Emissionsfrei in die Zukunft?:Countdown in China

Die Massenmotorisierung Chinas stellt vor allem die deutschen Autobauer vor Herausforderungen: Wie sie sich auf die emissionsfreie Zukunft in den Metropolen des Riesenreichs vorbereiten.

Joachim Becker

Krise, welche Krise? Das größte Problem der Automobilindustrie ist momentan, dass sie nicht schnell genug liefern kann. Luxusmodelle mit leistungsstarken Verbrennungsmotoren werden den hiesigen Herstellern geradezu aus den Händen gerissen.

Mobiles Leben

Studien-Objekt: Der BMW Einser ActiveE mit Lithium-Ionen-Batterie (1), Elektromotor (2), Leistungselektronik geht dem künftigen Projekt i voraus.

(Foto: BMW)

2010 stammten zum Beispiel drei Viertel der Premiumfahrzeuge, die in China neu zugelassen wurden, von deutschen Marken. Doch je rasanter die Vollgasfraktion unterwegs ist, desto schwieriger könnte die bevorstehende Energiewende werden. Gerade in den wuchernden Riesenstädten Chinas droht der Verkehrskollaps.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis konventionelle Verbrennungsmotoren in den Smog-geplagten Metropolen komplett reglementiert werden. Das asiatische Riesenreich setzt daher verstärkt auf abgasfreie Antriebe: Bis 2015 wird China 3,85 Milliarden Euro in die Elektromobilität investieren, erwartet der Verband der Automobilindustrie (VDA).

Bis 2020 rechnet Karl-Thomas Neumann, Vorstandschef von Volkswagen Group China, sogar mit einem Förderprogramm in Höhe von umgerechnet zwölf Milliarden Euro. 2020 sollen fünf Millionen Elektroautos auf Chinas Straße rollen. Dafür ist die allmächtige Zentralregierung bereit, den Kauf eines E-Autos mit umgerechnet bis zu 14.000 Euro zu fördern.

"Gerade die emissionsfreien Elektrofahrzeuge eröffnen neue Perspektiven, um den schnell zunehmenden Individualverkehr in China zu gestalten. Die deutsche Automobilindustrie strebt dabei eine führende Rolle an", erklärte VDA-Präsident Matthias Wissmann anlässlich der gerade zu Ende gegangenen Automesse in Shanghai.

Auch Daimler-Chef Dieter Zetsche demonstriert Zuversicht: "Wir haben das Auto erfunden. Jetzt erfinden wir es neu", verkündete er zum 125. Geburtstag des Motorwagens: "Wir wollen Technologieführer beim emissionsfreien Fahren sein", so Zetsche.

Der Erfolg des Autos 2.0 steht in den Sternen

Noch ist aber nicht ausgemacht, wie viel Erfolg das Auto 2.0 aus deutscher Produktion haben wird. Die weltweiten Technologieführer von Verbrennungsmotoren tun sich mit der CO2-freien Mobilität schwerer als andere. Renault investiert mit vier Milliarden Euro einen großen Teil seines Entwicklungsetats in vier Elektromodelle und will von 2015 an rund 500.000 pro Jahr davon produzieren.

Deutsche Controller zucken vor solchen Großserienprojekten bislang zurück. Die finanziellen und technologischen Risiken rund um die Batteriechemie sind ihnen noch zu groß - obwohl die deutschen Marken in China besser aufgestellt sind als die Renault-Nissan-Allianz. "Auch im Zeitalter der neuen Energien wollen wir Premium-Marktführer in China bleiben", betonte Audi-China-Präsident Dietmar Voggenreiter in Shanghai.

"Wir stehen heute mit der Elektromobilität vor einem nachhaltigen Systemwechsel", bekennt Rupert Stadler in einem Interview, "das Elektroauto ist mehr als eine weitere Produktvariante." Der Audi-Chef stellt die E-Mobilität auf eine Stufe mit Innovationen wie Quattro, Aluminium-Bauweise oder den Turbodiesel.

Die entscheidende Frage ist allerdings, ob es nur um einen neuen Antrieb geht, der das bestehende Angebot erweitert. Oder bedeutet die Elektrotraktion den größten Umbruch in der Geschichte der Branche - einen das Bestehende auflösenden Technologiewechsel wie die Einführung des PCs oder des Internets?

Rudolf Krebs sieht das skeptisch, obwohl er VW-Konzernbevollmächtigter für Elektrotraktion ist. Er rechnet für 2020 nur mit einem Marktanteil der Stromer von drei Prozent: "In China kann ich mir durch die massive Unterstützung der Politik vorstellen, dass es mehr wird." Aber alle Prognosen seien derzeit ein Blick in die Glaskugel.

2013 startet VW mit umgebauten E-Versionen des Kleinwagens Up und des Golf Blue-E-Motion. Wagemutiger sind die eigens entwickelten Elektrofahrzeuge unter der neuen Submarke BMW i. Als Großserienautomobile mit maßgeschneiderten Architekturen und Kohlefaserkarosserien betreten sie technisches Neuland.

BMW investiert in großem Stil

BMW investiert rund eine halbe Milliarde Euro in die Batterieautos und gibt sich entsprechend zuversichtlich: "Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2020 fünf bis 15 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge entweder reine Elektrofahrzeuge oder Plug-in-Hybride sein werden", sagt Klaus Draeger. Der BMW-Entwicklungsvorstand weiß aber nur zu gut, dass zwischen den beiden genannten Elektrovarianten der alles entscheidende Unterschied liegt.

Plug-in-Hybride basieren auf bestehenden Modellen, die um einen Elektromotor samt Hochvoltbatterie ergänzt werden. BMW präsentierte auf der Automesse in Shanghai eine Langversion der Fünfer-Limousine, die bei konstanten 60 km/h bis zu 75 Kilometer rein elektrisch zurücklegen kann.

2013 soll in China die Serienproduktion des Plug-in-Fahrzeugs zusammen mit dem Kooperationspartner Brilliance beginnen. Solche umgebauten "Conversion Vehicles" bedeuten zwar technischen Mehraufwand, aber keine komplette Umstellung von Entwicklung, Produktion und Vertrieb.

Völlig anders sieht es für Batterieautos ohne zusätzlichen Verbrennungsmotor aus. Hier müssen neue Technologien rund um das vernetzte Fahren zusätzliche Kaufanreize schaffen, sonst haben die teuren Stromer einen schweren Stand: "Solange das Elektroauto fast das Dreifache eines gewöhnlichen Kleinwagens kostet, aber nur ein Drittel seiner Reichweite bietet, wird die Rushhour ohne Lärm und Abgas wohl noch ein Wunschtraum bleiben", urteilte gerade das Fachblatt Auto Bild.

Was tun? Die Autobranche windet sich in der Sandwich-Position zwischen Politik und (unrealistischen) Kundenerwartungen. Absehbar ist, dass die Europäische Union nicht von ihren strengen Emissionszielen für 2020 (95 Gramm CO2 pro Kilometer) abrücken wird.

Eine einzige Zukunftstechnologie wäre fatal

Für eine solche Senkung des heutigen Flottendurchschnitts um 50 Prozent reichen Verbesserungen des Verbrennungsmotors vor allem bei schweren und leistungsstarken Modellen nicht aus. Nach PR-Pleiten wie der (meist nicht eingehaltenen) Selbstverpflichtung zur CO2-Reduktion auf 140 g/km bis 2008 können die Hersteller nicht auf Nachsicht aus Brüssel hoffen.

Klar ist aber auch, dass "Elektroautos am Anfang teure Autos sein werden", wie Norbert Reithofer einräumt. Der BMW-Chef rechnet für neue Fahrzeug- und Antriebskonzepte zunächst mit roten Zahlen: "Es kann sein, dass man während des ersten Produktlebenszyklus mit solchen Technologien kein Geld verdient. Da muss der konventionelle Antrieb die neue Technologie quersubventionieren", bekannte er 2010 Jahr auf einem Kongress des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA).

Die zentrale Frage ist, wer Treiber und wer Getriebener des Wandels ist. Genau wie die aktuellen Traktionsbatterien haben auch die ersten Mobiltelefone und Personal Computer fast so viel gekostet wie ein Kleinwagen. An ihrem durchschlagenden Erfolg hat das nichts geändert.

Wie in der IT-Revolution könnten auch in der Autobranche neue Wettbewerber wie Tesla Motors und Fisker die scheinbar exotische Luxusnische besetzen, die Preise drücken und das Kundenverhalten nachhaltig verändern. Das wissen die etablierten Autohersteller, die allesamt auf eine professionelle Schizophrenie zusteuern: Sie müssen sich sowohl in der Evolution als auch der Revolution des Automobilbaus bewähren.

"Es wäre fatal, wenn wir uns nur mit einer einzigen Technologie für die Zukunft aufstellen würden", sagt Daimler-Forschungschef Thomas Weber, "der Übergangszeitraum zum Nullemissionsfahrzeug wird länger dauern, als der ein oder andere denkt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: