Elektroautos:Es grünt so grün

Europas Großstädte sind auf dem Weg, das Auto zurückzudrängen - die E-Mobilität rückt immer näher.

Joachim Becker

Sind Großstädte ein Spiegel der Gesellschaft? Wenn ja, sieht unser kollektives Ebenbild ziemlich zerfurcht aus. Verkehrsadern ziehen sich wie kaum verheilte Narben durch den urbanen Organismus. Aus Industrieansiedlungen und Eisenbahnknotenpunkten des 19. Jahrhunderts wurden mehr oder minder autogerechte Metropolen. Dabei hatte die wuchernde Infrastruktur im Zweifelsfall immer Vorrang vor Sozial- und Umweltaspekten.

Elektroautos: Zukunftsmusik: So soll die Pariser City 2030 aussehen. Darunter: eine Elektroautostudie von Mercedes im C-Klasse-Format

Zukunftsmusik: So soll die Pariser City 2030 aussehen. Darunter: eine Elektroautostudie von Mercedes im C-Klasse-Format

(Foto: Foto: Rogers Stirk Harbour + Partners)

Wie diese (Eigen-)Dynamik funktioniert, lässt sich momentan in China erleben: Bis 2030 werden eine Milliarde Chinesen in Mega-Citys leben. Um die grassierende Landflucht zu kanalisieren, müssen 50 000 Wolkenkratzer und 170 öffentliche Verkehrssysteme wie U- und S-Bahnen gebaut werden. Mit Parolen wie Eco-Metropolis, Wiederentdeckung der Stadt oder "humanizing our Cities" verbinden die meisten Chinesen eher Rück- als Fortschritt. Deshalb wird der Individualverkehr mit seinem enormen Flächenverbrauch die Stadtentwicklung dort auch künftig prägen.

Allein in Shanghai soll sich die Zahl der Autos und Lastwagen bis 2020 vervierfachen. Jedes Auto beansprucht rund 200 Quadratmeter versiegelte Verkehrsfläche für das Fahren und Parken - zehnmal so viel wie ein Fahrrad. Doch die aufstrebenden Asiaten wollen ihren neuen Wohlstand zur Schau stellen. Ob sie dabei im Dauerstau stehen, ist für diesen Akt der automobilen Repräsentation nebensächlich.

In den USA, der Heimat des American Way of Drive, soll die Abhängigkeit vom Auto dagegen reduziert werden. "Ich wurde bei meiner Vortragsreise durch nordamerikanische und kanadische Städte kürzlich gefeiert wie ein Pop-Star", wundert sich Niels Tørsløv. Mit dem Mobilitätskonzept "City of Cyclists" fand der Verkehrsdirektor von Kopenhagen unerwartet viele Freunde: "Schon heute halten wir mit Amsterdam den Weltrekord beim Anteil von Fußgängern und Fahrradfahrern am Innenstadtverkehr. Bis 2015 soll die Hälfte aller Wege zum Arbeitsplatz per Fahrrad absolviert werden. Dafür bauen wir die Radwege mit zehn bis 20 Millionen Euro pro Jahr weiter aus." Grüne Welle ("keinen Fuß auf den Boden"), spezielle Brücken und breite Wege für Radfahrer lassen diese in der Innenstadt schneller vorankommen als Autofahrer. Kein Wunder, dass es dort mehr Fahrräder als Einwohner gibt.

Umwelt-Bonus als Imagefaktor für Großstädte

Kopenhagen ist ein Trendsetter des postfossilen Zeitalters. Dänemarks Hauptstadt gehörte zu den acht Finalisten beim "Green Capital"-Award der Europäischen Union. Sieger als umweltfreundlichste und lebenswerteste Städte sind allerdings Stockholm (2010) und Hamburg (2011). "Viele Städte wollen sich schön machen, um junge und gut ausgebildete Menschen anzuziehen", so der Soziologe Alexander Mankowsky, "in den alternden Gesellschaften ist ein Wettbewerb um die innovativen und einkommensstarken Schichten entbrannt", erklärt der Zukunftsforscher bei Daimler.

Während viele ländliche Gebiete vor allem in Ostdeutschland in Gefahr seien, im wahrsten Sinne des Wortes auszusterben, profitierten die Eco-Hauptstädte von der absehbaren Wanderungsbewegung. Barcelona und Hamburg zeigen beispielhaft, welche Blüten moderne Architektur auf den Ruinen des Industriezeitalters treiben kann. Die zentrale Lage der neuen Quartiere bietet sich auch für alternative Verkehrskonzepte an. Davon werden nicht nur Fahrräder, sondern auch Elektroautos profitieren.

Der Umwelt-Bonus wird für immer mehr Städte zum Image-Faktor. Unter dem Etikett der Luftreinhaltung lässt sich auch eine City-Maut wie in London leichter durchsetzen. Das reduziert die Belastung durch den Verkehr und schafft zusätzliche Einnahmequellen. "Wenn die Innenstädte für Verbrennungsmotoren geschlossen werden, brauchen wir mindestens 30 Kilometer elektrische Reichweite", gibt Peter Ratz zu Bedenken. Dafür seien nicht nur neue Elektroantriebe, sondern auch Leichtbaukonzepte nötig, fügt der Entwicklungsleiter des BMW Project I hinzu. "Bei großen Stückzahlen ist nichts günstiger als integrierte Stahlkarosserien, die wir mit automatischen Stanz-, Press- und Schweißwerkzeugen fertigen", so Ratz, "für viersitzige Elektrofahrzeuge, die ohne Batterien rund eine Tonne wiegen sollen, ist ein Aluminium-Spaceframe mit Kunststoffbeplankungen ein möglicher Lösungsansatz - auch weil man für zusätzliche Karosserievarianten in kleinen Stückzahlen keine teuren Werkzeuge benötigt", sagt Ratz.

Die Frage ist längst nicht mehr ob, sondern wann und wie wir elektrisch fahren werden. Für 2020 erwartet der Stromversorger RWE 2,5 Millionen E-Autos auf Deutschlands Straßen - und übertrifft damit die Planungen der Bundesregierung um mehr als das Doppelte. Die Prognosen gehen von unterschiedlichen Subventionsmodellen aus. Während viele Stromkonzerne fest mit einer öffentlichen Förderung nach japanischem Vorbild rechnen, will die ohnehin klamme Regierung keine Arbeitsplätze bei heimischen Automobilherstellern gefährden. Im Schulterschluss mit Renault ist Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy da schon einen Schritt weiter: "Wir werden in den nächsten vier Jahren mehr als 400 Millionen Euro öffentliche Mittel für Elektroautos mobilisieren", kündigte er auf dem Pariser Autosalon 2008 an. Den Kauf von E-Mobilen fördert Frankreich bereits mit einem Bonus von 5000 Euro.

Vorreiter ist Paris - notgedrungen

Paris stand in den vergangenen 150 Jahren immer wieder im Zentrum revolutionärer Verkehrs- und Stadtplanungen. Napoleon III. ließ Mitte des 19. Jahrhunderts monumentale Sichtachsen durch alte Viertel schlagen und Prachtstraßen von insgesamt 150 Kilometer Länge bauen. Doch schon bald wurde das visionäre Konzept zum beengenden Korsett, der Architekt le Corbusier wollte daher große Teile der Innenstadt abreißen lassen. In seinem "Plan Voisin" von 1925 sollten Hochhäuser in Stahlbeton-Skelettbauweise die alten Quartiere ersetzen. Damit wurde er zum Vordenker des heutigen New York. Robert Moses griff die Ideen auf und ließ außer Hochhäusern auch Magistralen mit spektakulären Brücken bauen: In der Freizeit sollte sich der moderne Mensch beim Autofahren erholen. Freeways und Wolkenkratzer waren ein bewusster Gegenentwurf zu den engen, dunklen Großstädten des alten Europa.

Die konsequente Umsetzung des amerikanischen Traums mit mehr als 100 Kilometer langen Stadtautobahnen wie in Los Angeles ist uns erspart geblieben. Jetzt setzt auch Paris auf eine Vision 2030, in der sich Fußgänger, Fahrradfahrer und Elektrofahrzeuge einen Großteil der innerstädtischen Verkehrsflächen teilen sollen. Einen internationalen Ideenwettbewerb für "Grand Paris - Métropole Post-Kyoto" hat Staatschef Sarkozy bereits initiiert. Die Zeit drängt: Im Großraum Paris leben mehr als elf Millionen Menschen, täglich werden 2,7 Millionen Fahrten mit dem Auto gezählt - viele davon kürzer als fünf Kilometer.

Entsprechend dick ist die Luft und entsprechend groß ist die Zustimmung für eine City-Maut. Sie könnte Einnahmen von jährlich 75 Millionen Euro bringen, ergab eine Studie des Arbeitgeberverbands Medef, weitere 420 Millionen Euro eine Sonderabgabe für Lastwagen in Höhe von 15 Cent pro Kilometer. Das öffentliche Nahverkehrssystem könnte durch höhere Parkgebühren ausgebaut werden. Einige hundert öffentliche Ladestationen für die ersten Elektroautos ließen sich damit auch noch finanzieren.

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