Elektroautos aus China:Volvos neue, kluge Schwester

Lynk & Co 01

Elektrisch und voll vernetzt: Lynk & Co sieht sich als Mobilitätsanbieter für eine jüngere Generation.

(Foto: Lynk & Co)
  • 2019 will der chinesische Geely-Konzern, zu dem der schwedische Autobauer Volvo gehört, eine neue Elektroautomarke nach Europa bringen.
  • Lynk & Co vertraut auf das technische Knowhow und die Plattformen von Volvo, soll sich also von den chinesischen Billiganbietern abheben.
  • Die Marke setzt auf ein neues, stark onlinegetriebenes Vertriebsmodell mit Flagship-Stores und Popup-Läden.

Von Joachim Becker

Der Tabubruch ist Programm: "Das kannst du nicht tun, du kannst eine Automarke nicht Lynk & Co nennen." Grinsend erinnert sich Alain Visser an den Grundsatzstreit. Der 54-Jährige scheut keine Kontroverse, schließlich ist er seit 30 Jahren in der Branche, war Vertriebs- und Marketing-Chef bei Volvo und Opel. Was ihn nicht davon abhält, die "Auto-Freaks im Unternehmen" ständig herauszufordern. "Die Innovationsgeschwindigkeit in der Autoindustrie ist absolut lächerlich. Wir machen alle das gleiche." Um die eingefahrenen Gleise zu verlassen, stellt der Boss von Lynk & Co am liebsten junge Leute ein: von Ikea, Microsoft oder Fashion-Brands. 7o Prozent sind Branchen-fremd, 50 Prozent Frauen, Altersdurchschnitt: um die 30 Jahre. Genau jene urbanen Trendsetter, die auch die Autos der jungen Marke kaufen sollen.

Ziemlich verrückt müsse man sein, um im überfüllten Automarkt eine neue Marke zu gründen, sagt Visser. Er beschreibt sich selbst als "Maniac", der mit höchster Akribie Autoemotionen wecken wolle: "Alle Marken und Hersteller wollen die trendigen neuen Kunden und es kommt dann immer ein Altersdurchschnitt von 45 bis 50 Jahren heraus." So wie bei Mini, "einer sehr coolen Automarke meiner Meinung nach". Lynk & Co kann nicht wie die Briten auf eine lange Markenhistorie bauen. "Alles, was wir tun, muss deshalb perfekt sein, denn 99 Prozent der künftigen Kunden kennen uns noch nicht. Das ist extrem interessant, aber auch extrem schwierig."

Braucht die Welt eine neue Marke? "Die Antwort ist einfach: Nein, nicht so wie bisher. Das zu tun, was die ganze Welt tut, ist einfach ein großes Risiko", sagt Visser. Trotzdem hat er es mit einer kleinen Gruppe von Leuten gewagt. "Wenn wir es nicht tun, tut es ein internationaler Mobilitätsdienstleister, der die Autohersteller nur noch als Zulieferer braucht." Visser war 2016 mit dem neuen Volvo-Kompaktmodell XC 40 beschäftigt, als er die Idee für die unkonventionelle Schwestermarke hatte. Auch das Konzept für Volvos luxuriösen Elektro-Ableger Polestar entstand in dieser Zeit.

Letztlich hing aber alles von Konzern-Chef Li Shufu ab. Der 54-jährige hatte 1986 Geely gegründet und zur führenden Automarke Chinas gemacht. Auch bei der Volvo-Übernahme im Jahr 2010 bewies der Chinese das richtige Gespür. "Das Gespräch mit Li im April 2016 war sehr emotional: Ich bin nicht davon ausgegangen, eine solche Chance zu bekommen." Doch der Mann an der Konzernspitze gab grünes Licht - sowohl für die neue Marke als auch für den Namen: "Chairman Li sagte nur: Lynk & Co, das ist das neue Geely. Damit war die Diskussion zu Ende."

Drei Autos von drei Marken auf einer Plattform

Hinter der Marke steckt professionelles Kalkül: "Wir haben eine Pilotrolle für den gesamten Konzern", erzählt Visser, "Care by Volvo ist eine Variante unseres Vertriebskonzepts genau wie Polestar, das kann man ganz offen sagen." Auch bei der Technik gibt es große Gemeinsamkeiten: China Euro Vehicle Technology AB (CEVT) heißt das zentrale Entwicklungszentrum in Göteborg. Knapp neun Kilometer von Volvos Stammsitz entfernt arbeiten etwa 2000 Ingenieure an Synergien zwischen den Konzernmarken.

Auf der CMA-Plattform (Compact Modular Architecture) basiert nicht nur Volvos neue Kompaktklasse, sondern auch der technisch weitgehend identische Lynk 01 und ein SUV von Geely. "Die CMA erfüllt alle Anforderungen von Volvo. Wir haben auf Qualität geachtet - und konsequent bei den großen internationalen Zulieferern in China eingekauft", verrät Carl-Peter Forster. Der frühere BMW- und General-Motors-Manager koordiniert im Geely-Vorstand die Zusammenarbeit zwischen China und Europa. "Super-Qualität zu wirklich guten Kosten, ich behaupte mal: Das hat im Moment kaum jemand in der Welt", sagt Forster selbstbewusst.

6000 verkaufte Autos innerhalb von einer Minute

Die Rollenverteilung im Konzern ist klar: Die Traditionsmarke Volvo soll Audi, BMW und Mercedes Kunden abspenstig machen. Die Schweden waren mit 572 000 abgesetzten Autos im vergangen Jahr zwar immer noch viel kleiner als die Deutschen. Im Konzernverbund spielt Volvo jedoch auf Augenhöhe: Geely wächst seit Jahren zweistellig auf ein Volumen von derzeit 1,25 Millionen Autos. Visser hat mit Lynk & Co ebenfalls viel vor: Die Planung von 500 000 verkauften Fahrzeugen bis 2021 sei schon wieder Makulatur. "Dieses Ziel wird von Chairman Li als extrem konservativ gesehen. Eigentlich sollten es mehr sein."

Der Erfolg gibt Visser Recht. "Beim Verkaufsstart im November 2017 haben wir unsere ersten 6000 Fahrzeuge innerhalb von einer Minute verkauft. Das hatten wir überhaupt nicht erwartet", sagt der strahlende Vater der jungen Marke. Obwohl das Kompakt-SUV das bisher einzige Modell ist, hat Lynk & Co schon 20 000 Fahrzeuge losgeschlagen. Die 100 000er-Zielmarke für 2018 wird jetzt angehoben: "Ich glaube, da ist mehr möglich." Auch die Modelle 02 (ein etwas sportlicherer Crossover) und die Limousine mit dem Namen 03 hat Lynk & Co bereits auf Fotos gezeigt. Bis die Marke Ende des Jahrzehnts nach Europa kommt, sollen sie auf dem Markt sein.

"Netflix oder Spotify der Autoindustrie"

Das läuft alles wie im Marketing-Handbuch. Aber womit trifft Lynk & Co wirklich den Nerv einer neuen Generation? "Es gibt einen klaren Trend in China und im Rest der Welt: Immer weniger junge Leute wollen ein Auto besitzen. Aber sie wollen Premium-Mobilität genießen", glaubt Alain Visser. Aus dieser Erkenntnis sei Lynk & Co entstanden: Vergleichbar mit einem Streaming-Dienst im Internet könne man das Fahren per monatlicher Flatrate inklusive Wartung ordern: "Wir verkaufen Mobilitätserfahrung statt Autos und sehen uns als Netflix oder Spotify der Autoindustrie", sagt der Marken-Chef und teilt gegen die Traditionalisten aus: "Das Geschäftsmodell der Autoindustrie ist nach 100 Jahren noch das gleiche. Aber der Kunde von heute hat nichts mit dem Kunden von vor zehn Jahren zu tun."

In China scheint das Konzept aufzugehen: "Wir haben genau die Kunden, die wir uns gewünscht hatten. Sie sind sehr urban, also aus Shanghai und Peking, und im Schnitt 25 bis 32 Jahre alt." Diese Klientel kaufe viel im Internet und könne auf den Händler um die Ecke verzichten. Zumindest außerhalb von China, wo die Volvo-Händler die Wartung der Fahrzeuge übernehmen werden. Was kein Problem sei, denn der Lynk & Co 01 unterscheide sich nur marginal vom Volvo XC 40. Ähnlich wie bei den technisch fast identischen Modellen Audi A3 und VW Golf liegt der Unterschied im Design, im Image - und im Preis.

Während der XC 40 bereits als Dreizylinder mit ein wenig Ausstattung über 35 000 Euro liegt, wird der Lynk & Co voraussichtlich rund 20 Prozent weniger kosten. Zur Billigmarke soll der Newcomer aber nicht werden. "Bisher machen unsere drei Topmodelle mehr als 50 Prozent des Absatzes aus. Das heißt, die Marke wird in China als Premium wahrgenommen."

Flagship-Stores und Popup-Läden

Mit den technisch rückständigen China-Marken, die erste Gastspiele in Europa gaben, will Lynk & Co nichts zu tun haben. Es gehe eher um das Beste aus zwei Welten: "Wir haben immer gesagt: Wir sind eine globale Marke. Wir haben Design und Engineering in Schweden und die Produktion in dem Volvo-Werk in China." Ende des Jahrzehnts wolle man jedoch global fertigen - immer da, wo die Kunden seien. "Ich bin dabei, mit meinen Kollegen zu besprechen, ob wir im Volvo-Werk Gent produzieren können. Da unser Zeitplan für den europäischen Start Ende 2019 ist, sollte eine Entscheidung in den nächsten ein bis zwei Monaten fallen."

Schwedisches Entwicklungs-Knowhow zu chinesischen Preisen: Das macht Lynk & Co auch für Europa attraktiv. Viel Geld spart der Verzicht auf ein klassisches Händlernetz. "Das alte Vertriebsmodell funktioniert nicht mehr. 15 Prozent Händlermarge und zehn Prozent Rabatt fressen den Gewinn auf", rechnet Visser vor. In Europa will Lynk & Co nur mit Flagship-Stores in Amsterdam und Berlin auftreten - und mit befristeten Popup-Läden überall im Land. Alles andere läuft online. Auch deshalb, weil die Komplexität gering ist. Statt einer langen Liste mit Extras gebe es nur eine Hand voll Farben, Ausstattungs-Versionen und Plug-in-Hybride oder reine Stromer. Dafür braucht man keine Verkäufer mehr. Frei nach dem Fließband-Pionier Henry Ford: "Sie können bei uns jede Farbe haben, Hauptsache, sie ist schwarz."

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