Es war ein Krisentreffen, das EU-Kommissar Maroš Šefčovič, zuständig für die europäische Energieunion, vor wenigen Tagen in Brüssel anberaumt hatte: "Wir sind an einem kritischen Punkt. Batterien sind das Herzstück der industriellen Revolution", sagte er. "Die fehlende europäische Zellproduktion gefährdet unsere Industrie." Etwa 40 Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik hatte der stellvertretende Kommissionspräsident geladen, um für seine Idee einer herstellerübergreifenden Produktion zu werben. Ein "Airbus für Batterien" ist sein Ziel, das die Bundesregierung unterstützt. Firmen wie Daimler, Renault, Siemens, VW und Continental kamen - sie wollen im Februar 2018 erste Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppen vorstellen. Doch die europäische Batterie-Allianz ist spät dran, vielleicht zu spät. Denn asiatische Wettbewerber haben längst Fakten geschaffen.
Die Aufholjagd ist herausfordernd. Es geht zwar um mögliche Milliardengewinne. Aber auch um hohe Risiken.
Die Frage ist: Wer verdient künftig am Bau von Automobilen?
VW-Konzernchef Matthias Müller will bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts Batterien im Wert von 50 Milliarden Euro einkaufen für all die E-Wagen, die da kommen sollen: "Wir reden hier über eines der größten Beschaffungsvorhaben in der Geschichte unserer Industrie." Was VW in wenigen Jahren benötigt, entspricht, Stand heute, einer Verdreifachung der momentanen Weltproduktion. Und da sind all die Elektrofahrzeuge nicht eingerechnet, die andere Hersteller angekündigt haben. Fest steht: der Bedarf ist groß. Und das wird die Wertschöpfung verändern.
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Zunächst sind es zwei, weitere sollen folgen. Doch ein kompletter Umstieg bleibt vorerst eine Vision.
Während Verbrennungsmotoren samt Getriebe weniger als 10 000 Euro kosten, liegen allein die Batterien für E-Autos mit 500 Kilometer Reichweite deutlich darüber. Deshalb sind diese Wagen teuer.
Die Frage ist: Wer verdient daran? Motoren und Getriebe bauen Autofirmen selbst oder kaufen sie etwa bei europäischen Zulieferern wie ZF ein. Wenn von Batterien für E-Autos die Rede ist, geht es um das Gehäuse, die Steuerelektronik, vielleicht auch Kühlrippen - und die Zellen, in denen die Energie gespeichert ist. Bei diesem Kern des Ganzen sind einige wenige Zulieferer aus Fernost bestimmend: Panasonic aus Japan sowie LG und Samsung aus Südkorea. Und zunehmend chinesische Hersteller, Firmen von denen hierzulande noch kaum einer je gehört hat: etwa BYD und CATL. Je nach Betrachtung liegen sie sogar schon auf Platz zwei und drei in der Welt und streben selbstbewusst voran: "Zu Beginn des nächsten Jahrzehnts wollen wir in Europa Zellen fertigen", sagt CATL-Europa-Chef Matthias Zentgraf. Bis Ende dieses Jahres will sich der Zellfertiger für einen Fertigungsstandort entscheiden.
Kein Standort in Deutschland, eher in Osteuropa
Obwohl sich CATL in engen Gesprächen mit Volkswagen befindet, ist ein deutscher Standort für die Zellproduktion unwahrscheinlich. Zu hoch seien die Arbeits- und vor allem die Energiekosten in der extrem energieintensiven Fertigung, so Zentgraf. Wahrscheinlicher ist ein Standort in Osteuropa, wo es billigen Kohlestrom gibt: ein Rückschlag für die Energiebilanz der Ökoautos. Und eine Herausforderung für die Batterie-Allianz in Brüssel. Die muss feststellen, dass die asiatischen Konzerne auch bei der Produktion voraus sind: Der südkoreanische Batteriegigant LG Chem hat gerade im polnischen Wroclaw die erste Großserienproduktion von Lithium-Ionen-Zellen in Europa eröffnet. Mittelfristig sollen damit 100 000 Elektroautos pro Jahr bestückt werden. Samsung baut nahe Budapest eine weitere Zellproduktion auf.
Bei CATL verleihen die finanziellen Ressourcen den Plänen besonderes Gewicht: Einige Gründer des ebenfalls kaum bekannten Unternehmens Amperex Technology (ATL) haben auch CATL ins Leben gerufen. ATL ist einer der größten Hersteller von Batterien für die Unterhaltungselektronik. Der Fall zeigt die Industrielogik: Mit vielen Millionen kleinen Smartphone-Akkus verdienen die bisherigen Zellanbieter ihr Geld. Ihre Automobil-tauglichen Zellen rechnen sich dagegen erst mittelfristig, weil die verkauften Stückzahlen noch zu klein sind und die Fabriken teuer. Mindestens 1,3 Milliarden Euro kostet eine Batteriefertigung, sagen Berater der deutschen Bundesregierung. Und zehn Jahre lang würde die Anlage dann Verluste machen. Kundige Automanager sagen gar: Um das vernünftig zu machen, bräuchte es fünf oder zehn Milliarden Euro.
Die Fertigung ist teuer, die Forschung herausfordernd. Es gilt etwa, den seltenen Rohstoff Kobalt möglichst sparsam einzusetzen. Hunderte von Parameter bestimmen nicht nur die Energie- und Leistungsdichte, sondern auch die Lebensdauer der Energiespeicher und ihre Fähigkeit, schnell geladen zu werden: Zum Beispiel vertragen die Zellen nicht mehr als 50 Grad Celsius. Kurzum: Wer nicht im Detail durchblickt, riskiert einen technologischen Rückstand bis hin zu brandgefährlichen Kettenreaktionen in der überforderten Batterie. Und wer nicht viel Kenntnis hat, produziert viel teuren Ausschuss. In den Fabriken müssen die Roboter - es sind hier nur wenige Menschen tätig - sehr präzise programmiert sein. Denn der Preis für Akkuzellen sinkt schneller als erwartet, zuletzt um fast 30 Prozent jedes Jahr.
Aufwändige Technik, hoher Wettbewerb und dann lässt sich noch nicht einmal Geld verdienen. Ein hartes Geschäft. "Es gibt momentan niemanden, der mit Automotive-Zellen Geld verdient", erklärt ein hochrangiger Vertreter der Batterie-Zulieferindustrie, der nicht namentlich genannt werden möchte: "Das sind strategische Investitionen in einen Zukunftsmarkt. Deshalb ist es so schwierig, einen europäischen Zellhersteller aufzubauen."
Hersteller wie BMW, Daimler oder der Volkswagen-Konzern haben zwar Grundwissen. Aber der Vorsprung der Asiaten gerade beim Material- und Produktions-Know-how ist enorm. Das zeigt das Beispiel der Deutschen Accumotive: Ab dem Jahr 2012 produzierten der Chemie-Konzern Evonik und Daimler im sächsischen Kamenz Zellen für Smart- und Mercedes-Autos. Der vermeintliche technologische Höhenflug endete mit einer finanziellen Bruchlandung. "Allein der Evonik-Verlust betrug am Ende 300 Millionen Euro", berichtet der frühere Bundeswirtschaftminister und heutige Evonik-Aufsichtsratsvorsitzende Werner Müller. "Daimler konnte die Zellen von LG zu einem Viertel der Kosten beziehen." Die deutschen Zellen seien sicherer gewesen und flexibler beim Laden. "Doch das hat in der Praxis nur niemand gebraucht", sagt Müller. Schon gar nicht zu dem Preis.
"Das Scheitern der eigenen Zellproduktion steckt uns noch in den Knochen", gibt Elektroautoforscher Andreas Docter zu, der heute für die Elektroauto-Antriebe bei Daimler verantwortlich ist: "Wir bauen zwar in Kamenz weiterhin komplette Batterien und werden auch in den USA, China und in Stuttgart weitere Batteriewerke errichten. Aber an eine eigene Zellproduktion denken wir derzeit nicht." Was er sagt, ist weitgehend Konsens in der europäischen Autoindustrie.
Nur Zulieferer wie Bosch denken derzeit noch darüber nach, in die Produktion von Batteriezellen einzusteigen. Aber auch hier scheint die Einsicht zu überwiegen: Das Know-how in der aktuellen Technologie, die auf Lithium als Trägermaterial setzt, liegt in Asien. Erfolgversprechender wäre es, in eine ganz neue Technik zu investieren, Festspeicher etwa, die ganz neue Fabriken brauchen. Doch dieses Systeme stecken noch in der Forschung. Autos lassen sich damit heute noch nicht ausrüsten.