Elektromobilität:Energie von der Straße

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Elektrofahrzeuge müssen künftig nicht ständig an die Steckdose. Sie lassen sich auch ohne Kabel aufladen - im Zweifel sogar bei Tempo 100.

Klaus C. Koch

Steckdosen-Smarts, E-Minis und Tesla-Roadster: Die Flotte der strassenzugelassenen Elektrofahrzeuge hat bereits passable Modelle hervorgebracht. Die Achillesferse ist nach wie vor die Energieversorgung und damit das Problem, es bis zur nächsten Steckdose zu schaffen.

Spannung gehalten: So könnten bald Ladestationen für E-Autos aussehen. (Foto: KCK)

Für Jochen Mahlein ist das nicht das Einzige, was ihn an der Null-Emissions-Industrie stört. "Schauen Sie sich mal diesen Kabelverhau an", stöhnt der Ingenieur mit einem Seitenblick auf Verteilerdosen, Verlängerungskabel und Steckern, die auf einer Demonstrationsstrecke am Rheinufer vor dem alten Plenarsaal des einstigen Bundestages in Bonn auf dem Boden herum liegen.

Vor einem Kleinlaster, der aussieht wie eine Schrumpfversion des US-Geländewagens Hummer, legt der Chefentwickler des in Bruchsal beheimateten Antriebsherstellers SEW-Eurodrive eine ganz andere Platte auf. Mit einem Quadratmeter großen Stück aus rötlich braun schimmerndem Epoxydmaterial, auf dem vier Bühnenscheinwerfer montiert sind, nähert er sich einer Platte derselben Grösse.

Als er auf Handbreite heran ist, beginnen die Scheinwerfer zu leuchten. Kein Kabel, kein Stecker. Woodoo? Mahlein lacht. Natürlich nicht. Die Scheinwerfer sollen nur zeigen, dass hier berührungsfrei Energie übertragen wird. Und zwar im Kilowatt-Bereich. Also in Mengen, die für Licht, Heizung und einen Motor reichen.

Genutzt wird der induktive Effekt, der heutzutage in fast jedem elektrischen Gerät, von der Zahnbürste bis hin zum Lautsprecher in der Stereoanlage, Verwendung findet. Er beruht darauf, dass ein elektrischer Leiter, der von wechselnden Strömen durchflossen wird, ein Magnetfeld aufbaut.

Durch einen Ferrit- oder Eisenkern gebündelt, ist das Magnetfeld dieser sogenannten Primärspule geeignet, Spannung in eine benachbarte (Sekundär-)Spule, die auch nur aus einem aufgewickelten Draht bestehen kann, zu übertragen. Von Wechselfeldern durchpulste Spulen werden von Elektrizitätsversorgern seit über hundert Jahren zur Energieübertragung verwendet.

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Mahleins Kleinlaster nimmt Energie aus einer Kabelschleife auf, die im Boden verlegt ist und lädt damit seine Bordbatterie auf. Ein Pegelinstrument zeigt an, wenn die flach eingebauten Schleifen sich überlappen und die übertragene Energie ihren Höchstwert erreicht. Feinarbeit beim Rangieren? "Mitnichten", sagt Ingenieur Thorsten Götzmann. Der Autor darf es selbst ausprobieren. Einparken wäre dagegen Schwerarbeit.

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Wilfried Nietschke, Leiter der Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr IAV, die für VW und weitere Autohersteller an Elektronik, Antriebssträngen und Fahrzeugentwicklung arbeitet, hat bereits das Konzept für einen kabellosen Elektro-Taxi-Stand in der Tasche. Elektrofahrzeuge könnten über die Ladeplatte im Boden nicht nur ihre Bordbatterien aufladen, sondern bei stehendem Fahrzeug den Akku schonen, indem sie zugleich Heizung und Bordsysteme mit Energie versorgen.

"Die müssen dann nicht jedes Mal, wenn sie in der Warteschlange ein Stück weiter fahren, den Stecker ziehen und vorne wieder einstöpseln", so Nietschke. Die Energieübertragung funktioniert auch dann, wenn die Induktivschleife - ähnlich wie beim Transrapid - als eine Art offener Trafo verlegt wird, und das Fahrzeug gar nicht stehen bleibt, sondern weiterfährt. Das Magnetfeld wandert dann unter dem Fahrzeug mit. Nietschke hält diese Methode auch auf Ladespuren anwendbar, die mit verringertem Tempo auf der Autobahn genutzt werden könnten. Sind die Bordbatterien geladen, wechselt der Autofahrer wieder auf die Überholspur.

Über drahtlose Informationsübertragung wie mit Wlan oder per SMS könnte die Abrechnung erfolgen. Aus- und eingeschaltet wird die Stromübertragung auf dem Fahrbahnstück nur, wenn sich ein mit entsprechender Kennung versehenes Fahrzeug darüber befindet. Energiesystem-Spezialisten von Conduktix-Wampfler realisierten bereits 2003 in Turin ein System mit 23 Elektrobussen, deren Batterien jeweils an den Endhaltestellen induktiv aufgeladen werden.

Der Haken dieser Energieübertragung könnte der Standby-Effekt auf der Ladespur sein, der mit dem eines elektrischen Geräts vergleichbar ist, das momentan zwar nicht genutzt wird, dessen Stromversorgung aber am Netz hängt. In Deutschland beläuft sich der geschätzte Leistungsbedarf pro Jahr dafür bereits auf mehr als zwei Gigawattstunden - fast schon die Jahresleistung eines kleineren Atomreaktors.

© SZ vom 02.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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