Süddeutsche Zeitung

Fahrrad:Oh, du verdammte Wurzel!

Baumwurzeln heben den Asphalt der Radwege - und sind dadurch große Gegner des städtischen Radlers. Manch einen erwischt es übel.

Von Thomas Hummel

Es kann niemand behaupten, man hätte es nicht wissen können. Im Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon von 1841 steht: "Die Kraft, mit welcher die Wurzeln in den Boden dringen, ist bei manchen Pflanzen sehr groß und nicht allein die Wurzeln von Eichen, sondern schon die kleinen des Epheu vermögen Mauern zu sprengen."

Ist es da verwunderlich, dass auch der gemeine Radweg kleinbeigibt? Eine Zeitlang liegt er glatt und gemütlich neben der Straße, doch in den Städten stehen da nicht selten große, starke Bäume herum. Bald schon beginnt es von unten zu drücken, zuerst leicht und dann immer stärker. Bis der Druck so knallhart ist, dass der Weg sich krumm machen muss. Sich hebt und hebt, bis er aufbricht. Glatt und gemütlich? Keine Spur mehr.

Für so einen Radweg ist das betrüblich, denn von nun an ahnt er, dass seine Klientel innerlich zeternd und schimpfend über ihn hinwegrollt. Radfahrer sind im Allgemeinen umweltbewusste Zeitgenossen - aber müssen diese Wurzeln immer unter dem Radweg wachsen? Schäden durch Baumwurzeln gehörten zu den Dauerthemen, erzählt Andreas Groh, stellvertretender Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) in München, "wir bekommen viele Zuschriften von Radlern".

Wie viel Geld München jährlich ausgibt, um seine Radwege in Schuss zu halten? Gute Frage. Einen genauen Betrag kann weder die Stadtkämmerei noch das Baureferat nennen. Fest steht, dass es aus dem zehn Millionen Euro großen Topf kommt, der "Nahmobilitätspauschale" heißt. Daraus werden aber auch Projekte für den Fußverkehr bezahlt, neue Radwege erbaut oder die Flotte der städtischen Leihräder aufgestockt. Um das einzuordnen: Für den Erhalt seiner Straßen gibt München 14 Millionen Euro im Jahr aus; für die gesamte Verkehrsinfrastruktur waren es 2016 sogar 104 Millionen Euro.

Elf Tage Krankenhaus nach einem Baumwurzel-Sturz

Es gibt deshalb städtische Radwege, dagegen ist eine Fahrt in der Achterbahn ein Kinderspiel. In der Achterbahn kann man die Hände in die Luft strecken, laut kreischen und zur Not die Augen schließen. Der Radfahrer hingegen muss sich umso intensiver am Lenker festhalten und die Erschütterungen in sich absorbieren. Rauf und runter, holterdipolter. Der Nacken staucht, die Bandscheibe knirscht, der Arm krampft. Die Radfahrer werden geschüttelt und gerüttelt. Hoffentlich sitzt der Helm fest, ist das Gepäck gut verschnürt und rutscht das Handy nicht aus der Hosentasche.

Manch einen erwischt es übel. Kürzlich berichteten die Schaumburger Nachrichten, wie ein Mann auf seinem Rad in Bad Nenndorf bei Hannover über zwei Asphaltwellen wegen Baumwurzeln gefahren sei, die Kontrolle verlor und sich beim Sturz die Hand gebrochen habe. Kommentar des Verletzten: "Das ist nicht nur für mich ärgerlich, ich muss das auch meinem Arbeitgeber erklären." Tja, ähem, da spross ein Würzelchen empor. Und dann, tja ... Schon peinlich sowas.

In Berlin war es wegen eines solchen Sturzes vor einigen Jahren einmal vor Gericht gegangen. Ein Radfahrer hatte sich im Stadtteil Steglitz wegen einer Baumwurzel überschlagen, der Lenker hatte sich in den Bauch gebohrt, er musste elf Tage ins Krankenhaus. Unter anderem wegen eines stumpfen Nierentraumas, zwei Rippenbrüchen und einer Halswirbelfraktur. Das Landgericht verurteilte das Land Berlin, weil es ein Warnschild hätte aufstellen müssen. Allerdings musste der Kläger ein Drittel der Schuld auf sich nehmen. Begründung: Es entspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass sich Baumwurzeln durch Fahrbahnbeläge hoch drücken (siehe Brockhaus von 1841, Anm. d. Red.). Und wenn direkt neben dem Radweg Bäume stünden, müsse der Radfahrer eben seine Geschwindigkeit drosseln, in diesem Fall von "normaler Fahrgeschwindigkeit (20-30 km/h)" auf 15-20 km/h.

Der Arbeitsweg ist eben doch die reine Fahrrad-Safari

Die Zahl der Baumwurzel-Prozesse ist überschaubar. Umso lieber klagen die Radfahrer dem ADFC ihr Leid: "Da krieg ich Kopfweh." Oder: "Da nützt selbst die beste Federgabel nix." Vor allem für diejenigen, die etwas zügiger unterwegs seien, sei das ein Problem, erzählt Andreas Groh. Nicht wegen des Tempos alleine, sondern weil diese Fahrer zumeist ihre Reifen richtig aufpumpen würden - hoher Reifendruck bewirkt weniger Reibung und macht schneller. Steinhart aufgepumpte Schläuche aber geben nicht nach. Was bei einer Begegnung mit einem asphaltsprengenden Gewächs zu einem Konflikt führt.

So kann der Rat an alle Fahrradfahrer nur heißen: Wer durch die Städte dieses Landes gefahrlos rollen möchte, der soll Luft aus seinem Reifen lassen. Den gleichen Tipp erhält übrigens derjenige, der mit dem Auto in die Kalahari-Wüste Südafrikas und Botswanas fährt, weil auch dort mit überraschenden Hindernissen zu rechnen ist. So ein täglicher Arbeitsweg ist eben doch die reine Fahrrad-Safari.

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