Ökokiste, Familienkutsche oder Supersportwagen? Dieses Auto passt in keine Schublade. Für die einen ist das Model X das erste voll familientaugliche Elektromobil, in dem man (bei aufgeklappten Fondtüren) sogar aufrecht stehen kann. Für die anderen ist der Flügeltürer eine rund 135 000 Euro teure Spielerei: Öko-Schick für die Betuchten.
Die Befürworter trifft man an Teslas Superchargern. Meist Technik-affine Männer im besten Alter, die ein Zeichen setzen wollen. Und das darf beim Tesla gerne etwas größer ausfallen. Zum Beispiel fünf Meter lang, 2,20 Meter breit und 2,5 Tonnen schwer. Das Trumm übt sich gar nicht erst in Bescheidenheit. Mit seiner XXL-Frontscheibe, die bis über die Köpfe reicht, rückt das Model X optisch an einen ICE-Triebkopf heran.
Tesla-Kunden fungieren als gutmütige Testfahrer
Die Selbstdarstellung hinter dem rollenden Schaufenster ist wichtiger als profane Kosten-Nutzen-Analysen. Das haben viele Tesla-Kunden mit den traditionellen Käufern von Luxusautos gemein. Über den eingeschränkten Gebrauchswert sehen Visionäre genauso hinweg wie über die Kinderkrankheiten. Etwa 20 000 Model X hat Tesla innerhalb eines Jahres weltweit verkauft - trotz gravierender Qualitätsprobleme. Die erschreckend lange Mängelliste hat Tesla selbst veröffentlicht, um die jüngsten Fortschritte zu feiern. Etablierte Hersteller würden für derart unausgereifte Produkte an den Pranger gestellt. Doch Tesla-Kunden fungieren erstaunlich gutmütig als Testfahrer. Hauptsache das Innovationstempo und das Image stimmen.
Soweit die Fan-Perspektive. Für weniger hartgesottene Weltverbesserer sieht die Sache etwas profaner aus. Zum Beispiel die Mär von der Langstreckentauglichkeit. Wer heute mit einem Elektromobil unterwegs ist, kommt abseits der Metropolen schnell in die Bredouille. Das ist nicht anders als bei den Auto-Pionieren vor 130 Jahren. Bertha Benz musste auf ihrer ersten Werbetour für den Motorwagen zehn Liter Reinigungsbenzin in der Apotheke kaufen. Nicht für ihre ölverschmierte Kleidung, sondern für die 106 Kilometer weite Strecke von Mannheim nach Pforzheim. Heute haben wir Autobahnen mit Tankstellen selbst für Elektrofahrzeuge. Trotzdem kommt der Münchner Testfahrer mit einer Tankfüllung ins Schwäbische, aber nicht problemlos zurück.
Geschoss mit der Stirnfläche einer Schrankwand
Ein Kostverächter ist der P90D wahrlich nicht: Auch bei weniger als Autobahnrichtgeschwindigkeit verbraucht das Model X knapp 30 Kilowattstunden auf 100 Kilometer. Oberhalb von 160 km/h kann man zuschauen, wie das Geschoss mit der Stirnfläche einer Schrankwand die Akkus leer saugt. Selbst bei mehr als 500 Kilogramm Batteriegewicht fährt die Reichweitenangst auf der Autobahn also ständig mit. Im Normzyklus wären theoretisch 467 Kilometer drin. Doch im trüben und kalten Spätherbst schrumpft dieser Schönwetterwert auf nicht einmal 300 Kilometer Schleichfahrt.
Dabei hatte der Verkäufer bei der Fahrzeugübergabe vom "ludicrous"-Modus geschwärmt. Das englische Wort für aberwitzig passt zu den Leistungsdaten: Front- und Heckmotor kommen auf 262 beziehungsweise 510 PS. Die Batterie setzt dem Treiben zwar bei 469 PS Grenzen. Im "ludicrous"-Modus kann der Tesla auch einen tieferen Schluck aus der Pulle nehmen. Aber nur kurz, sonst überhitzen die Akkus. Der Leser mag nun Beschleunigungsexzesse unterstellen. Bei Fabelwerten wie dem Spurt aus dem Stand auf 100 km/h in 3,9 Sekunden liegt dieser Verdacht nahe. Doch wie gesagt: Auf langen Strecken erzieht das E-Mobil zum Energiesparen.