Neue Elektroautos:Verzwickte Suche nach Kernwerten

Porsche Taycan, das erste reine Elektroauto des Sportwagenherstellers aus Stuttgart-Zuffenhausen.

Der erste reine Elektro-Porsche heißt Taycan und soll Ende 2019 auf den Markt kommen.

(Foto: Porsche)

Unter Zeitdruck entwickeln Audi, BMW, Mercedes und Porsche ihre Tesla-Gegner. Der aktuelle Stand zeigt: Trotz unterschiedlicher Ansätze ist es für die Hersteller schwer, sich voneinander abzugrenzen.

Von Georg Kacher

Jubel in Kalifornien: Tesla hat das Produktionsziel von 5000 Model 3 pro Woche erreicht. So weit sind die deutschen Wettbewerber noch nicht. Unter extremem Zeitdruck bringen Audi, BMW, Mercedes und Porsche ihre Tesla-Gegner zum Laufen. Doch die Stückzahlen der Kalifornier werden sie so schnell nicht erreichen. Wegen der grobmaschigen öffentlichen Ladeinfrastruktur konzentrieren sich die deutschen Hersteller zunächst auf das Preissegment jenseits von 70 000 Euro, in dem die Batterien groß und die Stückzahlen gering sind.

Weil niemand weiß, wann der Elektro-Boom wirklich greift, gehen die meisten Hersteller auf Nummer sicher. Ingolstadt wagt mit dem ersten e-tron zunächst einen Schnellschuss auf Q5-Basis, BMW schickt mit dem elektrischen iX3 ebenso ein Derivat der Verbrenner-Plattform ins Rennen wie Mercedes mit dem EQC. Nur Porsche bringt mit dem Taycan ein mit hohen Kosten belastetes, aber dafür maßgeschneidertes Konzept an den Start.

Auch Volkswagen will mit seinem eigens entwickelten Elektrobaukasten schon 2020 vorpreschen. Weil VW mit diesem modular aufgebauten MEB auch Audi, Seat und Škoda bedienen kann, wird das Risiko auf mehrere Schultern verteilt. Gleiches gilt am oberen Ende der Preis- und Prestigeskala für die Ableger des Porsche Taycan mit dem Kürzel J1. Bereits bestätigt ist der Audi e-tron GT als viersitziges Flüstercoupé, noch in der Warteschleife kreisen der SUV-artige Porsche Sport Turismo und der als Zweitürer angelegte 928-Nachfolger. Auf grünes Licht warten auch Supersportler wie der vollelektrische Bentley Barnato oder die nahezu lautlose Neuauflage des Lamborghini Espada.

Mercedes splittet seine E-Aktivitäten in zwei Äste. Den Anfang machen schnell umsetzbare Derivate wie EQ-A (A-Klasse) und EQ-C (GLC), doch ab 2020 wollen die Schwaben vier komplett neu entwickelte Stromer nachschieben. Dabei handelt es sich um zwei Limousinen und zwei Crossover in den Segmenten zwischen C- und S-Klasse. Lange Radstände, kurze Überhänge und der wegen des Batteriepakets etwas höhere Aufbau schaffen eigenständige Proportionen. Energieinhalt, Leistung und Anzahl der Motoren sind skalierbar.

Audis Alleingänge sind in Zukunft tabu

Eigentlich eine geniale Idee, doch es fehlen gewisse Synergieeffekte, die Spreizbarkeit über mehrere Modellreihen und die Möglichkeit, auch langfristig unterschiedliche Antriebskonzepte auf einen gemeinsam, hochflexiblen Nenner zu bringen. Hier kommt das Stichwort Konvergenzplattform ins Spiel. Dahinter verbirgt sich eine neuartige, am E-Antrieb ausgerichtete Architektur, die eine gemeinsame modulare Basis für alle Antriebsoptionen schafft.

Audi hat seine beiden ersten Null-Emissions-Autos - den e-tron und den e-tron Sportback - an den Konzernwächtern vorbei entwickelt, doch in Zukunft sind Alleingänge tabu. Die kompakten Audi-E-Modelle vom Stadtflitzer über ein Lounge-Konzept bis zu SUV und Crossover beziehen ihre Gene aus Wolfsburg, die größeren Fahrzeuge und die Sportwagen entstehen im Schulterschluss mit Porsche. Das heißt im Klartext, dass ein Großteil des Vorsprungs durch Technik künftig von den Zuffenhausenern kommt. Bleibt da noch genug Arbeit für die vielen Ingenieure, denen jenseits der Benziner- und Dieselwelt oft das nötige Know-how fehlt?

BMW droht ins Hochvolt-Hintertreffen zu geraten

Der Teilesatz, dessen Entwicklung sich Audi und Porsche brüderlich teilen wollen, hört auf die Kürzel PPE (Premium Plattform Elektromobilität) und PPC. Das C steht für Verbrennungsmotoren und bestätigt, dass es sich auch hier um einen Konvergenz-Bausatz handelt, der über mindestens zwei Lebenszyklen alle Eventualitäten abdecken muss.

BMW hat mit i3 und i8 Zeichen gesetzt, droht aber jetzt ins Hochvolt-Hintertreffen zu geraten. Der gefeierte iNext startet erst 2021. Zu spät? Falls die Akzeptanz im Markt auf sich warten lässt, haben die Münchner möglicherweise doch alles richtig gemacht. Bis auf Weiteres vertraut BMW auf die Evolution der aktuellen Front- und Heckantriebs-Konzepte. Das bedeutet, dass i3 und i4 sich im gleichen Genpool bedienen werden wie der neue 3er. Der i7 ist folgerichtig mit dem nächsten 7er artverwandt, der i3-Nachfolger wechselt als konventionell konstruierter iX1 zusammen mit dem iX3 zur Frontantriebs-Matrix, der Elektro-Mini ist ein Gemeinschaftsprojekt mit Great Wall aus China.

Mercedes-AMG plant ein ultimatives Kraftwerk

Der i8 2.0 behält sein Kohlefaser-Monocoque, darf den Dreizylinder jedoch gegen einen rund 340 PS starken Vierzylinder tauschen, eine kräftigere Batterie aufnehmen und sich zum Teil neu einkleiden lassen. Mittelfristig wird auch BMW seine Cluster-Architektur zu einer neu konzipierten Konvergenz-Plattform weiterentwickeln müssen, in der dann kein Platz mehr ist für großvolumige Verbrenner.

Mit der Differenzierung tun sich E-Mobile schwerer als die traditionsbewährten Verbrenner. Alle Batteriezellen kommen von einem kleinen Lieferantenkreis und kaum ein Premium E-Auto wiegt wegen der massigen Akkus weniger als zwei Tonnen. Das hat ähnliche Verbräuche zur Folge und fast identische Reichweiten (abhängig von der verbauten Kapazität) zwischen 400 und 600 Kilometer. Unterschiede gibt es bei den Ladezeiten und bei den Fahrleistungen, denn beides hängt auch von den Batteriemodulen und der Leistungselektronik ab.

BMW will sich mit einer Kombination aus Leistungs- und Reichweiten-Batterie von der Konkurrenz abgrenzen, Porsche möchte mit einem Zweigang-Lastschaltgetriebe noch bessere Beschleunigungswerte erzielen, Mercedes-AMG will als ultimatives Kraftwerk sogar eine mächtige 500 kW-Maschine einsetzen, die im Verbund vierstellige Leistungs- und Drehmomentwerte garantiert.

Auf der Suche nach markentypischen Kernwerten wird an der Charakteristik des Antriebsstrangs geschraubt: Wann wird gesegelt und wenn ja, wie lange und in welchem Tempobereich? In wie vielen Stufen wird rekuperiert, geschieht das automatisch in Abhängigkeit vom Fahrprogramm oder manuell? Wie hält es der Hersteller mit dem "one pedal feel", das in der Praxis die konventionelle Bremse auf die Reservebank schiebt? Wie ist die E-Flotte geräuschmäßig unterwegs - säuselnd oder per Soundgenerator künstlich aufgepeppt? Ist die Leistungsentfaltung brachial oder progressiv?

Der Hauptnachteil ist die kompromissbeladene Raumnutzung

Fünf Fragen, fünf beispielhafte Antworten: Der Porsche Taycan segelt, sobald man vom Gas geht. Das one pedal feel wird dagegen bewusst ausgeklammert, denn die damit verbundene Verzögerung widerspricht der Sportwagenphilosophie. Der Mercedes EQC rekuperiert dagegen in vier Stufen - von fast gar nicht bis ziemlich stark. Das Fahrgeräusch ist ein nach EU-Vorgabe genormter Brummton, der ab 30 km/h ausgeblendet wird. Die Wucht des vollen Drehmoments ist eine Versuchung, der momentan noch alle Hersteller erliegen. Aber nicht jeder Beifahrer goutiert beim Anfahren die Beschleunigung in der Magengrube.

Der Hauptnachteil aller E-Fahrzeuge, die von Verbrenner-Architekturen abgeleitet sind, ist die kompromissbeladene Raumnutzung. Die Batterie füllt meist den Wagenboden und den Unterbau des Kofferraums, die Antriebseinheit an der Hinterachse baut deutlich voluminöser als ein Differential, die Kombination aus Frontmotor, Getriebe und Leistungselektronik ist im Motorraum reine Platzverschwendung. Das alles ändert sich mit der in Radstand, Länge, Breite und Höhe variablen Konvergenz-Plattform, die sich den Bedürfnissen des Elektroantriebs unterordnet. Mit diesem neuen Denkansatz stirbt aus heutiger Sicht langfristig jeder Verbrenner, der mehr als vier Zylinder hat und nicht quer eingebaut werden kann.

In Zukunft fahren wir demzufolge mit maximal 300 kW Benziner-Leistung, plus Mild-Hybrid oder Plug-in-Hybridbaustein mit 100 kW und mehr. Oder vollelektrisch und je nach Fahrzeugklasse mit Front-, Heck- oder Allradantrieb. Die schlechte Nachricht: Vor 2025 dürfte es diese Technik kaum in die Großserie schaffen. Die gute Nachricht: In sieben Jahren wird uns die Ladeinfrastruktur wohl keine Kopfschmerzen mehr bereiten.

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