Extrem-Rettung von der Royal Clipper:Am stählernen Faden

Alarmierende Diagnose auf dem Riesen-Segler: Ein akut schwer erkrankter Mann braucht Sauerstoff. Und ein Krankenhaus. Sonst stirbt er. Die nächste Klinik aber ist 1000 Kilometer entfernt. Es folgt: ein riskanter Heli-Einsatz. Ein Rettungsprotokoll.

Karl Forster

Am achten Tag der Reise klopfte der Tod an die Bordwand der Royal Clipper; die alarmierende Durchsage kam am frühen Morgen, als der Windjammer etwa 600 Seemeilen vor den Azoren durch den Atlantik pflügte: "Doctor, please come to the bridge immediately!"

Extrem-Rettung von der Royal Clipper: Die Royal Clipper, der größte Passagiersegler der Welt, misst 135 Meter und trägt 5050 Quadratmeter Segel.

Die Royal Clipper, der größte Passagiersegler der Welt, misst 135 Meter und trägt 5050 Quadratmeter Segel.

(Foto: Foto: Florian Wagner)

Susanne Breyer arbeitet normalerweise auf der Intensivstation einer Berliner Klinik und heuert, wenn sich die Chance ergibt, immer wieder als Schiffsarzt an. Nun ist sie zum ersten Mal auf einem Segelschiff - ein paar Fälle von Seekrankheit, ein paar Wehwehchen, die Ärztin hatte zunächst eine ruhige Zeit auf der Royal Clipper, dem größten Passagiersegler der Welt auf dem Weg von Barbados nach Malaga. Bis ein 83 Jahre alter Gast aus Amerika ein Lungenödem bekam.

Eine risikoreiche Premiere

Die Diagnose war eindeutig, die Lage auch: Der Patient brauchte dringend Sauerstoff. Und ein Krankenhaus. Sonst überlebt er nicht. Die nächste Klinik aber war noch 1000 Kilometer entfernt.

Die Brücke funkt die Azoren an. Gibt es einen Hubschrauber? Wo ist er stationiert? Welche Reichweite hat er? Noch nie in der Geschichte der Seefahrt wurde ein Mensch von einem Großsegler aus der Luft abgeborgen. Zu Zeiten der Windjammer gab es keine Helikopter. Und heute gibt es kaum noch Windjammer.

Dementsprechend überrascht war man dann auch seitens der portugiesischen Marine, die auf Flores, der nordwestlichsten Azoreninsel, stationiert ist, als aus dem Fax ein Profil jenes Schiffs glitt, von dem aus der Todkranke geholt werden soll.

Tags vorher war die Botschaft auf der Royal Clipper angekommen, man möge den Kurs um etwa 20 Grad Richtung Flores ändern, und wenn das Schiff in Reichweite des Helis ist, werde man die Rettung versuchen. Eine Koppelung der Koordinaten ergab, dass dies etwa um drei Uhr am Morgen des nächsten Tages sein werde. Als die Piloten das Fax sahen, das Bild des Schiffes mit seinen fünf bis zu 60 Meter hohen Masten, verschoben sie den Termin auf die Zeit nach Sonnenaufgang. Bis dahin reichte der lebensrettende Sauerstoff auf der Royal Clipper.

Am stählernen Faden

Dann startet ein Manöver, bei dem alle Beteiligten ihr ganzes Können unter Beweis stellen müssen. Die See ist ruhig, der Wind bläst mit nur zwei bis drei Beaufort aus Südwest. Am Horizont taucht der Helikopter auf - eine Westland Sea King MK 41, ein schweres Gerät, das auch bei Sturm noch einsatzfähig ist.

Die Westland Sea King ist ein seit langem im Rettungseinsatz bewährter Helikopter.

Die Westland Sea King ist ein seit langem im Rettungseinsatz bewährter Helikopter.

(Foto: Foto: Florian Wagner)

Die Mannschaft der Royal Clipper hat das Achterdeck präpariert: Der Besanbaum ist weitestmöglich nach steuerbord geholt worden. Am liebsten wäre es den Hubschrauberpiloten gewesen, man hätte das ganze Achterstag entfernt. Doch dann wäre die gesamte Statik des Riggs beim Teufel gewesen.

"Lift me up!"

Ein paar Landsleute klopfen dem Schwerkranken mit der Sauerstoffmaske über dem Gesicht auf die Schulter, seine Frau schaut verängstigt nach oben, wo sich der Hubschrauber wie ein riesiges Insekt auf Höhe des Besanmastes ans Heck heranpirscht, um das mit einem Gewicht beschwerte Leitseil der Winde auf das Deck abzulassen. Zuvor hat der Kapitän das Schiff mit dem Bug in den Wind gedreht und hält es mit langsamer Fahrt auf Kurs.

Zwei Matrosen haben feuerfeste Brandschutzanzüge und Helme übergestreift und stehen mit Schaumlöschspritzen in höchster Alarmbereitschaft auf dem Achterdeck. Doch sollte der Helikopter mit seinem Rotor den Mast berühren - es käme zu einer Katastrophe.

Dann schwebt das Leitseil aus der rechten Türe des Helikopters auf das Schiff zu. Dominique, der Erste Offizier, schnappt es sich und brüllt "I got it" in sein Funkgerät. Sekunden später gleitet ein behelmter Spiderman im Neoprenanzug mit vorgeschnallter Trage herab, zunächst außerhalb des Schiffes bis kurz über dem Wasser, dann lupft ihn der Heli durch einen kurzen Steigflug an Deck. Punktlandung.

Über der Gefahrenzone

Die Ärztin hievt mit ein paar Männern den Kranken auf die Trage, Spiderman höchstselbst schnallt ihn mit routinierten, trotz aller Eile fast gelassenen Bewegungen fest, hängt sein Gurtzeug in den Karabiner über der Trage und winkt mit dem rechten Arm: "Lift me up!" Der Hubschrauber gleitet wieder in die Gefahrenzone über dem Schiff, dann schweben beide über die Reling raus über das Wasser.

Der Rest ist Routine: Der Kran zieht Retter und Geretteten nach oben und schwenkt sie ins Innere des Helis. In weitem Bogen nimmt die Sea King Kurs auf Flores, das etwa 200 Meilen nordöstlich hinterm Horizont liegt.

Kapitän Klaus Müller verabschiedet sich über Funk vom Piloten: "Thank you very much. You did a great job." Der Pilot gibt das Kompliment zurück. Elf Minuten hat alles gedauert. Später wird sich einer der Passagiere "im Namen von uns allen" beim Kapitän bedanken, für vorbildhafte Seemannschaft und den Einsatz der Crew. Der Patient überlebt.

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