Elektromobilität:Mehr Lebenszeit für Autofahrer

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Hakan Samuelsson

Bei Volvo hat Håkan Samuelsson das Steuer auch mit 66 Jahren noch fest in der Hand. Zwei Jahre will er noch bleiben – und vorher alle neue Modelle auf Elektroantrieb umstellen.

(Foto: Uli Deck/picture alliance/dpa)

Volvo-Chef Håkan Samuelsson liebt schwedische Autos und chinesisches Geld. Nun plant er, als erster etablierter Hersteller der Welt nur noch neue Modelle mit Elektromotor auf den Markt zu bringen.

Von Silke Bigalke und Max Hägler

Der Wagen, der draußen auf ihn wartet, ist natürlich nicht irgendein Auto. Es ist derzeit das einzige seiner Sorte, das in Europa herumfährt. "Chinesisch", sagt Håkan Samuelsson grinsend, sein Fahrer hält ihm die Tür auf.

Die Limousine passt kaum zum grauen Schick des schwedischen Bürogebäudes in Göteborg. Auf dem Heck steht groß Volvo, doch unter der Modelbezeichnung S90 sind die Zeichen: chinesisch. "Ist schön, das auszuprobieren", sagt der Volvo-Chef über dieses Auto in Langversion. "Ist auch größer." Dann sind Håkan Samuelsson und sein chinesischer Spezialwagen verschwunden.

Der Chef von Volvo ist, neben dem Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, der wohl bekannteste Wirtschaftsmensch Schwedens. Und wer die jüngsten Zahlen ansieht, kann sagen: einer der erfolgreichsten. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn dieses Jahr nicht wieder ein Rekordjahr würde. Auch in Deutschland, wo er neun Jahre bei MAN gearbeitet hat, erst als Chef der Nutzfahrzeugsparte, dann als Vorstandsvorsitzender, schauen sie auf ihn. "Der Elektro-Schocker" wurde er jüngst vom Handelsblatt genannt. Als erster etablierter Hersteller der Welt will Volvo vom Jahr 2019 an nur noch neue Modelle auf den Markt bringen, die einen Elektromotor enthalten, und sei es nur zum Hilfsantrieb, als Hybrid. Der schwedische Konzern möchte so zukunftsorientiert, so elektrisch sein wie Tesla, und doch besser. Schließlich hat er 90 Jahre Erfahrung im Autobau.

Der Weg dorthin ist nicht immer leicht. Für Volvo nicht, und für Samuelsson auch nicht. Denn als er im Jahr 2012 Chef von Volvo wurde, da übernahm er ein Unternehmen in Schwierigkeiten, eines mit einem großen Namen, aber - so meinten die Beobachter - ohne große Zukunft.

Kurz danach besuchte Samuelsson die große Autoschau in Frankfurt. An einem gemütlichen Abend während der Messe sinnierte er in einem dunklen Weinlokal über sein Ideal: Volvos müssten künftig wieder mehr nach Volvo ausschauen. Skandinavisch nüchtern, mit diesen typischen Abbruchkanten, denen man den innewohnenden extragehärteten Stahl ansah. Ein Volvo war früher beinahe genauso unverkennbar wie eine Ente von Citroën. So sollte es weiterhin sein, oder besser gesagt wieder, nachdem Volvo die Jahre zuvor so mittelmäßig aussah und vielleicht auch deswegen so sehr in der Krise steckte.

Doch was ist von den angestrebten Kanten geblieben? Das Auto, das vor der Tür wartet, hat jedenfalls keine mehr. "Volvo muss nicht eckig und kantig sein", sagt der Chef inzwischen. Und auch er selbst, den sie in München schon mal als "sturen Elch" bezeichneten, scheint es inzwischen gezielt zu vermeiden, anzuecken. Er ist nun dabei, Volvo neu zu designen. Das Unternehmen anzupassen an die Umstände. An die Klimaauflagen. An eine neue Kundengeneration, die keine Autos mehr besitzen möchte. Und an die Wünsche des chinesischen Eigentümers Geely, der Volvo im Jahr 2010 für 1,3 Milliarden Dollar von Ford gekauft hatte.

Selten in der Wirtschaft sind Europa und China so eng verzahnt wie in Göteborg, verbunden mit allen Chancen und Unwägbarkeiten, die diese ungewöhnliche Konstellation mit sich bringt: Hier ein europäisches Unternehmen mit langer Tradition und viel Know-how, dort ein asiatisches mit langem Atem und viel Geld.

Deutschland ist die Messlatte, in jeder Hinsicht

Geely ist chinesisch und bedeutet: "Glück verheißend". Mit Selbstbewusstsein begann man vor zwei Jahrzehnten mit dem Wagenbau, war damit der erste privatwirtschaftliche Autokonzern Chinas. Mittlerweile gibt es schon eine ganze Markenfamilie, die auch auf Volvo-Technik zurückgreift: Polestar heißt eine neue Sportwagen-Marke. Für die Mittelklasse werden Autos namens Lynk & Co angeboten. Auch die Londoner Taxis gehören mittlerweile zu diesem chinesischen Konzern: Sie fahren elektrisch, mit Hilfe der Schweden. Bleibt da Raum für eigene Entscheidungen? Håkan Samuelsson sagt, er könne ganz frei vom chinesischen Eigner agieren, er spricht von "Distanz auf Armlänge", von gemeinsamen Projekten und von Vertrauen. "Da gibt es kaum Überwachung, auch wenn das immer wieder einmal geschrieben wird."

Volvo bleibe eine schwedische Marke. Eine Marke, die es ohne die Chinesen heute wohl nicht mehr geben würde - sie waren die Retter vor der drohenden Pleite. Könnten Volvo und Geely also zum Vorbild werden in der globalen Wirtschaft? Die Ziele, die Samuelsson verfolgt, sind jedenfalls ehrgeizig. Er will die Zahl der Autos, die Volvo verkauft, innerhalb der nächsten drei Jahre von 500 000 auf 800 000 erhöhen. Er will sich heranpirschen an BMW, Daimler und Audi, die drei deutschen Premiumhersteller, die heute alle jeweils mehr als zwei Millionen Fahrzeuge bauen, aber beim Umstieg auf die Elektromobilität nicht ganz so radikal und getrieben sind. Die meisten Autos setzt Volvo inzwischen zwar in China ab. Doch Deutschland ist die Messlatte, in jeder Hinsicht: "Wenn wir es in Deutschland nicht schaffen, können wir in Europa aufgeben", sagt er über seine alte Wirkungsstätte. Vielleicht ist der einst kastenwagige Volvo deswegen so gefällig geworden, kaum zu unterscheiden von den deutschen Marken.

Auch wenn Samuelsson sagt, dass er immer noch ein prägnantes Design habe. Man müsse sich nur das T-förmige Licht anschauen, erklärt er. Sie nennen das "Thors Hammer", Samuelsson zeigt in einer Broschüre Lampen, wie sie auch sein chinesischer Dienstwagen hat. So kurios funktioniert Markenbildung heutzutage: über die Form des Lichtes. Samuelsson selbst hat wenig von einem Donnergott. Zufrieden lächelt er, als er zuvor an diesem sonnigen Tag in seinem Büro empfängt. Wobei: Büro trifft es kaum, er hat den Stehtisch davor gewählt. Die alte Volvo-Zentrale in Göteborg wird gerade renoviert, Samuelsson ist in ein Provisorium gezogen. Die ganze Routine, die andere Manager wie eine Schutzhülle brauchen, Besprechungsräume, sorgsam angerichtete Wasserflaschen, das fehlt hier. Håkan Samuelsson wirkt trotzdem so entspannt wie einer, dem nichts passieren kann. Vielleicht ist das auch die Gelassenheit eines erfahrenen Menschen, 66 Jahre alt ist er.

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