Elektromobilität:Chinas Weg zur Autoweltmacht

Hongqi E-Jing GT Automesse Peking

Auf der Automesse in Peking präsentiert Xu Liuping, Vorsitzender der FAW-Gruppe, das Elektro-Konzeptauto Hongqi E-Jing GT.

(Foto: Mark Schiefelbein/dpa)
  • Gefördert von der Regierung geht Chinas Elektroauto-Boom unverändert weiter.
  • Neben den etablierten Herstellern wollen vor allem E-Auto-Start-ups davon profitieren; ihre Versprechen erscheinen allerdings selten seriös.
  • Von den deutschen Herstellern befindet sich vor allem VW in einer starken Position - und will diese dank neuer Kooperationen ausbauen.

Von Georg Kacher

Sie heißen Yudo, Xpeng oder SF Motors. Selbst in China kennt kaum jemand die mit Risikokapital und Internet-Gewinnen aus dem Boden gestampften Start-ups. Hier überbieten sich die Neugründungen und Hinterbänkler mit Superlativen, die meist nur auf dem Paper stehen. Sie versprechen Stromer mit vierstelligen Leistungswerten, protzen mit elefantösen Show Cars und nennen utopische Batterie-Reichweiten.

Der Elektro-Boom hat China erfasst wie eine Wunderdroge. Die Null-Emission-Euphorie wird vom Staat nach Kräften gefördert, denn alternative Antriebe sind für alle Hersteller mehr oder weniger neu. In der alten Welt der Verbrennungsmotoren wäre es den Chinesen wohl nicht gelungen, den Vorsprung der Konkurrenz zu egalisieren.

Der lange Marsch in Richtung saubere Luft wird vom Zentralkomittee per Fünfjahresplan festgelegt. Aktuell sind zehn Prozent New Energy Vehicles (NEV) vorgeschrieben. Jahr für Jahr wird die vorgeschriebene Quote für Elektroautos in Zwei-Prozent-Schritten erhöht. Nach US-Vorbild sammelt jedes Plug-in-Hybrid-Fahrzeug und jedes reine Batterieauto Bonuspunkte in Abhängigkeit von Leistung und elektrischer Reichweite. Demnächst darf mit diesen Credits sogar gehandelt werden. Außerdem bestimmen sie die Subvention für den Endkunden, die bis zu 10 000 Euro ausmachen kann. Gleichzeitig sinkt das Limit für den Flottenverbrauch von 2020 bis 2025 um einen Liter auf vier Liter pro 100 Kilometer.

Das nächste Zwischenziel der Regierung ist das beinahe allwissend vernetzte Fahrzeug. Das Intelligent Connected Vehicle (ICV) erkennt nicht nur seinen Fahrer, sondern kontrolliert ihn auch per Video-Überwachung. Selbst kleinste Verstöße können mit Strafpunkten geahndet werden. Die Schnittstelle in Sachen Verkehrssicherheit ist zugleich ein Einfallstor für die Behördenwillkür.

Die Designer kommen aus Europa

Trotz der kürzlich gekippten Joint-Venture-Regelung bemühen sich Hersteller aus Ost und West verstärkt um strategische Allianzen auf unterschiedlichen Ebenen. Great Wall dealt mit Mini, Geely hat sich bei Mercedes eingekauft, Chery macht Jaguar Land Rover schöne Augen. Die großen Staatsbetriebe haben ohnehin seit Jahren mehrere Verbündete.

Bei der Formgebung der Fahrzeuge verlassen sich die kopierfreudigen Asiaten immer öfter auf vermeintlich stilsicherere Europäer. Das Start-up Hybrid Kinetic lässt seine Luxuswagen von Pininfarina stylen, Giugiaro kleidet die E-Autos von Techrules ein, die über eine Gasturbine als Range Extender verfügen. Der schräge Stadtwagen von Wausau ist eine Arbeit des exzentrischen Chris Bangle, den Crossover von Byton hat der frühere BMW-Mitarbeiter Benoit Jacob gezeichnet, die komplette Nio-Modellfamilie nimmt in München unter Leitung von Kris Tomasson Gestalt an, der einstige Audi-Chefdesigner Wolfgang Egger ist zuständig für die neue Drachengesicht-Formensprache von BYD.

Ein Auto namens Weltmeister

Weil Image und Prestige leider nicht so schnell wachsen wie Sojasprossen, werden manche Premium-Ambitionen kurzerhand eingedeutscht. Da wäre zum Beispiel das EX 5 SUV der neu gegründeten Marke Weltmeister. Der Preis von umgerechnet 28 000 Euro (nach Abzug der Subventionen) wirkt aber schlicht weltfremd. Der Ex-Audi-Mann Roland Gumpert will von seiner Natalie - ein Sportcoupé mit vier E-Motoren und einer mit Methanol betriebenen Brennstoffzelle als Range Extender - ab Ende nächsten Jahres 500 Stück bauen. Der altgediente Designer Eberhard Schulz stellt gemeinsam mit Weltmeister eine 600 kW starke Neuauflage des Isdera Commendatore auf die Räder, die sich genauso rar machen dürfte wie das Original aus dem Jahr 1963. Der mit GM und VW verbandelte Branchenriese SAIC versuchte schon vor geraumer Zeit, seinen Grauschleier durch den Kauf der Markenrechte an MG abzulegen - offenbar mit Erfolg, wie das Beispiel des modular aufgebauten E-motion Crossover zeigt.

Noch vor einem Jahr herrschte bei Chinas Herstellern auf der Messe in Shanghai das Spaltmaß-Chaos, die pentranten Kunststoff-Ausdünstungen waren im wahrsten Sinne atemberaubend, die beiläufig eingepassten Spritzguss-Oberflächen fühlten sich an wie billiges Spielzeug. Nur zwölf Monate später sind die Produkte zumindest auf Dacia-Niveau - nicht schlecht für einen unbekannten Polo-Verschnitt namens Baojun 310, der als Basismodell keine 4000 Euro kostet. Am anderen Ende der Preisskala tut sich nicht nur die Marke Wey (sie gehört zur Haval-Gruppe) schwer damit, ihre großzügig motorisierten und üppig ausgestatteten Autos mit Gewinn zu vermarkten.

In der Mittelklasse schlägt in China dagegen aktuell auf breiter Front der Elektroblitz ein. Besonders interessant aus deutscher Sicht ist der Great Wall ORA i Q5, dessen Elektro-Gene (37 kWh Akku, 120 kW E-Motor) mittelfristig an den Mini-Nachfolger weitergereicht werden sollen. Mehr als einen Seitenblick wert ist auch der Roewe (ein SAIC-Ableger) Marvel X, der auf Wunsch mit drei E-Maschinen und einer Gesamtleistung von 222 kW antritt.

Der Riesenmarkt, in dem 2017 fast 24 Millionen Neuwagen verkauft wurden, ist seit Jahren fest in der Hand von VW und seinen Partnern; in den Top Ten der meistverkauften Autos finden sich nicht weniger als vier VW-Modelle. Diese Vormachtstellung will der neue Konzernchef Herbert Diess weiter ausbauen - zum Beispiel durch eine Kooperation mit dem weltgrößten Fahrservice-Betreiber Didi Chuxing. Der noch nicht unterschriftsreife Plan sieht vor, das Flottenmanagement zumindest probeweise (beschränkt auf die ersten 100 000 Autos) den VW-Händlern zu übertragen, und auch in den Bereichen Car Sharing, Ladeinfrastruktur und künstliche Intelligenz gemeinsame Sache zu machen. Außerdem denkt man darüber nach, im Verbund eine Flotte autonom fahrender Elektroautos zu entwickeln. Bis 2028 rechnen die Didi-Manager mit zehn Millionen sauberen Stadtflitzern. Ähnliche Geschäftsmodelle sind für den Weltmarkt in Arbeit.

Digitale Großmächte nisten sich im Auto ein

Neben 174 NEVs und einem guten Dutzend vogelwilder SUV-Kreationen stand das vernetzte Automobil im Fokus der Messe in Peking. Die Kasse klingelt hier in erster Linie bei den drei digitalen Großmächten Alibaba (vergleichbar mit Amazon), Tencent (vergleichbar mit Facebook) und Baidu (vergleichbar mit Google). Die Automobilhersteller müssen sich beizeiten arrangieren. Im Prinzip geht es darum, über die Auswertung der immensen Datenmengen - die zum Teil während der Fahrt gesammelt werden - einen direkten Draht zum gläsernen Verbraucher aufzubauen.

Alibaba hat sich mit seinem AliOS-Betriebssystem schon in vielen Cockpits eingenistet und verdient mit, sobald der Nutzer Musik streamt, einen Online-Kauf tätigt oder sich in die sozialen Netzwerke einloggt. Die dabei hauptsächlich verwendete Suchmaschine Alexa Internet hat dem Unternehmen einen Marktanteil von etwa 75 Prozent beschert. Während die von Baidu und Tencent gegründete E-Commerce-Plattform Bitauto noch rote Zahlen schreibt, traf Alibaba mit seiner ersten Supermarkt für Autos ins Schwarze. Einfach vorfahren, Produktnummer eintippen und die gewünschte Ware aus dem Ausgabeschaft nehmen. Ohne auszusteigen, versteht sich. Denn die Chinesen sind nicht minder Auto-verrückt als die Drive-in-Amerikaner, die auch in unseren Alltag Spuren hinterlassen haben.

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