Im Autojahr 2018 wird vieles anders: Die Traditionsmarken finden sich plötzlich in der Rolle der Newcomer wieder. Mit großen Elektroautos und 500 Kilometer Reichweite treten sie gegen den Platzhirschen Tesla an. Bis 2025 wollen Audi, BMW, Mercedes und VW zwischen 15 und 25 Prozent ihrer Flotte als Stromer verkaufen.
Der Weg dahin wird steinig. Trotz oder gerade wegen der milliardenschweren Elektro-Offensive könnte das Modellangebot an neuen Stromern größer sein als die Nachfrage. Aktuell sind in Deutschland wenig mehr als 100 000 reine Batteriefahrzeuge und Plug-in-Hybride unterwegs. Unwahrscheinlich, dass es am Ende der Dekade schon eine Million sein werden. Denn die Käufer von E-Mobilen zahlen für Komfort und Reichweite noch immer einen hohen Preis.
Fehlende Ladeinfrastruktur
Es klingt wie das Nonplusultra in Hinblick auf Komfort: Nie mehr tanken oder mit nassen und dreckigen Ladekabeln hantieren. Was bei elektrischen Zahnbürsten und Mobiltelefonen schon Standard ist, will BMW von diesem Frühjahr an auch bei Elektrofahrzeugen einsetzen: Induktives Laden lässt den Strom über ein elektromagnetisches Feld fließen. Gerade für Plug-in-Hybride bietet sich diese kontaktlose Art des Ladens an. Denn die Teilzeit-Stromer mit den relativ kleinen Batterien können sich auf diese Weise ständig und überall regenerieren. Um die Strahlung so gering wie möglich zu halten, wird das Fahrzeug mit Hilfe eines Parkassistenten punktgenau über der Ladespule im Boden platziert. Bei elf Kilowatt (kW) Ladeleistung gewinnt der Fahrer pro Minute Ladezeit etwa einen Kilometer Reichweite. Bei Systemen mit 3,6 kW Leistung dauert das Laden jedoch dreimal so lang.
Laden mit Luftspalt hat aber einen entscheidenden Nachteil: Der Wirkungsgrad von 90 Prozent bedeutet, dass rund zehn Prozent der Energie verloren geht. Zudem ist der Komfort kostspielig: Der Aufpreis gegenüber dem Kabelladen ist ähnlich groß wie die Differenz zwischen Handschalter und Automatikgetriebe. Damit jeder noch so kurze Zwischenstopp genutzt werden kann, muss außerdem die Ladeinfrastruktur massiv ausgebaut werden. Derzeit gibt es in Deutschland lediglich 11 000 öffentlich zugängliche Ladepunkte (inklusive Parkhäuser und Supermarktparkplätze). Künftig könnte sich der Ausbau durch die teure Doppelung von Steckeranschlüssen und kabellosem Laden weiter verteuern - und damit verzögern.
Übergewichtige Autos
Leichtbau galt bisher als Königsdisziplin im Automobilbau. Da die meisten Modelle von Generation zu Generation immer größer werden, feiern die Hersteller jede Gewichtsersparnis als historische Errungenschaft. Doch Teslas Model S zeigt mit einem Leergewicht von 2155 Kilogramm, wohin die Reise geht: Geräumige Elektrofahrzeuge mit 500 Kilometer Reichweite sind mehrere Hundert Kilogramm schwerer als konventionelle Autos. Derzeit wiegen allein die entsprechenden Batterien über eine halbe Tonne. BMW hat den kleinen i3 mit aufwendigem Karbon-Leichtbau zwar auf 1440 kg gedrückt. Doch in Zukunft werden auch die Münchner solche hochfesten Faserteile nur an ausgewählten Stellen einsetzen. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass konstruktiver Leichtbau viel kostet, aber bei Batterieautos wenig bringt. Jeder Fortschritt bei der Energiedichte der Batteriezellen hat wesentlich mehr Effekt auf das Gesamtgewicht als teure Materialien aus der Raumfahrt.
Zumal Elektroautos einen Teil der eingesetzten Energie im Schubbetrieb wiedergewinnen können, statt sie als Wärme an den Bremsscheiben zu verfeuern. Mindestens ein Elektromotor wird dabei als Generator eingesetzt, der den Strom in die Batterie zurückspeisen kann. Wie groß der Effekt ist, zeigen Experimente am CAR-Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen. Als Vergleichsfahrzeuge dienten ein Tesla Model S und ein BMW i3, die mit unterschiedlichen Zuladungen gefahren wurden. Dabei waren die Tester immer auf derselben Strecke unterwegs, die zur Hälfte aus Autobahnpassagen und zu jeweils einem Viertel aus Stadt- und Landstraßen bestand. Selbst bei einer Zuladung von 300 Kilogramm änderte sich der Stromverbrauch nur marginal. Viel größeren Einfluss auf den Energiebedarf hatten die Klimaanlage und andere elektrische Verbraucher. "Nicht Leichtbau macht den Erfolg beim Elektroauto aus, sondern intelligentes Energie-Management", sagt Institutsdirektor Ferdinand Dudenhöffer.
Trotzdem lässt sich die Physik nicht überlisten. Das Fahrgefühl in einem Elektrobrummer unterscheidet sich deutlich von dem eines konventionellen Autos. Der E-Motor sorgt zwar für Topwerte beim Ampelstart, bei schneller Kurvenfahrt schiebt das Übergewicht den Wagen aber schneller von der Bahn. Elektroautos wie der kommende Audi e-tron bieten deshalb eine bedarfsgerechte Verteilung der Antriebskräfte an den Hinterrädern. Mit Hilfe des sogenannten "Torque Vectoring" wird das kurvenäußere Rad stärker angetrieben. Wie beim Lenken eines Einkaufswagens drückt die zusätzliche Kraft das Auto um die Kurve. Vorausgesetzt, es stehen zwei Elektromotoren pro Achse zur Verfügung. Was sich nur bei Topmodellen mit viel Leistung lohnt. Der technische Aufwand ist also groß und die Kosten sowie das Gewicht steigen weiter an.
Es ist eine historische Zäsur: Im vergangenen Jahr wurde für Elektroautos erstmals mehr Batteriekapazität benötigt als für die Computer- und Unterhaltungselektronik. Das ist erst der Anfang eines enormen Nachfrageanstiegs, der die gesamte Zuliefererkette verändern wird. Bis zum Jahr 2025 will der Volkswagen-Konzern 80 elektrifizierte Modelle auf den Markt bringen - darunter 50 reine Batteriefahrzeuge. Laut den Analysten von IHS Merkit wird dafür etwa ein Viertel des derzeitigen Lithiumangebots benötigt. Die Deutsche Rohstoffagentur (Dera) erwartet, dass sich der weltweite Bedarf für Lithium-Ionen-Batterien von etwa 33 000 Tonnen bis zum Jahr 2025 mindestens verdoppeln wird.
Noch ist nicht absehbar, wie weit mögliche Rohstoffengpässe den Preis von Elektroautos beeinflussen werden. Klar ist aber, dass sich der Lithium-Preis seit 2012 vervierfacht hat. Die gute Nachricht: Lithium als unerlässlicher Rohstoff für Batterien dürfte in den kommenden Jahren nicht knapp werden. Diese Auffassung vertritt zumindest die Deutsche Rohstoffagentur. Trotz der steigenden Nachfrage sei die Versorgung gesichert. Die Förderländer weiteten ihr Angebot aus, was letztlich sogar zu einem Überschuss des Leichtmetalls führen könne.
Kritisch könnte der Engpass bei Kobalt werden. Bis vor kurzem wurde dem Nebenprodukt bei der Gewinnung von Kupfer oder Nickel nicht viel Aufmerksamkeit zuteil. Traditionell wird das Metall zum Härten von Stahl verwendet. Seine hohe elektrische Leitfähigkeit macht es zum begehrten Rohstoff für den Pluspol (Kathode) der Li-Ionen-Akkus. Tesla hat den Kobaltanteil in seinen Batterien bereits halbiert, doch der steigende Bedarf holt solche Entwicklungsfortschritte schnell wieder ein. Seit 2015 hat sich der Preis von Kobalt nahezu verdreifacht, weil der Ausbau von Förderkapazitäten nicht mit der steigenden Nachfrage der Autobranche mithalten kann.
Problematisch ist auch die Abhängigkeit von einem einzigen Förderland: Etwa zwei Drittel der weltweiten Kobalt-Produktion entfallen auf den Kongo. Wie stark die Verhandlungsposition der Minengesellschaften ist, musste Volkswagen kürzlich erfahren. Die Wolfsburger wollten langfristige Lieferverträge für das rare Metall abschließen. Doch auf Festpreise für das Schlüsselelement der Batterieproduktion ließen sich nur die wenigsten Lieferanten ein. Nicht nur für die Autohersteller, sondern auch für die Käufer von E-Mobilen birgt die schwierige Rohstoffversorgung also erhebliches Störpotenzial.
Abwartende Kunden
Fortschritt bedeutet, dass neue Technologien billiger werden. So wie Lithium-Ionen-Batterien im Auto. Dank steigender Energiedichte und großer Stückzahlen sinken die Kosten jedes Jahr um zehn Prozent. Mit sogenannten Feststoff-Batterien könnte sich dieser Preisverfall noch beschleunigen, denn sie versprechen die doppelte Energiedichte zum halben Preis. Experten erwarten marktreife Produkte ab dem Jahr 2025 - die Frage ist, ob sich eine zunehmende Zahl von Kunden beim Kauf eines Elektroautos zurückhält, um gleich mit der neuen Super-Batterie in die Zukunft zu starten. BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich schätzt den Entwicklungsstand bei Feststoffbatterien und Brennstoffzellen ähnlich hoch ein. Noch ist also gar nicht klar, welcher alternativer Antrieb letztlich das Rennen macht.
In der Autobranche geht daher die Angst vor verunsicherten und zögerlichen Kunden um: "Wir müssen ab 2020 sehr viel mehr Elektrofahrzeuge verkaufen, sonst werden wir die CO₂-Ziele in Europa verfehlen. Dann drohen gewaltige Strafzahlungen", betont Volkswagen-Chef Matthias Müller. In China müssen die Hersteller ab 2019 zehn Prozent ihres Absatzes mit Elektroautos bestreiten. In Europa läuft der Aufbau der Ladeinfrastruktur schleppender, obwohl die CO₂-Vorschriften ähnlich wirken wie eine Elektro-Quote: Bis 2023 muss die VW-Gruppe laut CAR-Center Automotive Research 350 000 Elektroautos jährlich verkaufen und den Rest der Flotte nahezu vollständig mit 48-Volt-Systemen milde hybridisieren, um Strafzahlungen zu vermeiden. Die Spannung steigt, ob die Elektro-Offensive bis dahin bei den Kunden angekommen ist.