Elektronikmesse CES :Hände weg vom Lenkrad

Elektronikmesse CES : Moderne Zeiten: Ob Autofahren je genauso aussehen wird, steht in den Sternen. Fest steht, dass das selbstfahrende Auto keine Utopie mehr ist.

Moderne Zeiten: Ob Autofahren je genauso aussehen wird, steht in den Sternen. Fest steht, dass das selbstfahrende Auto keine Utopie mehr ist.

(Foto: Volvo)

In Las Vegas herrscht Aufbruchstimmung: Möglichst bald soll autonomes Fahren Realität werden. Der rasante Technologiewechsel verändert schon jetzt die gesamte Branche.

Von Joachim Becker

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(Foto: imago/Westend61)

Hände hoch! Autofahrer sollen gefälligst die Finger vom Lenkrad lassen. In Wildwest-Manier jagt eine Ankündigung zum autonomen Fahren auf der CES die nächste. Sind das Schnellschüsse, um Aufmerksamkeit auf der weltgrößten Messe für Unterhaltungselektronik (6. bis 9. Januar) zu erregen? Oder erweist sich Las Vegas einmal mehr als Zockerparadies, in dem Milliardenkonzerne mit vollem Risiko pokern? Die Opel-Mutter General Motors setzt beispielsweise 500 Millionen Dollar auf das Start-up Lyft. Wie der Konkurrent Uber vermittelt die gerade einmal vier Jahr alte Internet-Plattform private Fahrer und Mitfahrer. Ziel der Zusammenarbeit ist die Entwicklung ein weltweiten Systems von Roboter-Taxis. Lyft ist schon jetzt in knapp 200 Städten rund um den Globus vertreten.

Das Internet wird zum Treiber einer völlig neuen Form individueller Mobilität - und die Autoindustrie wird zum Getriebenen der IT-Konzerne. In einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Roland Berger gaben knapp 30 Prozent der deutschen sowie amerikanischen und 51 Prozent der chinesischen Autobesitzer an, sie könnten sich vorstellen, selbstfahrende Robotertaxis zu nutzen, statt sich einen Neuwagen zu kaufen. Wer hätte sich einen derartigen Umbruch in dieser Branche vorgestellt, die so viel auf Traditionen hält? Bisher hat es die Autozukunft eher gemütlich angehen lassen: Bis 2015 wollte die US-Militärforschungsagentur DARPA ein Drittel aller Militärvehikel autonom fahren lassen. Was 2004 unweit von Las Vegas mit Wüstenrennen für unbemannte Fahrzeuge begann, wirkt freilich noch immer als Science Fiction.

Neue Art des Wettbewerbs

Die Zukunft hat also Verspätung. Trotzdem sieht die CES teilweise wie eine Automobilausstellung aus. Viele der 170 000 Besucher, Computerfreaks und Tech-Geeks träumen von intelligenten Maschinenwesen. Ein Mobilitäts-Startup wie Faraday Future liegt mit seinem Plan für fahrerlose Elektrofahrzeuge (SZ berichtete) voll im Trend. Die Fortschritte bei Elektroautos bleiben allerdings evolutionär und die Nachfrage bis auf weiteres mau. Digitale Geschäftsmodelle rund um das autonome Fahren können den angestammten Autoherstellern wesentlich gefährlicher werden. "Das ist eine neue Art des Wettbewerbs. In der digitalen Welt gilt der Grundsatz: alles oder nichts. Bei Internetplattformen machen wenige Gewinner das weltweite Geschäft unter sich aus", sagt Klaus Fröhlich: "Da müssen wir uns mit unseren Prozessen in der Automobilindustrie zum Teil völlig neu aufstellen und das Tempo deutlich erhöhen", so der BMW-Entwicklungsvorstand.

Kronzeuge dieser These ist das rasante Wachstum von Uber. Die Mobilitätsplattform aus Kalifornien hat wegen ihres Umgangs mit Gesetzen und Sozialstandards zwar weltweit mächtig Kritik kassiert. Tatsächlich geht es der Internet-Firma weniger um die Ausbeutung als viel mehr um die Abschaffung der Taxifahrer. Das ist der Grund, warum die Newcomer innerhalb von sechs Jahren 60 Milliarden US-Dollar an Investorenkapital einsammeln konnten. Hinter den Kulissen arbeiten die Kalifornier intensiv an allen Aspekten des automatisierten Fahrens. Mit ihren riesigen Kapitalreserven stocken sie momentan ihre Ressourcen zur Erforschung künstlicher Intelligenz massiv auf: Im Silicon Valley findet ein Wettlauf um das RoboTaxi der Zukunft statt.

Google fährt bei der Software-Entwicklung für das automatisierte Fahren weiterhin ganz vorne mit. Der IT-Konzern hat mit seiner autonomen Testwagenflotte seit 2009 etliche Millionen Kilometer zurückgelegt - weit mehr als jeder Autohersteller. Aus der Datenflut werden Algorithmen entwickelt, die Roboterautos bei ihren Entscheidungen helfen. Google betont bei jeder Gelegenheit, dass der Konzern keine Fahrzeuge bauen will. Trotzdem ist dieses Know-how zur Umfelderkennung und zum maschinellen Lernen extrem wertvoll: Wenn es Google gelingt, mehrere große Hersteller mit einem (Cloud-basierten) Umfeldmodell für das autonome Fahren zu beliefern, könnte daraus ein weltweiter Standard entstehen. Googles führendes Mobilfunk-Betriebssystem Android lässt grüßen.

Autobauer drücken aufs Tempo

Nicht nur die deutschen Autohersteller und Zulieferer wie Bosch, Continental und ZF hätten Mühe, gegen die Entwicklungsmacht der IT-Giganten anzukommen. Auch Toyota hat die Zeichen der Zeit erkannt: Vor wenigen Wochen kündete Konzernchef Akio Toyoda an, er wolle rund eine Milliarde US-Dollar in ein Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz investieren. In den kommenden fünf Jahren will der weltgrößte Autobauer damit im Silicon Valley die Grundlagen für das autonome Fahren schaffen. BMW hat das Team für maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz bereits in den vergangenen vier Jahren von wenigen Mitarbeitern auf 400 Experten aufgestockt. "Wir werden hier mit hohem Tempo weitergehen", erklärt Klaus Fröhlich auf der CES.

Kurz nach seinem Amtsantritt hat der neue BMW-Chef Harald Krüger eine grundlegende Strategiediskussion für die nächsten zehn Jahre angestoßen. Bereits entschieden ist "BMW i 2.0" im Bereich Elektrik-/Elektronik: "Wir fahren zweigleisig. Parallel zur Evolution bestehender Fahrzeugarchitekturen und Fahrerassistenzsysteme entwickeln wir die übernächste Generation des Bordnetzes und der Cloud-basierten Dienste", verrät Fröhlich. Um Zeit zu sparen, finden Forschung und Entwicklung also gleichzeitig statt. Das Problem ist der nötige Nachschub an Fachkräften: "In Deutschland gibt es zu wenig Forschung und Lehre rund um die künstliche Intelligenz und Robotik. Der Bedarf an gut ausgebildetem Nachwuchs ist 10 bis 20 Mal höher, als es die Universitäten hergeben. Da sind die USA weit vorne", so Fröhlich.

Alles ist möglich - das ist die Grundstimmung auf der CES. Das Tempo bei der Datenverarbeitung im Auto macht rasante Fortschritte. Nach Tesla und dem BMW Siebener startet auch die neue Mercedes E-Klasse mit einer schnellen Ethernet-Bordnetz. Damit lassen sich große Datenmengen nahezu in Echtzeit zwischen den Steuergeräten austauschen. Als erstes Serienfahrzeug hat die neue E-Klasse auch schon eine Testlizenz zum autonomen Fahren in Nevada erhalten. Ihr Drive Pilot kann anderen Wagen wie in einem Fischschwarm folgen. Das System orientiert sich bis 130 km/h so genau an anderen Fahrzeugen, dass es selbst bei uneindeutigen Fahrbahnmarkierungen in Baustellen aktiv lenken kann. Weil eine Stereokamera und Radarsensoren bereits an Bord sind, genügen kleinere Softwaremodifikationen im Steuergerät, um den Drive Pilot fit für die Testfahrten zu machen.

Laser scannt den Straßenrand

Wenn man die politische Diskussion in den USA verfolgt, könnte das freihändige Fahren mit Tempolimit schon bald auf dortigen Car Pool Lanes erlaubt sein. Tesla-Chef Elon Musk glaubt ohnehin, dass der Autopilot nur noch eine Frage des technischen Feintunings ist. Sicher scheint: Wer den Menschen am Steuer komplett ersetzen will, wird ohne Laserscanner kaum auskommen. Audi will im neuen A8 (2017) erstmals ein solches Lidar-System in Serie bringen. Die rotierende Laserdiode sendet pro Sekunde fast 100 000 Infrarot-Lichtimpulse auf vier Ebenen aus. Für das menschliche Auge sind sie unsichtbar, doch kein anderer Sensor kann gleichmäßige Muster wie Zäune, Mauern oder Wände besser auflösen. Auch Gefahrensituationen mit Fußgängern und Radfahrern lassen sich mit Laserscannern entschärfen. Noch immer wirken die Roboter auf Rädern reichlich kopflos, wenn sie abgesicherte Fahrspuren verlassen und in den chaotischen Stadtverkehr eintauchen. Deshalb setzt Google seit langem hoch entwickelte Lidar-Systeme ein.

Der Zulieferer Delphi hat auf der CES einen Laser-Scanner für 2019 angekündigt, der den Preis von 30 000 auf 250 Euro senken soll. Selbst das ist vielen Autoherstellern noch zu teuer, weil sie mehrere dieser optischen Sensoren einsetzen wollen. Vor 2020 wird es aber keine Lidar-Halbleiterlösung geben, die auf alle beweglichen Teile verzichten kann - und nur noch rund 100 Euro pro Stück kostet. "Wir brauchen beim autonomen Fahren also keine Schnellschüsse, sondern Durchhaltevermögen, um einen langen Weg zu gehen", ist sich Christoph Grote, Chef der BMW Forschung sicher.

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