Elektroautos:Diese Firma will Tesla überholen

Atieva

Bislang muss noch ein umgebauter Mercedes-Kleinbus (links) herhalten, wenn Atievas Konstrukteure bei Beschleunigungsrennen ihr Können zeigen wollen.

(Foto: OH)

Atieva arbeitet in Kalifornien heimlich an einem verdammt schnellen Elektroauto. Bald will das Unternehmen besser sein als die deutschen Autobauer - und als sein Nachbar.

Reportage von Max Hägler, San Francisco

Man möge den Gurt recht festziehen. Mehr sagt der ernst dreinblickende, karohemdtragende Vollbart-Träger nicht, der am Steuer des Mercedes Vito sitzt. Dann gibt er unvermittelt Vollgas. Testfahrt auf einer öffentlichen Straße in einem Gewerbegebiet südlich von San Francisco - mit einem internationalen Team, das mit chinesischem Geld und deutschen Teilen vor allem Tesla Konkurrenz machen will bei teuren Elektroautos.

Nach hinten drückt es einen, die Luft bleibt weg. Jetzt darf niemand aus einem Hof rollen. Drei Sekunden braucht das Gefährt, um auf 100 Kilometer pro Stunde zu kommen. Lässt angeblich einen 12-Zylinder-Ferrari alt aussehen. Ist glaubhaft. Ein paar Sekunden nur, dann hat man diese Straße durchschossen, unter Missachtung sämtlicher Verkehrslimits. Bremsen. Durchatmen. U-Turn. Und zurück geht es in Katapultgeschwindigkeit zu dem unscheinbaren zweistöckigen Bürohaus in Menlo Park, Kalifornien, wo eine kleine Firma namens Atieva dieses Teil zusammenbaut, dessen Anschein trügt.

Der wohl schnellste Van des Westens

Es ist letztlich auch nur noch zur Hälfte ein Mercedes: So ziemlich alles haben sie herausgeschraubt - und durch einen Elektroantrieb samt Batterien ersetzt. Der neue Name: Edna. Ein Kleinbus sei halt ein ganz guter Testträger, solange das eigene Chassis noch nicht fertig sei, sagt der Vollbart-Mann. "Dank uns sind Sie jetzt mit dem wohl schnellsten Van im Westen gefahren."

Anstandshalber, immerhin, ist der Stern abgeklebt. Aber natürlich hat das Symbolkraft: Man nehme das Verbrenner-Auto eines deutschen Herstellers, der - wie alle deutschen Hersteller - gerade noch wenig anzubieten hat in Sachen Elektromobilität, baue es um und fahre damit in die Zukunft. Oder starte zumindest einmal energisch. Denn noch ist unklar, wie weit die Kraft reichen wird.

Hier in der Bay Area, wo sich Städtchen und Gewerbegebiete nahtlos aneinanderreihen, basteln ein Dutzend Firmen an Elektroautos; die großen, weltbeherrschenden IT-Konzerne Apple und Google, die etablierten Autohersteller wie Mercedes oder Ford; natürlich Tesla. Und seit einigen Monaten tuschelt die Szene über dieses Atieva.

Sie wollen die deutschen Hersteller überholen

Kaum ein Firmenfremder hat bislang Einblick bekommen in das "Project Cosmos", wie sie es nennen. Jetzt lassen sie, beinahe zum ersten Mal, einen Besucher hinein - und erklären, woher sie diese unverschämte Gewissheit nehmen, der beste Elektro-Autohersteller werden zu können. Wen sie dabei überholen wollen, zeigt sich am Parkplatz: Ganz vorne am Eingang sind Stellplätze reserviert, der Reihe nach: "Parking only" für Audi A6, A7, A8 und andere deutsche Hersteller. Hier soll sich in der ersten Jahreshälfte 2018 die Atieva-Limousine einreihen.

Aber gibt es das nicht schon, mit Tesla: einen Premium-Elektrowagen? "Tesla ist fantastisch", sagt Cheftechniker Peter Rawlinson. Er muss es wissen, war dort lange Zeit ein verantwortlicher Ingenieur. "Aber wir entwickeln einen Wagen, der noch viel stärker auf die neuen Möglichkeiten eingeht, etwa das Fehlen eines Motors vorn, und wir machen das vom weißen Blatt aus, wir sind kein normaler Autohersteller."

Schneller und cooler will man sein.

Es sieht nach Porsche Panamera oder Audi A7 aus

In der Werkstatthalle steht ein Modell unter einem schwarzen Tuch, ein wenig wird gelupft. Lichtleisten an der Front, der Rest sieht ein wenig nach Porsche Panamera oder Audi A7 aus. Trotz aller Freiheit: Es schaut ungewöhnlich, aber schon noch nach Auto aus. Offenbar will man die potenziellen Kunden nicht verschrecken.

Gegründet hat Atieva unter anderem ein früherer Tesla-Manager, vor neun Jahren schon, damals war man Batteriezulieferer. Vor zwei Jahren kam die Entscheidung: Mit dieser Expertise lassen sich auch eigene Autos bauen. Eine dreistellige Millionensumme ist mittlerweile investiert worden. Es ist Geld vom japanischen Mitsui-Konzern, von Venrock, der Investmentfirma der Rockefeller-Familie, die einst auch Apple und Intel beim Start half. Und es ist viel Geld aus China, etwa vom Staatsunternehmen BAIC.

Sie sitzen in einem brutal nüchternen Büro

Das, was die 300 Mitarbeiter daraus machten, habe das Potenzial, die Welt der Mobilität zu verändern, sagt Peter Rawlinson. Von US-Amerikanern kennt man große Worte. Aber Rawlinson ist ein so leise wie schnell sprechender Brite. Er kommuniziert seine Begeisterung zurückhaltend - indem er sein "handverlesenes" Team vorstellt. Viele kommen von den großen der Autobranche, sagen solche Sätze: "Wir wollen Teil von dem großen Wechsel in der Autowelt sein!"

Im ersten Stock sitzen die Theoretiker, in einem brutal nüchternen Großraumbüro. Kein Vergleich zum bunten Google-Campus ein paar Kilometer weiter. Rawlinson geht von einer Bürotisch-Insel zur nächsten. Hier Jean-Charles, zuvor bei einem Formel-1-Team, jetzt zuständig für die Aerodynamik des noch namenlosen Autos. Sein Monitor zeigt eine Simulation, in der Wind durch das Chassis und den Motor fegt.

Die Motoren bringen es auf 900 PS

Eine Arbeitsinsel weiter sitzt Eric, der mit seinem Team bei einem deutschen Hersteller für Beleuchtungsfragen zuständig war - und jetzt die Scheinwerfer entwickelt, aufbauend auf dem Prinzip von Insektenaugen. Das habe es im BMW schon mal gegeben. "Aber wir entwickeln das mit aufwendigen mathematischen Analysen weiter zum Fahrlicht", sagt Rawlinson.

Sein Kollege David, ebenfalls ein distinguierter Brite mit Anzug und Samtkrawatte, hat den Tesla S mitentwickelt, ist für Batterien und den Motor verantwortlich. Er drückt einem eine Batterie in die Hand, die sie gemeinsam mit der nahen Stanford-University entwickeln: Am Teilchenbeschleuniger dort blicken sie in die Zellen, um elektrochemische Vorgänge zu verstehen. Im Regal: ein Elektromotor eines Teslas und ein eigener, das Differenzialgetriebe ist ganz nah verbaut. Elegant sei das Teil, sagt Rawlinson. Und mit 13,4 Kilogramm extrem leicht. Die im Versuchswagen zusammengeschalteten Motoren bringen es auf 900 PS.

Zum Vergleich: Der Elektro-Porsche wird 600 PS leisten, wenn er ab dem Jahr 2020 vom Band rollen wird.

Highway- statt Autopilot

Auch einige ehemalige Bosch-Ingenieure sind an Bord; ihr früherer Arbeitgeber liefert einige Hightech-Teile zu, wohl unter anderem Sensoren, also die Augen und Ohren des integrierten Fahrroboters. Wobei die Atieva-Leute zurückhaltender sind als die bereits fahrtüchtige Konkurrenz: Nein, man nenne die Assistenzsysteme derzeit nicht Autopilot, sagen sie, sondern Highway-Pilot. Der Seitenhieb auf Tesla ist nicht zu überhören: Dessen Autopilot verleitet so manchen Fahrer dazu, die Hände vom Lenkrad zu nehmen, hat aber mindestens einen tödlichen Unfall nicht verhindern können.

Anders als bei den ganz großen Konzernen ist bei Atieva alles an einem Ort versammelt. Unten im Erdgeschoss in einer Plexiglasbox: Ein Prüfstand, in dem sich allerlei dreht. Auf dem Monitor: Leistungskurven, bei denen Atieva besser abschneidet als ihr Wettbewerber. Bald wollen sie den realen Test machen. Ein deutscher Zulieferer baut gerade die notwendigen Aluteile, die bislang nur als Computerskizze auf den Monitoren zu sehen sind. Alles sehr wichtig, alles sehr relevant, sagt Rawlinson. Aber? "Der Zaubertrank, der dann wirklich alles zum Leben erweckt, das ist die Software!" Das ist nun in der Tat ein Satz, den der Chefingenieur eines normalen Autoherstellers so nicht sagen würde.

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