hotline? Kein Bedarf. Stattdessen entdecke ich auf der Karte der App das nächste Fahrrad auf der anderen Straßenseite vor der TU München. Zumindest kann man sich nicht über eine fehlende Infrastruktur des Sharing-Angebots beschweren. Ich bin mittlerweile spät dran, haste zur Ampel und miete das Rad schon einmal in der App. Um davor stehend festzustellen, dass es nicht das richtige Rad ist. Ich schaue mich um. Ich habe ein MVG-Fahrrad gemietet, das es nicht gibt. Die Uhr der App läuft trotzdem weiter. Der Mann aus dem Café kommt wieder rübergesprintet. "Und, immer noch kein Erfolg?", fragt er. Ich erkläre ihm mein Problem. "Hatte ich auch schon", sagt er. "Das stand dann hinter dem verschlossenen Gitter einer Tiefgarage." Ich kapituliere und rufe bei der Hotline an.

"Können Sie mir den genauen Standort durchgeben?"

Dort ist man äußerst verständnisvoll. Meine Buchung wird storniert und das Geld für die vergangenen Mieten gutgeschrieben. Als ich den Mitarbeiter frage, ob er mir nicht das vor mir stehende Rad freigeben könnte, muss er leider verneinen. Der Akku des Displays, in dem der Code zum Öffnen eingegeben wird, ist leer. Dafür ist der Mitarbeiter begeistert, als ich ihm die Nummer des Fahrrads nenne. "Das suchen wir nämlich schon eine Weile!", sagt er. "Können Sie mir mal den genauen Standort durchgeben?"

Mit der Service-Hotline am Ohr gehe ich zurück zur MVG-Station in der Hoffnung, hier endlich ein Rad zu bekommen. Doch es kommt noch schlimmer. Ich lande stattdessen in einem Sketch von Loriot. Nacheinander gebe ich dem MVG-Mitarbeiter die Nummer der dort stehenden Räder durch, was in etwa zu folgendem Dialog führt: "96678." - "Okay, probieren Sie mal." - "Da tut sich nichts." - "Rütteln Sie mal." "Ich rüttele schon!" - "Okay, nächstes Rad." - "95763". - "Und, tut sich was?" - "Nein, der Akku des Displays ist leer." - "Das nächste?" - "Auch Akku leer." - "Steht dort noch eins?" - "Ja". "Nummer?" - "94656." - "Und?" - "Ich rüttele, aber es bewegt sich trotzdem nicht!"

Irgendwann bin ich beim letzten Rad an der MVG-Station angekommen. Ein kurzer Hoffnungsschimmer keimt auf. Doch auch hier ist der Akku des Displays leer. Der Mitarbeiter in der Service-Hotline gibt auf. Er sperrt das Rad auf. "Die Fahrt ist dann umsonst. Sie müssen beim Abstellen nur nachher wieder in der Hotline anrufen", sagt er. Ich bin endlich startklar. Die Pedale knallen zwar bei jeder Umdrehung gegen die Plastikabdeckung der Kette und die Bremsen sind eher Dekoration, aber egal. Ich fahre! Nach vierzig Minuten.

"Das tut mir aber leid"

Nach diesem Erlebnis habe ich verständlicherweise erst einmal die Finger von Mieträdern gelassen. Der Blick in die Nutzerbewertungen der App der MVG zeigt, dass mein Erlebnis zwar ein Extremfall ist, die Reaktionen aber durchaus zwiegespalten sind. Ein Teil hatte bisher keinerlei Probleme mit dem Dienst und lobt die Idee, viele Kunden bemängeln aber die gleichen Dinge, die mir auch bei meiner Fahrt aufgefallen sind: Räder, die sich nicht von der Station lösen lassen, in schlechtem Zustand und nicht zu finden sind, weil sie Mieter in ihren Hinterhöfen parken, um Geld zu sparen.

Trotzdem gebe ich den MVG-Rädern nach einigen Wochen noch eine Chance. Es sind 30 Grad, die Sonne scheint, das eigene Bike ist in der Werkstatt, wer will da schon mit der Bahn fahren! Also, wieder die App starten und ab zum nächsten Rad. Ich lande wieder - in einem Hinterhof. Von einem MVG-Fahrrad keine Spur. Der Rest läuft wie gehabt ab: Fußmarsch zur nächsten MVG-Station, Code eingeben, rütteln, aufgeben, in der Hotline anrufen. "Steht dort noch ein Fahrrad?", fragt mich die Mitarbeiterin der MVG. "Nein, nur das eine", sage ich. "Das tut mir aber leid", sagt sie. "Mir auch", entgegne ich: "In Zukunft fahre ich mit der Bahn." Und lege auf.

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