Entwicklungen:Wenn sich das Rad weniger rasch abnutzt

Entwicklungen: Leiser, energieeffizienter und wirtschaftlicher – so soll der Kesselwagen der Zukunft sein, den das Hamburger Unternehmen VTG entwickelt hat.

Leiser, energieeffizienter und wirtschaftlicher – so soll der Kesselwagen der Zukunft sein, den das Hamburger Unternehmen VTG entwickelt hat.

(Foto: VTG)

Um im Wettbewerb mit der Straße nicht abgehängt zu werden, forschen Eisenbahnbetreiber an innovativen Waggons, die leiser und wirtschaftlicher sein sollen.

Von Marco Völklein

Der Verkehrsminister schaut kurz vorbei am Stand der Deutschen Bahn (DB), drückt auf einen roten Knopf - und der Vorhang fällt. Dahinter kommt auf dem Stand der Messe "transport logistic", die in dieser Woche in München stattfand, ein großes, weiß lackiertes Ungetüm zum Vorschein, der laut DB weltweit erste vollelektrisch angetriebene Lkw, der autonom auf einer öffentlichen Straße fahren darf. Die Logistiktochter DB Schenker setzt den Laster in Schweden ein; das Einsatzspektrum indes ist überschaubar. Der selbstfahrende Truck, bei Schenker nennen sie ihn "T-Pod", befördert Reifen eines Herstellers von dessen Werk zu einem von Schenker betriebenen Logistikzentrum. Die Strecke zwischen Werk und Verteilzentrum beträgt einen Kilometer, das Höchsttempo des T-Pod fünf Kilometer pro Stunde. Mehr lassen die schwedischen Behörden noch nicht zu.

Noch nicht, betont DB-Schenker-Vorstand Christian Drenthen. Das Projekt autonom fahrender Truck stehe noch am Anfang. Doch vorstellen könne man sich weitere Einsatzzwecke. 15 Europaletten fasst der 24-Tonner, die Reichweite beträgt aktuell etwa 200 Kilometer. Künftig könnten, so stellen sie sich das vor bei Schenker, autonom fahrende Trucks vom großen Verteilzentrum aus die Waren weiterliefern an kleinere Verteilstationen im Umland größerer Städte. Von dort aus müssten dann Fahrer mit kleineren Liefer-Lkws in die Innenstädte steuern - das wilde Durcheinander von Radfahrern, Fußgängern und anderen Verkehrsteilnehmern stelle einen autonom fahrenden Truck wohl auch in ferner Zukunft vor allzu große Herausforderungen, räumen sie bei DB Schenker ein. Alles Zukunftsmusik? Vielleicht. Aber das Beispiel des T-Pod zeigt: Die Lkw-Branche setzt auf Innovationen.

Da muss die Schienengüterbranche nachziehen, findet Hanno Schell, verantwortlich für technische Neuentwicklungen beim Hamburger Waggonvermieter VTG. Aktuell werden nur etwa 19 Prozent aller Waren in Deutschland mit der Eisenbahn transportiert. Fast drei Viertel der Güter kommen über die Straße zu den Fabriken zur Weiterverarbeitung oder den Konsumenten. Wer das ändern wolle, sagt Schell, müsse "auch auf der Schiene Innovationen voranbringen". Leiser müssten die Transporte werden, um die Akzeptanz in der Bevölkerung beispielsweise für den Bau neuer Strecken zu erhöhen. Energieeffizienter müssten sie werden. Und vor allem müsse man dabei die Frage nach der Wirtschaftlichkeit im Blick behalten, sagt Schell. Denn im hart kalkulierenden Transportgewerbe zählt am Ende jeder Cent an zusätzlichen Kosten. Schell meint: Man könne noch so gute Technik für leisere Güterwaggons entwickeln, wenn diese sich am Ende nicht wirtschaftlich betreiben ließen, setzten sie sich nicht durch im Markt.

Deshalb hat die VTG zusammen mit der DB und unter Federführung des Bundesverkehrsministeriums vier Wagentypen entwickelt, die dem Güterverkehr auf der Schiene einen zusätzlichen Schub verschaffen sollen. "Innovative Güterwagen" nennen sich die vier Typen. Darunter ist zum Beispiel ein flexibler Autotransportwagen, dessen obere Plattform in der Höhe variabel verschoben werden kann, sodass auch große SUVs oder Transporter darauf verladen werden können. Zudem wurde ein gewichtsoptimierter Tragwagen für Container entwickelt. Das geringere Gewicht ist wichtig, um neuere, aber schwerere Komponenten zum Beispiel am Drehgestell verbauen zu können, ohne dass die Nutzlast sinkt. Denn nur so lässt sich auch ein innovativer Güterwagen kostengünstig betreiben.

Was damit genau gemeint ist, zeigt VTG-Manager Schell auf der Messe in München an einem neu entwickelten Kesselwagen. Der hat zum Beispiel Scheibenbremsen, die den Zug leiser machen, zugleich aber den Verschleiß am Radsatz nicht erhöhen so wie andere "Flüsterbremsen" für Züge. Die Räder am Drehgestell sind zudem radial einstellbar, was nicht nur den Energieverbrauch mindert, sondern auch die Abnutzung am Rad und an der Schiene reduziert. In der Schweiz, sagt Schell, würden Eisenbahnen, die mit solchen die Infrastruktur schonenden Wagen unterwegs sind, belohnt, indem sie weniger Trassenentgelte für die Nutzung der Gleise entrichten müssten. "Auch so kann sich Innovation am Ende auszahlen."

Bislang wissen viele Betreiber nicht, wo sich ein Waggon befindet

Eine weitere Herausforderung: Bislang wissen viele Güterwagenbetreiber nicht wirklich, wo sich der jeweilige Waggon befindet. Wird ein bestimmter Wagen gesucht, etwa weil er nach einer gewissen Zeit zur Revision in die Werkstatt muss, verschicken die Disponenten mitunter noch Faxe oder E-Mails und fragen: Hat irgendjemand den Wagen gesehen? "Und das im 21. Jahrhundert", sagt ein Branchenkenner. "Das darf man eigentlich gar nicht laut sagen."

Deshalb hat die VGT etwa die Hälfte ihrer Wagen mittlerweile mit einer Art GPS-Sender ausgestattet. Das Problem dabei: Güterwaggons sind bislang relativ simpel konstruierte Stahlgiganten, eine Stromversorgung fehlt meist. Schell und seine Leute haben dem Güterwagen-GPS daher ein Solarpanel zur Energieversorgung verpasst; mussten dabei aber auch viele Vorgaben zum Beispiel zum Explosionsschutz beachten oder das Gerät speziellen Schlagtests unterziehen. Schließlich geht es im Frachttransport mitunter auch mal ruppig zu, oder in den Waggons wird Hochentzündliches transportiert.

Dass sich die Eisenbahn weiterentwickeln muss, hat auch die Politik erkannt. Vor gut einer Woche eröffnete Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in Dresden das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung. Die Fachleute dort sollen insbesondere Projekte zur Digitalisierung und zur Automatisierung des Bahnverkehrs vorantreiben. "Die Schiene ist mehr als nur ein Stück Stahl auf einem Schotterbett", formulierte der Minister in seiner Eröffnungsrede. Die neue "Denkfabrik" solle "Innovationen schneller zur Anwendung bringen und noch mehr Menschen vom Bahnfahren begeistern".

Um die Neuentwicklungen zu erproben, fordert die Branche mehr Geld

Doch Branchenkenner wie Dirk Flege von der Schienenlobbyvereinigung "Allianz Pro Schiene" fordern, dass den wohlklingenden Worten nun noch weitere Taten folgen müssten. Die Einrichtung des Zentrums in Dresden zur Grundlagenforschung sei richtig und wichtig, sagt Flege, die fünf Millionen Euro pro Jahr gut angelegtes Geld. Doch zugleich müsse der Bund weitere Mittel zur Verfügung stellen, um neu entwickelte Techniken auch in der Fläche zu erproben und für viele Bahnbetreiber erschwinglich zu machen. Dazu hatte die Bundesregierung 2017 den Masterplan Schienengüterverkehr verabschiedet und als "Sofortmaßnahme" beschlossen, binnen fünf Jahren eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen, um zum Beispiel das automatische Rangieren in ausgewählten Rangierbahnhöfen zu testen. Doch die sofortige Umsetzung dieser Sofortmaßnahme lässt auch zwei Jahre danach auf sich warten, sagt Flege: Aktuell sieht der Entwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2020 kein Geld für die Innovationsförderung auf der Schiene vor.

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