Ethanol:Revolution im Tank

Brasiliens Autofahrer zeigen, wie ein Land sich vom Öl unabhängiger machen kann - andere Nationen wollen folgen.

Bernd Radowitz

Rio de Janeiro - Die Tankstelle an der Avenida Brasil, einer von Rio de Janeiros gesichtslosen Ausfallstraßen, sieht aus wie überall auf der Welt. Viel Beton, mehrere Zapfsäulen, gelangweilte Tankwarts. Anders als in Deutschland, wo der Benzinpreis immer höher steigt, können viele Autofahrer in Brasilien aber ganz gelassen auf die bunten Preistafeln schauen.

Das liegt an der letzten Zeile auf der Preistafel. Dort steht "Alcool, 1,399 Real", und das sind umgerechnet nur etwa 45 Cent. Damit kostet der Bio-Treibstoff, der an fast allen Tankstellen in dem Riesenland erhältlich ist, nur etwas mehr als die Hälfte des Preises für Benzin.

"Volltanken", weist denn auch Adeilson Jarbas den Tankwart an. "Ich pumpe nur noch Alkohol in meinen Tank, ist doch viel billiger", sagt er genauso selbstverständlich wie Millionen andere Autofahrer vom Amazonas bis zum südlichen Porto Alegre. Das war nicht immer so.

Brasilien betreibt zwar bereits seit den Ölschocks der siebziger Jahre das weltweit größte Experiment mit Bio-Treibstoff. Dessen Kinderkrankheiten waren jedoch groß und teuer. Um sich von der Abhängigkeit von Erdölexporten zu befreien, drängten die bis 1985 regierenden Militärs Zuckerrohrbauern dazu, anstatt Zucker, Bio-Alkohol, auch Ethanol genannt, zu brauen.

Gleichzeitig wurden flächendeckend Tankstellen umgerüstet. Das erste rein mit Alkohol betriebene Auto rollte 1979 vom Band. Dank Steuervorteilen wurden Ende der achtziger Jahre fast nur noch Alkohol-Autos verkauft. Das Timing war allerdings mehr als ungünstig.

Die Ölpreise fielen wieder, und Brasilien konnte sein ehrgeiziges Alkohol-Projekt nur noch mit Milliarden-Zuschüssen über Wasser halten. Durch die Schuldenkrise so gut wie bankrott, beschloss der Staat, die Subventionen auslaufen zu lassen, während gleichzeitig viele Bauern auf die gerade wieder lukrativere Zuckerproduktion umstellten. Das Resultat: Alkohol-Engpässe, kilometerlange Schlangen vor den Tankstellen, völlig entnervte Autofahrer. Brasiliens Traum von der Unabhängigkeit vom Erdöl brach fast zusammen.

Durchbruch mit dem VW Fox

"Ich habe mein Alkohol-Auto damals schnell verkauft und wieder Benzin getankt", sagt der Elektronikunternehmer Joaquim Marques. Doch heute schwört er wieder auf den grünen Treibstoff aus den heimischen Zuckerrohrfeldern. Die zweite Alkohol-Revolution macht es möglich. Und die führte ein großer deutscher Konzern an: Volkswagen.

Der Autobauer brachte 2003 in Brasilien sein erstes Flex-Fuel-Modell auf den Markt, einen VW Fox mit einem Motor, der mit Alkohol, Normalbenzin oder mit jeder Mischung der beiden Treibstoffe läuft. Ein im Tank eingebauter Sensor signalisiert dem Motor den jeweiligen Mix.

Dadurch wird ein optimaler Wirkungsgrad des Treibstoffs erreicht. "Ich glaube jetzt wieder an Alkohol", begeistert sich Marques, der auch seinen Tank an der Avenida Brasil füllt. "Und wenn die Ölpreise fallen, tanke ich einfach wieder Benzin" sagt er und prescht auf dem 14-spurigen Highway davon.

Die Begeisterung, mit der die 184 Millionen Brasilianer auf die Einführung der Flex-Fuel-Autos reagiert haben, setzte die anderen Autofabrikanten in Zugzwang. Inzwischen bieten fast alle Hersteller solche Modelle an.

Über 300.000 Flex-Fuel-Autos wurden im ersten Halbjahr 2005 verkauft. Im Juni übertraf die Zahl der neu gekauften Flex-Autos erstmals die anderer Modelle. "So eine starke Nachfrage hatten wir nicht erwartet", sagt Sergio Kakinoff, Verkaufsdirektor bei VW Brasilien.

Sein Büro ist 500 Kilometer entfernt von der Tankstelle in Rio, von hier kann er auf die größte Autofabrik Brasiliens schauen, das VW-Werk Sao Bernardo do Campo bei Sao Paulo. Zehntausende von Arbeitern in Blaumann montieren auf dem Werksgelände Flex-Fuel-Autos.

Kakinoff glaubt inzwischen fest, dass in Brasilien bald nur noch Flex-Fuel-Modelle verkauft werden. "Das wird das gesamte Energiekonsum-Muster verändern."

Darauf setzt auch die boomende Zuckerrohrindustrie. "Fazendeiros" quer durch Brasilien pflügen derzeit Millionen von Hektar an Anbauflächen unter und stellen sie auf Zuckerrohrherstellung um.

Revolution im Tank

Sao Paulos mächtiger Zuckerrohrverband Unica schätzt, dass 2010 bereits 90 Prozent aller Neuwagen in Brasilien Flex-Fuel-Modelle sein werden. 90 Prozent dieser Autos, so die Prognose, werden Alkohol tanken.

Alkohol-Pipelines

Der Trend geht auch am staatlichen Ölmulti Petrobras nicht vorbei, der Brasiliens größtes Tankstellennetz betreibt. Der Konzern baut derzeit die ersten Alkohol-Pipelines der Welt, unter anderem von Sao Paulo nach Rio - in der Hoffnung auf gute Geschäfte mit dem Bio-Treibstoff.

Die Petrobras-Manager rechnen damit, 2005 erstmals mehr Erdöl in Brasiliens Südatlantik fördern zu können als die etwa 1,8 Millionen Barrels, die das Land am Tag verbraucht. Bis 2010 will das Unternehmen damit zum Netto-Ölexporteur von 300.000 Barrel pro Tag werden.

Sollten die Ölpreise auch nur annähernd ihren Höhenflug fortsetzen, könnte der Konzern noch mehr Öl ausführen, weil Brasiliens Autopark sich in eine Flex-Fuel-Flotte verwandelt und weniger Benzin verbraucht. Mit Exporten von über einer halben Million Barrel am Tag könnte Brasilien so auf der Weltbühne zu einem ernst zu nehmenden Öllieferanten aufsteigen.

Gleichzeitig rechnen Petrobras und andere Firmen auch mit einem Boom bei Alkohol-Exporten, da immer mehr Länder in Folge des Kyoto-Protokolls beschließen, den umweltfreundlicheren Treibstoff in ihr Benzin zu mischen. Alkohol gilt als emissionsneutral, da beim Zuckerrohranbau mehr vom Treibhausgas Kohlendioxid absorbiert wird als bei der industriellen Alkohol-Produktion und als Auspuffgase später in die Atmosphäre geblasen werden.

Brasilien mischt bereits 25 Prozent Alkohol ins Normalbenzin, was auch gewöhnliche Autos vertragen. Japan will bald bis zu zehn Prozent Alkohol beimischen und verhandelt derzeit mit Brasilien über Alkohol-Lieferungen.

In Deutschland ist bereits eine Beimischung von bis zu fünf Prozent Alkohol im Benzin erlaubt, aber nicht Pflicht. Deutsche Autohersteller verkaufen Flex-Fuel-Modelle nicht nur in Brasilien, sondern auch in den USA und Schweden, nicht aber in Deutschland.

Die Bundesregierung will in einem Modellversuch in Nordrhein-Westfalen erstmals Alkohol-Zapfsäulen in Deutschland einführen. EU-Bauern drängen jedoch bereits darauf, die Alkohol-Einfuhr aus Brasilien zu beschränken. Dabei ist die heimische Produktion von Bio-Treibstoff aus Getreide oder Zuckerrüben fast dreimal so teuer wie die Herstellung aus Zuckerrohr in Brasilien. Außerdem ist fraglich, ob Europa über ausreichende Anbauflächen verfügt.

Tankwart Santos an der Avenida Brasil kann darüber nur den Kopf schütteln. "Warum", fragt er, "kaufen die Deutschen den Alkohol denn nicht von uns?"

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