Elektroautos:Aus der Krise an die Dose

Hopp oder top: Die Autoindustrie erhofft sich von den Elektrofahrzeugen neue Impulse. Eine Standortbestimmung.

Joachim Becker

Wenn Krisen auch Chancen sind, dann ist das eine der größten Chancen der Automobilgeschichte: "Die Krise ist ein Katalysator", sagte Dieter Zetsche jüngst auf einem Fachkongress in Berlin: "Jetzt wird sich zeigen, wer zukunftsfähig in unserer Branche ist." Zu den Folgen der Finanzkrise kämen jetzt noch die hohen Investitionen für eine klimafreundliche Mobilität, so der Daimler-Chef. Die deutschen Hersteller werden selbst bis 2015 Mühe haben, den geforderten CO2-Durchschnitt von 130 Gramm pro Kilometer zu erreichen. Geradezu utopisch mutet ein Klimaziel von 95 g/km CO2 an, das die EU-Kommission für 2020 anpeilt. Mit den heute üblichen Fahrzeug- und Antriebskonzepten ist eine solche Senkung des Neuwagenverbrauchs von 5,5 auf vier Liter Benzin (oder 4,9 auf 3,6 Liter Diesel) allein nicht zu schaffen.

Elektroautos: Die Hersteller sehen sich zunehmend auch als Mobilitätsanbieter. Beim Mercedes-Projekt Car2go können Mitglieder spontan für 19 Cent pro Minute einen Smart mieten und überall wieder abstellen.

Die Hersteller sehen sich zunehmend auch als Mobilitätsanbieter. Beim Mercedes-Projekt Car2go können Mitglieder spontan für 19 Cent pro Minute einen Smart mieten und überall wieder abstellen.

(Foto: Foto: oh)

Eine Branche steht unter Strom: Gehört die Zukunft - wenigstens teilweise - den lokal emissionsfreien Elektromotoren? "Wir erwarten 2020 bei Neuwagen in Europa einen 25-prozentigen Marktanteil von Batteriefahrzeugen oder Plug-In-Hybriden, die sowohl mit Strom als auch mit konventionellem Kraftstoff betankt werden", prognostiziert Michael Valentine-Urbschat. "In China werden jährlich bereits 16 Millionen Elektro-Zweiräder mit Hochvolt-Batterien verkauft", so der Unternehmensberater von Roland Berger, "die spannende Frage ist, ob Chinesen oder Japaner die Akku-Kosten schneller reduzieren können." Der Experte ist sich sicher: "In zwei bis drei Jahren geht das Rennen um die Elektromobilität in seine entscheidende Phase."

Die ersten Lithium-Ionen-Batterien aus der Großserie sollen laut einer aktuellen Roland-Berger-Studie 2010/11 rund 400 Euro pro Kilowattstunde kosten. Für eine Reichweite von 150 Kilometer werde der 20-kWh-Akku entsprechend 8000 Euro teuer sein - bis 2020 könne sich der Preis noch einmal halbieren. Das wäre der Durchbruch für die E-Mobilität nach Jahrzehnten zäher Forschung. "Das ist ein Punkt, der mich sehr ärgert: Deutschland war einmal führend in der Batterietechnik", sagt Martin Winterkorn. Diesen Vorsprung habe man ohne Not aufgegeben und hinke nun bei der Lithium-Ionen-Batterie deutlich hinterher. Es werde zehn Jahre dauern, bis man den Vorsprung aufhole, erklärte der VW-Chef zu Anfang dieses Jahres.

Ein Blick in den Rückspiegel zeigt, wann die heimische Industrie den Stecker gezogen hat: "Nach einer Opel-Studie würden sich 95 Prozent der Deutschen ein E-Auto kaufen. Solange es nicht teurer als 25.000 Mark ist. Die ABB-Batterien in einem BMW Dreier kosten heute etwa 50.000 Mark. Also Thema durch", stellte die ADAC Motorwelt 1992 ernüchtert fest. Anlass war ein groß angelegtes Elektroprojekt auf der Insel Rügen, an dem BMW, Mercedes, Opel, VW, Neoplan und diverse Batteriehersteller teilnahmen.

Aus der Krise an die Dose

Trotz Subventionen in zweistelliger Millionenhöhe versandete die Elektroinitiative nach vier Jahren. Einzig der Audi A4 Avant duo ging 1997 als erstes europäisches Hybridfahrzeug in Serie - mit 29 Elektro-PS und einem 90-PS-Turbodiesel. 320 Kilo Blei-Gel-Batterien im Heck bremsten das Temperament allerdings erheblich, auch der Preis von 60.000 Mark war kein Renner. Nach nur einem Jahr und 100 verkauften Exemplaren war der Hybrid in Deutschland erst mal gestorben. Toyota und Honda glaubten dagegen an die Hochvolttechnik und investierten konsequent weiter.

Elektroautos: Licht und Schatten: Die krisengeschüttelte Autoindustrie setzt voll auf das elektrische Fahren. Für 2020 wird ein 25-prozentiger Marktanteil von Modellen wie dem Mitsubishi i-MiEV erwartet, der 2010 in den Handel gehen soll.

Licht und Schatten: Die krisengeschüttelte Autoindustrie setzt voll auf das elektrische Fahren. Für 2020 wird ein 25-prozentiger Marktanteil von Modellen wie dem Mitsubishi i-MiEV erwartet, der 2010 in den Handel gehen soll.

(Foto: Foto: oh)

Jetzt blasen Politik und Wirtschaft zur Aufholjagd: Ende des Jahres wird das Bundeskabinett einen Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität verabschieden. Auf einer vorbereitenden Konferenz am 25. und 26. November soll die Strategie mit allen beteiligten Ministerien, Forschern und Industrievertretern in Berlin festgezurrt werden. Die Zeit drängt: Wenn immer mehr Kunden auf neue Antriebskonzepte warten - und dabei womöglich auf Staatshilfe hoffen - könnte sich der momentane Käuferstreik zur Systemkrise auswachsen.

In den Niederlanden, Dänemark und Griechenland gibt es bereits Subventionen für Elektroautos von mehreren tausend Euro. Die Frage ist, wie die Elektro-Offensive in dem Land starten kann, in dem das Auto erfunden wurde. Bei einem ähnlichen Technologiebruch zwischen dem Festnetz- zum Mobiltelefon stand der Vorreiter Deutschland am Ende als Verlierer da. Jetzt ist wieder Gründerzeit - und die Hersteller haben viel zu verlieren.

Die CO2-Diskussion kratzt an der sozialen Akzeptanz für große Autos, zudem wird der Platz in überfüllten Metropolen knapp. In Tokio darf ohne Garagennachweis kein Auto mehr zugelassen werden. Folgerichtig werden sich parallel zur E-Mobilität neue Fahrzeugkonzepte entwickeln: "Wir wollen mehr Flexibilität. Wir erwägen sowohl ein- als auch zweispurige Konzepte - und auch eine Mischung daraus", sagt Friedrich Eichiner, "für Familien mit Kindern bringen Zweisitzer aber nichts, deswegen arbeiten wir auch an Lösungen, die den Leichtbau und emissionsfreien Antrieb in neue Sphären heben wird." Der BMW-Vorstand für Konzern- und Markenentwicklung will mit "project i" eine engere Vernetzung mit der Umwelt erreichen.

Aus der Krise an die Dose

Eine Idee, die auch in Ulm seit einigen Wochen erprobt wird. In dem Pilotprojekt Car2go können registrierte Mitglieder für 19 Cent pro Minute einen von 50 Smart Fortwo spontan mieten und überall im Stadtgebiet wieder abstellen. "Solche Ideen gab es unter dem Namen Smartmove bereits vor zehn Jahren, damals waren die Telematik-Systeme zur Ortung der Fahrzeuge beziehungsweise zu deren Reservierung per Internet oder Handy aber noch nicht so weit", erinnert sich Robert Henrich.

Er gehört zum Bereich Business Innovation, der seit einem Jahr neue Geschäftsmodelle im Daimler-Konzern entwickelt. "Die Autoindustrie stößt an Wachstumsgrenzen, wir denken über das Kerngeschäft hinaus", sagt der Projektleiter von Car2go. Derzeit wird das Ulmer Community-Konzept erprobt. Im Frühjahr 2009 soll die Fahrzeugflotte in Ulm auf 200 Einheiten erweitert und für jedermann nutzbar werden. Schritt für Schritt wird dieses Konzept dann in Metropolen weltweit angeboten, spätestens dann wird sich zeigen, ob sich Car2go tatsächlich rechnet. Grundsätzlich kalkulieren die Stuttgarter Business Innovatoren mit verantwortungsvollen Nutzern - und mit besseren Margen als im klassischen Fahrzeuggeschäft.

Klar ist: Der Verbrennungsmotor hat ein Imageproblem und die Premiumhersteller avancieren zu integrierten Mobilitätsanbietern. Vorbei die Zeiten, als Autoverkauf "aus den Augen, aus dem Sinn" bedeutete. Dazu ist die Kundenbindung zu wertvoll. Die entscheidende Frage wird sein, wie sich diese Kundenloyalität auf neue Mobilitätsangebote übertragen lässt. Oder stirbt das Auto als Statussymbol bis auf wenige Nischen aus? Stehen wir gar am Beginn einer postmaterialistischen Epoche, in der die flexible und effiziente Nutzung wichtiger wird als die Marke und der prestigeträchtige Besitz?

Aus der Krise an die Dose

Sicher ist, dass es bei E-Fahrzeugen nicht allein um die Umwelt und das Ende fossiler Kraftstoffe geht. Die zunehmende Urbanisierung und eine alternde Gesellschaft dürfen in einer Diskussion über die Zukunft der individuellen Mobilität so wenig fehlen wie der Paradigmenwechsel von der Hardware zur Software - von dummen, durstigen Autoriesen zu intelligent vernetzten Fahrzeugen inklusive Energiemanagement an Bord und auf Netzebene. In Großstädten wird zum Beispiel mehr als ein Drittel des Kraftstoffs allein bei der Parkplatzsuche verfeuert. Vernetzte Lösungen wie Car2go sparen Parkraum und bieten sich zudem an, um die teuren Elektrofahrzeuge auf die Straße und damit auf Stückzahlen zu bringen. Mitsubishis i-MiEV soll zum Marktstart 2010 dreimal so viel kosten wie die benzingetriebene Variante.

Mieten statt kaufen, dafür sprechen auch die schnellen Entwicklungszyklen aller Hochspannungskomponenten im Auto: Nach drei Jahren werden die Batterien so überholt sein, wie wir es heute bei Handys und Laptops erleben. Das Project Better Place setzt daher auf kontinuierliche Akku-Updates. Die Energiespeicher bleiben im Besitz des Mobilitätsanbieters, während der Kunde lediglich deren Nutzung bezahlt - den Öko-Stromer bekommt er wie das Handy bei Mobilfunkverträgen mehr oder weniger kostenlos dazu. "Wir kalkulieren mit der Differenz zwischen Kraftstoffpreisen und niedrigeren Stromkosten", erklärt Sven Thesen. Der Strategieexperte von Better Place ist zuversichtlich: "Eine Million Ladestationen und weitere Servicepunkte zum Akkuwechsel genügen, um die Mobilität 2.0 in Deutschland zu starten."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: