Fahrer-Assistenzsysteme in Autos:Ziemlich beste Freunde

Auto Assistenzsysteme

Schon heute erweitern Assistenzsysteme den Blickwinkel des Fahrers auf 360 Grad: Die neue Mercedes S-Klasse hat optional 23 Radar-, Video- und Ultraschallsensoren an Bord. 

Abstandhalter, Bremsautomatik und Spurhalteassistent: Das Auto ist dabei, uns das Lenkrad aus der Hand zu nehmen. Gut so! Für ein neues Miteinander von Mensch und Maschine.

Von Joachim Becker

Halten Sie sich für einen guten Autofahrer? Dann befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Für die meisten von uns ist nichts gewisser als die eigenen Fahrkünste. Als Chauffeure (franz.: "Heizer") spüren wir einen Machtzuwachs aus dem Motorraum. Und als "Antreiber" von Pferdegespannen (engl.: "Driver") haben wir gelernt, die Zügel niemals aus der Hand zu geben. Von Rechts wegen muss jedes Fahrzeug unter dem strengen Joch seines Lenkers stehen. Es hilft bloß nichts: Durch die Geschichte des Automobils zieht sich eine Blutspur. 90 Prozent der Unfälle werden noch immer durch menschliches Versagen verursacht. Höchste Zeit, unser Rollenverständnis hinter dem Steuer und die neuesten Fahrerassistenzsysteme auf den Prüfstand zu stellen.

Nutzen Sie mehr Augen und Ohren

1 Bliing . . . Bliing . . . den metallischen Klang des Echolots kennen wir aus dem Kino. Schiffe, U-Boote und Wale navigieren mit selbst erzeugten Schallwellen unter Wasser. Radaranlagen bringen dieses Echoprinzip (für den Menschen unhörbar) auf die Straße. Mit ihren Techno-Ohren können viele exklusive Fahrmaschinen längst den Abstand zum Vordermann automatisch wahren. Jetzt wird die Adaptive Cruise Control zum Massenartikel für den modernen Mainstream: Der Zulieferer Bosch hat für den Verkauf der ersten Million Radarsensoren zwölf Jahre gebraucht, die zweite folgt bis 2014 - und bis Ende 2016 sollen es schon zehn Millionen sein.

Die Absatzkurve von Radar- und Videosensoren zeigt steil nach oben: Allein zwischen 2011 und 2012 hat sich die Zahl dieser Systeme weltweit mehr als verdoppelt. Selbst Kompaktautos sind immer häufiger mit einer Kamera hinter der Frontscheibe ausgestattet. Die kleine Linse filmt das Vorfeld des Fahrzeugs mit einer Reichweite von bis zu 120 Meter. Leistungsfähige Rechenchips durchsuchen die Bilderflut blitzschnell nach Verkehrsschildern, Fahrbahnmarkierungen oder Hindernissen. Nähert sich das Fahrzeug der Seitenlinie, kann es durch einen Spurhalteassistenten mit sanften Lenkkorrekturen zurück in die Mitte geführt werden. Selbst bei Nacht liefert die Kamera noch verwertbare Informationen: Vorausfahrende oder entgegenkommende Fahrzeuge werden rechtzeitig erkannt, um das Fernlicht dynamisch, also rund um andere Verkehrsteilnehmer, zu steuern.

Lassen Sie sich ins Lenkrad greifen

2 Bei bewegten Objekten in der Nähe der Motorhaube kommen Radar und Monokamera an ihre Grenzen. Um ein laufendes Kind am Straßenrand sicher von einem Hydranten zu unterscheiden - und im Zweifelsfall eine automatische Notbremsung einzuleiten - sind Stereokameras besser geeignet. Sie sehen bis zu 50 Meter voraus räumlich, insgesamt reicht ihre Sicht bis zu 500 Meter weit. Verständigt sich eine solche 3D-Kamera mit den anderen Sensoren, kann sich das Automobil im wahrsten Wortsinne selbst bewegen.

Mit dem Fahrassistenz-Paket Plus für 2677 Euro darf der Fahrer einer neuen Mercedes S-Klasse ab sofort auf Autopilot stellen. Während sich Otto-Normalverbraucher mit Lenkung, Gas- und Bremspedal durch den zähen Verkehr ackern, übernehmen im Daimler-Flaggschiff auf Wunsch zwei Dutzend Sensoren die Umfelderkennung und Steuerung. Bis zu einem Tempo von 60 km/h beschleunigt, bremst und lenkt der Stop&go-Pilot, indem er sich am Vorausfahrzeug und den Fahrbahnmarkierungen orientiert. Ende dieses Jahres werden entsprechende Stauassistenten auch bei BMW und Audi in Serie gehen, ein selbst lenkender Baustellenassistent wird 2014 serienreif sein. Spätestens 2016 sollen fortgeschrittene Systeme bis 130 km/h auf der Autobahn eigenständig fahren und auch überholen können. Doch völlig zurücklehnen kann sich der Fahrer (noch) nicht. Feinfühlige Sensoren schlagen sofort Alarm, sobald er die Hände vom Lenkrad nimmt, weil er Zeitung liest, Mails schreibt oder einfach einschlummert. In Zukunft lässt sich der Copilot jeden Tempo- und Fahrspurwechsel vom Wagenlenker per Tastendruck quittieren - schließlich steht dieser weiterhin in der Haftung.

Versorgen Sie sich mit Auto-Updates

3 Mit Angstlust blicken wir in die Zukunft der motorisierten Fortbewegung: Immer mehr Autos in immer dichter besiedelten Ballungsräumen werden von Fahrern gesteuert, die immer stärker durch Smartphones abgelenkt sind. Fast eine Milliarde der Elektronikzwerge gehen in diesem Jahr neu in Kundenhand - erstmals werden weltweit mehr Smartphones als konventionelle Mobiltelefone ausgeliefert. Der ungebremste Boom verändert das Verhalten hinter dem Lenkrad: Gerade auf monotonen Pendelstrecken bieten die Mini-Computer mit zahllosen Kleinprogrammen (Apps) und sozialen Netzwerken willkommene Abwechslung. Stoppen lässt sich diese Entwicklung wohl nicht mehr, höchstens in automobilgerechte Bahnen lenken. Denn Smartphones haben einen entscheidenden Vorteil: Mit ihrer Hilfe lassen sich nicht nur Neuwagen, sondern auch die bestehende Autoflotte spontan und kostengünstig vernetzen.

Wetteifern um ein neues Businessmodell

Schon wetteifern die Autohersteller um ein neues Businessmodell: Nach dem Vorbild des florierenden Internetgeschäfts mit Musik, Filmen und Apps wollen sie ebenfalls mit Software und Onlinediensten handeln. Seit diesem Monat rüstet BMW viele Modelle serienmäßig mit einer Sim-Karte aus. Die integrierte Mobilfunkverbindung kann nicht nur für den automatischen Notruf (eCall) genutzt werden, sondern ab 2014 auch für die Verbindung zum ConnectedDrive-Store. Dort gibt es Online-Entertainment im Überfluss und zusätzliche modulare Informationsdienste wie die Echtzeit-Stauinfo RTTI. Eine andere Nachrüstlösung verfolgt Mercedes mit dem DriveKit Plus: Im Zusammenspiel mit einem Smartphone funktioniert es ohne das teure Command-System und fest eingebaute Sim-Karte. Trotzdem sollen damit bis Ende des Jahres sogar Car-to-X-Angebote Einzug ins Fahrzeug halten: Ein Geisterfahrer-Alarm lässt sich damit ebenso spontan von Auto zu Auto weiterfunken wie die Warnung vor einem Stauende oder einer Wanderbaustelle. Ideal dafür ist der schnelle LTE-Mobilfunkstandard, der gerade ins Auto kommt (siehe links "Diese Woche").

Erweitern Sie Ihren Horizont

4 Bisher sieht und hört die Fahrzeugsensorik nur wenige hundert Meter weit, auch Häuserschluchten oder andere Hindernisse begrenzen den Radius. Mit Car-to-X-Meldungen bekommt der Fahrer ein sehr genaues Abbild auch der weiteren Fahrzeugumgebung. Noch schneller und genauer als die Verbreitung über den Mobilfunk ist die Wlan-Technologie. Damit können Warnmeldungen ohne Umweg über einen Zentralrechner direkt an viele Fahrzeuge in der Umgebung verschickt werden. Diese Form der drahtlosen Spontankommunikation wurde in den vergangenen Jahren erfolgreich beim Flottenversuch Sim TD rund um Frankfurt ausprobiert. Allerdings benötigen solche Ad-hoc-Netzwerke spezielle Sende- und Empfangsgeräte mit einer Reichweite von bis zu 500 Meter. Mindestens zehn Prozent der Fahrzeugflotte müssen derart ausgerüstet sein, damit die Technik funktioniert. Bis es soweit ist, werden etliche Jahre vergehen.

Ein etwas anderer Sensor steht mit dem Internet bereits zur Verfügung. Künftige Online-Routenführer und Fahrerassistenzsysteme werden auf topaktuelle Verkehrs- und Sensordaten aus dem Netz zurückgreifen. Per Crowd-Sourcing lassen sich Tausende Smartphones und Fahrzeugsensoren zu einem virtuellen Abbild des Verkehrsgeschehens vernetzen. Ampelphasen können so automatisch erfasst werden. Nach der Auswertung auf einem zentralen Server könnte ein Diensteanbieter zum Beispiel individuelle Tempoempfehlungen für das Surfen auf der grünen Welle versenden. "Multifunktionskameras wären billiger, wenn sie ihre Daten für solche Informationsservices zur Verfügung stellen würden", bestätigt Volkmar Tanneberger, Leiter der Volkswagen-Elektrik/Elektronik-Entwicklung. Noch ist nicht entschieden, in welcher Form die Wolfsburger anonymisierte Daten ihrer vernetzten Flotte nutzen werden. Bosch, Google & Co. stehen schon in den Startlöchern, um das Internet der Dinge auf den Weg zu bringen.

Lange war das Auto eine isolierte Blechbüchse mit beschränkten Kontaktmöglichkeiten zur Umwelt. Erst als voll vernetztes Schwarmwesen kann es sich von dem Wagenlenker emanzipieren, präzise vorausschauen und mit den Fahrzeugen in der Nähe kommunizieren. Dieses hochautomatisierte Fahrzeug wird schon bald selbständig parken und zumindest auf Autobahnen teilautonom fahren können. Bis der Pilot hinter dem Steuer Zeitung lesen kann, wird aber noch ein Weilchen vergehen.

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