Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Ein Stecker wie ein Tempo-Taschentuch

Als das Elektroauto aufkam, entwickelte Walter Mennekes als Erster den passenden Ladestecker. Sein System ist heute europäischer Standard - auch wegen eines Fußballspiels.

Von Peter Fahrenholz

Wer weiß, wie die Geschichte ohne den Fußball ausgegangen wäre. Da hätte Walter Mennekes womöglich in die Röhre geguckt und die Franzosen hätten am Ende das Rennen gemacht, obwohl sie das technisch unterlegene Produkt hatten. Seit 80 Jahren produziert die Firma Mennekes aus Kirchhundem im südlichen Sauerland Stecker und Steckverbindungen für die Industrie. Aus einem kleinen Handwerksbetrieb ist im Laufe der Jahre eines jener mittelständischen Unternehmen geworden, die in ihrem Segment auf dem Weltmarkt eine führende Rolle spielen.

Mehr als 1000 Mitarbeiter hat die Firma, davon etwa 560 am Stammsitz in Kirchhundem, 16 000 unterschiedliche Artikel werden dort erzeugt. Mit der Autoindustrie hatte der westfälische Steckerhersteller lange nichts zu tun. Aber als vor etwa sieben Jahren das Thema Elektromobilität aufkam, haben sie in Kirchhundem schneller geschaltet als anderswo. Ein Elektroauto muss aufgeladen werden, und dazu braucht man einen Stecker. "Da haben wir gesagt: Stecker, das sind wir, diesen Stecker müssen wir bauen", erzählt Firmenchef Walter Mennekes.

Kontaktaufnahme beim Bayern-Spiel

Die Firma aus dem Sauerland hat Kontakte zu Fachleuten von RWE und Daimler aufgenommen und in aller Stille einen Prototypen entwickelt. Und nun kommt der Fußball ins Spiel. Walter Mennekes sitzt seit vielen Jahren im Verwaltungsbeirat des FC Bayern, regelmäßig besucht er die Spiele des Klubs. Auch Martin Winterkorn, der Vorstandsvorsitzende von VW, ist als Mitglied des Aufsichtsrats mit den Bayern verbandelt und sitzt öfter auf der Tribüne.

Also hat Walter Mennekes im November 2008, als die Bayern gegen Wolfsburg spielten, den VW-Klub, im Büro von Winterkorn anfragen lassen, ob der ein paar Minuten Zeit für ihn habe. "Als kleiner Steckerhersteller hätte ich ja nie einen Termin bei Winterkorn gekriegt", sagt Mennekes. Winterkorn und Mennekes plaudern im Ehrengastbereich miteinander, auch Mennekes' Ehefrau Petra ist dabei. Ob sie bei Volkswagen denn schon einen Stecker für das Projekt Elektroauto hätten, will Mennekes wissen. Keine Ahnung, erwidert Winterkorn und fragt dann: "Haben Sie einen?""Ja", sagt Mennekes und zieht aus der Handtasche seiner Frau den Prototypen heraus. "Kann ich den hann?", fragt Schwabe Winterkorn.

Ganz hinten am Tisch

Das ist der Anfang, aber beileibe noch nicht der Durchbruch. Aus dem Bereich der Industriestecker, wo es eine weltweite Norm gibt, wusste Mennekes: Ohne einen einheitlichen Standard wird das nichts mit dem Elektroauto.

Im Frühjahr 2010 wird Mennekes zur Nationalen Plattform Elektromobilität im Kanzleramt eingeladen. Da sitzen die Bosse von Autoindustrie und Energiekonzernen, die Kanzlerin und die Minister, die mit dem Thema irgendwie befasst sind, an einem Tisch. "Und der Mennekes Walter aus Kirchhundem", sagt Mennekes nicht ohne Stolz. Mennekes sitzt in einer langen Reihe ziemlich weit hinten und kann die Polit-Riege vorne kaum sehen. Er bittet den Porsche-Chef Matthias Müller, der neben ihm sitzt, ein wenig nach hinten zu rücken. Der habe erst unwillig reagiert. Bis Mennekes ihm zuraunt: "Ich fahre den sechzehnten Porsche, wenn's der siebzehnte werden soll, dann rücken Sie ein bisschen".

Als ihm der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla das Wort erteilt, zieht Mennekes ein Kabelgewirr aus seiner Tasche, das wie ein Blumenstrauß aussieht. An der Spitze jedes Kabels steckt, statt der Blüte, einer der zahlreichen Steckeradapter, die man braucht, wenn man ins Ausland reist. Solle man da jetzt, wenn man im strömenden Regen vor einer Ladesäule stehe, jedes Mal rumfummeln müssen, um den passenden Stecker zu finden, fragt er in die Runde. Deshalb brauche man einen einheitlichen Stecker. Die Kanzlerin war da gerade draußen und kommt zurück, als Mennekes spricht. "Herr Mennekes, können Sie das für mich wiederholen", bittet sie - da darf Mennekes alles noch mal erzählen.

Was auf den ersten Blick aussieht, als ob hier ein pfiffiger deutscher Mittelständler mal eben so den europäischen Markt erobert, ist natürlich viel schwieriger gewesen. Denn Mennekes ist nicht allein. Die Japaner haben bereits ein System entwickelt, das als "Typ 1" bezeichnet und auch in den USA verwendet wird. Das japanische System gilt aber als zu schwach, seine Ladekapazität ist zu gering. Der von Mennekes entwickelte "Typ 2" ist weit leistungsstärker, doch die Franzosen wollen unbedingt ein eigenes System, den "Typ 3", durchsetzen. Und wer die Franzosen kennt, weiß, dass es in solchen Fragen nicht nur um die bessere technische Lösung geht, sondern dass immer auch der ganze Stolz von La France als Industrienation in der Waagschale liegt. Also wird auf europäischer Ebene erbittert um eine einheitliche Norm gerungen. "Das ging durch Hunderte von Runden", sagt Volker Lazzaro, Geschäftsführer bei Mennekes.

Eine dieser Sitzungen findet im Februar 2011 in Brüssel bei EU-Kommissar Günther Oettinger statt, der zu diesem Zeitpunkt für Energie zuständig ist. Während die Franzosen für ihr Projekt Papiere mitgebracht haben, lässt Mennekes auf einer Sackkarre eine 120 Kilo schwere Ladesäule samt Kabel in Oettingers Büro schaffen. Da hätten die Franzosen vielleicht geguckt. Mennekes macht schließlich das Rennen, auch, weil er eine zweite Variante entwickelt, die auch den französischen Vorschriften entspricht.

Wie beim Tempo-Taschentuch

Darüber ist viel Zeit vergangen, den Chinesen hat die endlose europäische Diskussion zu lange gedauert, sie haben ein eigenes System entwickelt. Doch immerhin für Europa ist die Sache klar: Von 2017 an sollen alle neuen Elektroautos mit dem Typ-2-System ausgerüstet werden. Mennekes hat seine Schutzrechte daran freigegeben, ein Monopol hätten die Franzosen nicht akzeptiert. Mennekes reicht, dass die Entwicklung mit seinem Namen verknüpft ist. Das sei wie beim Tempo-Taschentuch.

Technisch wären eigentlich alle Voraussetzungen geschaffen, damit das Elektroauto seine Nische verlassen und zu einem Massenprodukt werden könnte. Doch nicht nur in den Augen von Walter Mennekes tut die Politik zu wenig dafür, auch aus der Autoindustrie hört man entsprechende Klagen. Im Jahr 2010 hat Angela Merkel verkündet, nach zehn Jahren sollten eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen fahren. Jetzt sind fünf Jahre vorbei, "und rumfahren tun nur 40 000", sagt Mennekes, "da muss man in der zweiten Halbzeit noch gewaltig zulegen". Vor allem mit dem Aufbau eines flächendeckenden Ladenetzes geht es nur schleppend voran. "Das sind Dinge, die brauchen eine Anschubfinanzierung", sagt Mennekes-Geschäftsführer Lazzaro.

"Keine klaren politischen Signale aus Berlin"

An Bekenntnissen fehlt es nicht und auch nicht an Selbstlob. Deutschland habe "in der Marktvorbereitungsphase zwischen 2011 und 2014 gute Fortschritte gemacht", heißt es in einer Pressemitteilung des Verkehrsministeriums vom Juni. Das Elektromobilitätsgesetz der Bundesregierung, das seit Mitte Juni in Kraft ist, begnügt sich damit, den Kommunen die Möglichkeiten zu geben, E-Autos im Verkehr zu privilegieren, etwa indem sie Busspuren benützen dürfen. "Es kommen keine klaren politischen Signale aus Berlin", beklagt Stephan Kühn, Verkehrsexperte der Grünen-Fraktion im Bundestag. Die Grünen fordern deshalb einen staatlichen Kaufzuschuss von 5000 Euro für E-Autos und, so Kühn, eine "Beschaffungsoffensive" der öffentlichen Hand für ihre eigenen Dienstfahrzeuge. "Wenn das Thema Fahrt aufnehmen soll, dann muss man auch Geld in die Hand nehmen", sagt Kühn.

Steckerpionier Walter Mennekes hofft auf "Leuchtturmprojekte", um den Durchbruch zu schaffen. Ansätze dazu gibt es. So will etwa die Stadt München in den nächsten Jahren 30 Millionen Euro in die E-Mobilität investieren. Dazu gehört der Ausbau des eigenen Ladenetzes und die Förderung privater Ladestationen ebenso wie direkte Kaufprämien für Lieferfahrzeuge und Taxis. "Das ist ein Anfang", sagt Münchens zweiter Bürgermeister Josef Schmid (CSU), der auch das Wirtschaftsreferat leitet, "und wir sind jederzeit bereit, nachzujustieren".

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SZ vom 05.09.2015/harl
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