Elektroautos:Expedition mit dem Akkumobil

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Ein Elektroauto scheint das Gebot der Stunde zu sein. Doch die Liste der Vorbehalte ist lang. Zu wenig Tankmöglichkeiten, lange Ladezeiten, nicht reisetauglich. Aber stimmt das wirklich? Zeit für eine Testfahrt.

Von Silvia Liebrich

Der erste Anfall von leichter Panik stellt sich bereits nach 80 Kilometern ein. Da geht es mit Tempo 120 den Albtrauf hinauf, im endlosen Strom der Fahrzeuge, die auf der A 8 von Stuttgart nach München rollen. Unten am Fuß des Aichelbergs zeigt der Bordcomputer noch eine Batterie-Reichweite von 265 Kilometern an, eigentlich sollte das locker bis nach Hause, in die Nähe von München reichen. Doch schon auf halber Höhe, nach gut zehn gefahrenen Kilometern, ist die Reserve auf 220 Kilometer geschmolzen.

Zweifel machen sich breit. War es wirklich eine gute Idee, den alten zuverlässigen VW-Diesel für eine Woche gegen ein Elektroauto einzutauschen? Geht das so weiter, dann schafft der kleine Wagen gerade so die nächsten 50 Kilometer bis Ulm.

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Doch das ist nicht der einzige Vorteil des aufgefrischten Renault Zoe. Denn im Test präsentiert sich das Elektroauto dank neuer Batterie sogar langstreckentauglich.

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Einige Wochen zuvor in der Redaktion: Es wird heftig diskutiert. Zu viel Stickoxide, zu viel Feinstaub, zu viel CO₂ - nicht nur in Städten wie München, Stuttgart und Düsseldorf drohen Fahrverbote für Diesel. Eine Alternative könnten E-Autos sein. Doch die Vorbehalte gegen das Fahren mit Strom aus der Steckdose sind groß. Fehlende Tankmöglichkeiten, lange Ladezeiten, hoher Energieverbrauch, nicht reisetauglich und vieles mehr. Die Liste der Bedenken ist lang, auch die der eigenen.

Aber stimmen diese Vorurteile tatsächlich, und ist Elektroautofahren wirklich so kompliziert? Zeit für einen Test. Die Vorgabe: Der Proband soll möglichst ahnungslos in Sachen Auto und Technik sein. Das Profil passt. Wozu Bedienungsanleitungen lesen, wenn es auch ohne geht?

Nicht schneller als 95 km/h am Aichelberg

Nun also der Aichelberg, unschöne Bilder kommen hoch. Es ist bereits dunkel, die Aussicht auf einen unfreiwilligen Zwischenstopp an einer Ladesäule, irgendwo am Rand der Autobahn in einer finsteren Parkplatzecke - keine verlockende Aussicht. Wie hat sich wohl Gottlieb Daimler gefühlt, als er nicht weit von hier den ersten Benziner getestet hat, auf staubigen, holprigen Pisten? Das ist jetzt mehr als 130 Jahre her. An mehrspurige Autobahnen war damals nicht zu denken, erst recht nicht an Autos, die von Batterien den Berg hinaufgeschoben werden. Daimlers Motor-kutsche schaffte gerade einmal 18 km/h.

Aber auch mit dem E-Auto, einem Renault Zoe, muss es nun langsamer vorangehen, wenn der Saft bis nach Hause reichen soll. Das bedeutet: nicht schneller als 95 km/h. Also Tempomat einschalten und rechts einfädeln, zwischen Lastwagen und Wohnmobil. Der inflationäre Reichweitenschwund lässt sich so auf Anhieb stoppen. Bergab und beim Bremsen gewinnt das Auto sogar Energie zurück. So viel, dass die Reichweite wieder um ein paar Kilometer steigt, beim alten Diesel undenkbar. Der Knoten im Magen lockert sich etwas.

Energie sparen im Windschatten des Tanklasters

Es zeigt sich, im Windschatten eines Tanklasters fährt es sich besonders sparsam, das Heck mit dem grünen Logo eines Mineralölhändlers immer dicht vor Augen. Vielleicht hat er Diesel geladen, irgendwie würde das jetzt passen. Eineinhalb Stunden später hängt der fast fabrikneue Franzose zu Hause in der Garage an einer normalen Steckdose. Laut Anzeige würde er immer noch 96 Kilometer schaffen, die Batterie zeigt noch 36 Prozent Leistung an. Tatsächlich verspricht der Vermieter eine Reichweite von bis zu 370 Kilometern. Sanft gefahren könnte das sogar klappen.

Für Horst Graef steht das außer Frage. Muss es auch, schon von Berufs wegen. Der Mann mit dem grau melierten Haar ist Geschäftsführer des Dienstleisters Energie Calw (ENCW). Der vermietet seit Kurzem auch E-Autos wie den Strom-Renault, für 19,90 Euro pro Tag. Ein attraktives Angebot, das selbst hartnäckige Skeptiker zu einer Probefahrt verleiten soll. Graefs Aufgabe ist es, Elektromobilität zu verkaufen, vor allem aber wohl Strom. Der Dienstleister ist mit den örtlichen Stadtwerken und dem Energiekonzern EnBW verbandelt.

Am Mittag desselben Tages steht der Energiemanager in einem Parkhaus am Calwer Bahnhof, er soll zwei neue Ladestellen einweihen. Motoren dröhnen, es riecht nach Abgasen und Gummi. Graef trägt einen dunklen Anzug und wirkt in dieser rustikalen Umgebung ein wenig deplatziert. "Wir wollen als Pioniere mit der Modellregion Calw vorangehen", erklärt er staatstragend. Viele Zuhörer hat er nicht. Was daran liegen mag, dass es in der Gegend schon 20 öffentliche Stromtankstellen gibt, bis Ende des Jahres sollen es 30 sein. Der Landkreis Calw im Nordschwarzwald ist in Baden-Württemberg eine Art Vorzeigekommune, mit mehr als 150 zugelassenen E-Autos. Das ist viel, gemessen an gut 155 000 Einwohnern. In ganz Deutschland sind derzeit kaum mehr als 35 000 reine Elektrofahrzeuge zugelassen.

Graefs Vision ist ein Vertrag für Stromkunden, der nicht nur den Haushalt, sondern auch Autoladen und Fahrzeugleasing umfasst. "Unsere Kunden sollen problemlos vom Schwarzwald bis nach Hamburg oder Berlin fahren und überall zu den gleichen Konditionen laden können." Das Ganze möglichst mit Solar- und Windenergie.

Doch das liegt noch in der Zukunft. Im Hier und Jetzt gilt es banalere Probleme zu lösen, etwa das Durcheinander mit den Ladekarten. Die sind oft zum Freischalten der Säulen notwendig. "Bis zum Bodensee braucht man derzeit drei, vier Karten. Das ist nicht im Sinne des Erfinders", räumt Graef ein und verspricht bald eine Lösung. Und was, wenn plötzlich 20 E-Autos und mehr im Parkhaus laden wollen? Technisch sei das kein Problem, sagt er. Da nickt auch der Parkplatzwächter zustimmend. Doch der hat ganz andere Bedenken: "So schnell passiert da nichts. Die Leute lieben laute Motoren und den Geruch von Benzin."

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In Fürstenfeldbruck gibt es genau eine Ladestation

Der Renault in der Garage zu Hause hat dergleichen nicht mehr zu bieten. Aber auch das kann schön sei. Zumindest die kleine Tochter der Nachbarn freut es. Sie mag keine stinkenden, lauten Autos und möchte gern mitfahren. Doch erst einmal geht es ins Büro. Hin und zurück sind das gut 120 Kilometer. Die Batterie hat über Nacht bis auf 61 Prozent geladen. Ein Zwischenstopp an der Schnellladesäule könnte vielleicht nicht schaden. Doch wo findet man die?

Die Recherche fällt ernüchternd aus, Fürstenfeldbruck ist nicht Calw. Die Ladesäulen-App des Autoherstellers zeigt für die Stadt im Nordwesten von München genau eine Ladestation an. Und die steht im Zentrum auf dem Gelände der Stadtwerke. Erst seit diesem Jahr müssen Betreiber alle öffentlich zugänglichen Ladestationen melden, längst nicht alle sind erfasst. Zuständig dafür ist die Bundesnetzagentur in Bonn. In deren Register finden sich inzwischen mehr als 1600 Ladeeinrichtungen, fast täglich gehen neue in Betrieb.

Keine Ladekarte funktioniert

Die Stromsäule in der Innenstadt ist zwar frei, aber keine der vier Ladekarten des Autovermieters funktioniert. Mit Hilfe der App auf dem Smartphone lässt sich die Säule schließlich doch noch mit dem Auto verbinden. Ein paar Minuten laden, schnell zum Optiker gehen und dann zur Arbeit in den Münchner Osten fahren. In der Tiefgarage des modernen Glasturms wartet das nächste Hindernis. Ein Elektro-Porsche blockiert die einzige Ladestelle. Am nächsten Tag hängt er immer noch dort, vollgeladen ist er längst. Vermutlich kommt es in solchen Situationen nicht gut, wenn man den Chef auffordern muss, er möge doch sein Auto wegfahren.

Ein echtes Problem ist aber auch das nicht. Der Renault schafft es ohne Extra-Portion Strom nach Hause. Im Feierabendstau gewinnt er sogar etwas an Reichweite dazu. Über Nacht in der Garage lädt er fast voll. Der zweite Tag ins Büro ist schon fast Routine, zügig über die Landstraße, mit bis zu 140 über die Autobahn, wie mit dem alten Diesel.

München bis Berlin - eine Fahrt mit Expeditionscharakter

Im Autoradio läuft die Nachricht, dass die beim Dieselgipfel beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die dicke Luft in 70 deutschen Städten auch nur annähernd zu beseitigen. Fast widerwillig muss man erkennen, dass Fahrten unter 300 Kilometern mit dem Stromauto bequem machbar wären. Nur vier Prozent der Autos legen täglich mehr als 160 Kilometer zurück, mehr als jedes zweite parkt nachts in einer Garage.

Doch wie fühlt sich das auf der Langstrecke an? Eine Tour von München nach Berlin hat mit dem kleinen Elektroauto schon fast Expeditionscharakter. Der Knoten im Magen meldet sich zurück. Was, wenn die Ladestationen entlang der Autobahn überlaufen sind oder nicht funktionieren? Und wo soll man in Berlin über Nacht laden? Zur Sicherheit lieber noch ein Hotel mit Ladesäule buchen. Eine Anfrage im Netz ergibt auf Anhieb ein gutes Dutzend Hotel-Treffer - keine berauschende Auswahl bei mehr als eintausend Hauptstadt-Unterkünften, aber besser als nichts.

Mit drei Litern Trinkwasser im Gepäck geht es am nächsten Tag los, es soll heiß werden. Laut Navi sind es bis Berlin genau 603 Kilometer, das Auto zeigt nur halb so viel Reichweite an, ein roter Warnhinweis leuchtet auf, will zeigen, dass das so nichts wird. Jetzt nur nicht beirren lassen.

Kurz hinter Ingolstadt am Rasthof Greding: Das Auto zeigt noch Energiereserven für 160 Kilometer an, doch die angespannten Nerven verlangen einen ersten Ladetest. Die Säule ist leicht zu finden. Zwei Autos könnten hier bequem laden, wäre da nicht der schwere Diesel-Kombi, der auf einem der reservierten Ladeplätze ruht. Es ist Ferienzeit, Stellplätze neben dem Restaurant sind rar. Drinnen servieren sie labberige Pommes und trockene Fischstäbchen - ein Ort, der nicht zum Verweilen einlädt. Aber das Laden funktioniert und ist zudem kostenlos. Doch bis Berlin ist es noch weit.

Der nächste Stopp kurz hinter Nürnberg, in einem Gewerbegebiet bei Lauf, wird teuer. Gut 100 Kilometer Reichweite kosten an der Schnellladestation eines privaten Betreibers 17 Euro inklusive Mehrwertsteuer. Das liegt deutlich über den üblichen Strompreisen, in Calw veranschlagen sie dafür knapp drei Euro. Der sparsame Diesel würde über diese Distanz höchstens sechs Euro verfahren. Noch ist Stromtanken vielerorts kostenlos, aber das könnte sich schnell ändern, wenn die Zahl der E-Autos deutlich steigt. Auch Energiekonzerne wollen verdienen.

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Zehn Stunden für die Strecke München - Berlin

Es bleibt reichlich Zeit für einen Spaziergang. In der Straße reiht sich ein Autohaus ans nächste. Fast alle großen Marken sind vertreten, Kunden sieht man an diesem Tag nur wenige. Die Folgen des Dieselskandals, hier kann man sie deutlich spüren. Dass die großen Parteien allesamt ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge kategorisch ablehnen, scheint wenig zu fruchten. In Wahlkampfzeiten ist bei derlei Versprechen ohnehin Vorsicht angebracht.

Sieben Stunden und eine weitere Ladepause später stromt der kleine Franzose endlich die Avus entlang, im Tanklaster-Modus über die frühere legendäre Berliner Rennstrecke. In den 1930er-Jahren wurden hier Geschwindigkeiten von 240 km/h und mehr gefahren. Der Renault bringt es an diesem Tag nur auf 95. Die Tagesbilanz fällt hart aus: zehn Stunden für die Strecke München - Berlin, inklusive zweieinhalb Stunden Ladezeit. Der alte Diesel hätte das locker in sechs Stunden geschafft, ohne zu tanken.

Zehn Minuten Laden erhöht die Reichweite um 30 Kilometer

Die Rückfahrt am nächsten Tag beginnt deutlich entspannter. Eine Freundin fährt mit, die Gelegenheit will sie sich nicht entgehen lassen. Die Provianttasche, die sie auf den Rücksitz schiebt, ist von beeindruckender Größe. Offenbar rechnet sie mit dem Schlimmsten. Sie übernimmt das lästige Suchen nach Ladestationen, das hilft. Selbst WC-Pausen lassen sich effizient nutzen. Schon zehn Minuten Laden erhöht die Reichweite um 30 Kilometer.

Tatsächlich schafft es der Wagen fast auf Anhieb bis kurz vor Bayreuth, die Reserve zeigt noch 50 Kilometer an. Auf einem Autohof bei Münchberg steht gleich eine ganze Reihe von Ladesäulen. Nur eine davon ist belegt, am Kabel hängt eine weiße Tesla-Limousine. Der US-Hersteller ist mit seinen Elektroautos dort, wo die deutschen Autokonzerne hinwollen, aber nicht so richtig wissen, wie: viele PS, kurze Ladezeiten, dazu ein exklusives Design.

Fachsimpeln an der Steckdose

Ein durchtrainierter Enddreißiger schält sich aus dem Fahrersitz - braun gebrannt, weißes Poloshirt. Der Tesla lädt deutlich schneller als der Renault, trotzdem bleibt Zeit fürs Fachsimpeln an der Steckdose. Der Mann stellt sich als Chef einer finnischen Zementfirma vor. Den Wagen hat er erst vor ein paar Stunden in München abgeholt. Gekauft hat er ihn, weil das Fahren einfach ein "Riesenspaß" sei. Am Abend will er in Travemünde sein. Dort legt in der Nacht die Fähre nach Helsinki ab. Daheim habe er noch andere Autos in der Garage stehen, sagt er, "some of the old stuff, BMW Diesel, you know" - einiges von dem alten Zeug, BMW Diesel, Sie wissen schon. Beim Konzern in München werden sie solche Sätze nicht gern hören.

Zwei Tage später steht der kleine Franzose wieder auf dem Hof des Vermieters in Calw. Der alte Diesel-Passat fährt mit 130 Richtung München, gut 310 000 Kilometer hat er inzwischen auf dem Tacho. Als er gebaut wurde, war an betrügerische AbgasSoftware in Wolfsburg noch nicht zu denken. Was also machen, wenn der TÜV-Mann beim nächsten Prüftermin den Daumen senkt? Einen neuen Diesel kaufen?

Auf der Spur ganz links rauscht mit hohem Tempo ein dunkler Geländewagen vorbei. Der Fünfzehnjährige auf dem Beifahrersitz hebt nur kurz den Kopf von seinem Smartphone, Autotypen erkennt er sogar an den Rücklichtern. "Der neue SUV von Tesla, ein echt geiles Teil, fährt 250." Echt jetzt? "Echt jetzt!" Mag ja sein, aber braucht man das wirklich?

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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