Seat Mii Electric im Alltagstest:Immer mit der Ruhe

Seat Mii electric

Längere Fahrten mit dem kleinen Stromer von Seat wollen gut geplant sein. Denn die Praxisreichweite ist mit 200 Kilometern nicht sehr groß.

(Foto: Seat)

Der Mii Electric von Seat zwingt seine Fahrerin zum Umdenken - und zur entschleunigenden Pause an der Ladesäule.

Von Felicitas Wilke

Der Ausflug zum Spitzingsee hätte so schön werden können. Ein sonniger Sonntag im Spätwinter, erst sollte es zu Fuß zu einer Alm gehen und dann mit dem Schlitten wieder runter. Doch um überhaupt von München aus zum 70 Kilometer entfernten Ausflugsziel in den Bayerischen Voralpen und zurück zu gelangen, hätte es einen vollgeladenen Seat Mii Electric gebraucht. Und leider liegt der Akkustand des kleinen Stromers nach 15 Stunden nur bei rund 50 Prozent. Irgendwas muss beim Ladevorgang schiefgegangen sein.

Es ist Ende Februar, der zweite Tag von zwei Wochen mit dem Testauto. Die Reichweite des kleinen Flitzers, baugleich mit dem VW up und dem Skoda Citigo, liegt nach Angaben des Herstellers bei mageren 260 Kilometern. Weil es in der Nähe des ursprünglichen Ausflugsziels keine Ladesäule gibt und der Reisegruppe nicht nach einem Abenteuer zumute ist, geht es kurzerhand an den Tegernsee. Dort stehen laut App nämlich mehrere Ladepunkte.

Es ist, so viel kann man rückblickend sagen, keine Liebe auf den ersten Kilometer zwischen der Testfahrerin und dem Elektroauto. Auf der A 8 gen Süden rauscht die auf dem Display angegebene, verbleibende Reichweite quasi im Sekundentakt nach unten. Man erwischt sich dabei, ständig nervös auf die Anzeige zu starren. Auch der Beifahrer lässt sich davon anstecken, halb belustigt, halb hektisch drückt er allerlei Knöpfe und betätigt die "Eco-Plus"-Taste. Das Auto warnt: "Fahrkomfort stark beeinträchtigt". Na, wunderbar.

12 Elektroautos

haben die Redakteure der SZ in den vergangenen Wochen einem intensiven Praxistest unterzogen - vom BMW i3 über den Nissan Leaf bis hin zum Nissan e-NV 200. Dabei stand weniger die Frage im Vordergrund: Was kann das Auto technisch? Vielmehr ging es um Antworten auf folgende Fragen: Wie alltagstauglich ist die E-Mobilität? Taugen die Fahrzeuge für die tägliche Fahrt zur Arbeit? Kommt eine Familie damit klar? Und ist auch mal eine Fahrt in den Urlaub über längere Distanzen möglich? Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts der SZ haben die Fahrzeuge im Alltag getestet - und werden in dieser Serie in loser Folge über ihre Erfahrungen berichten. Die Testfahrten wurden vor den staatlichen Kontaktsperren zur Abwehr des Coronavirus durchgeführt.

Bis Rottach-Egern am Tegernsee reicht die halbe Ladung dann doch locker. Das lernt man schon nach den ersten Fahrten mit dem Testauto: Sobald es von der Autobahn abgeht, sobald man sich idealerweise noch im wochenendlichen Stop-and-go zwischen Holzkirchen und Tegernsee befindet, braucht das E-Auto längst nicht mehr so viel Strom. Reichweitenentspannung kommt auf, erst recht, als an der Ladesäule in Rottach-Egern alles glattgeht. Die vom Hersteller mitgelieferte Tankkarte funktioniert an den meisten Stationen einwandfrei, die Bezahlung wird über ein hinterlegtes Konto abgewickelt.

Nach wenigen Tagen mit dem Elektroauto stellt sich eine gewisse Routine ein. Die lästige Parkplatzsuche in der Münchner Wohngegend, die mit dem kleinen Benziner unumgänglich ist, entfällt mit dem elektrisch angetriebenen Testauto. Abends stehen zwei Doppel-Ladesäulen der Stadt München bereit, die drei Minuten zu Fuß entfernt von der Wohnung liegen. Mindestens ein Platz ist immer frei. Über Nacht kann man den Wagen hier laden. Das misslingt nur beim ersten Mal vor dem geplanten Ausflug zum Spitzingsee. Dann klappt es immer. Wenn es schnell gehen muss, steht an der ebenfalls nah gelegenen CSU-Zentrale sogar eine Schnellladesäule bereit. Wofür Nachbarn doch nützlich sein können!

Dass es auch als Mieterin in einer Großstadt möglich ist, das Auto nachts entspannt an einem öffentlichen Ladepunkt aufzutanken, ist eine erfreuliche Erkenntnis. Vom Fahrspaß in der Stadt ganz abgesehen: Die Fahrerin kann sich ein Lachen nicht ganz verkneifen, wenn sie an der Ampel bei Grün mal wieder an einem nebenan losfahrenden SUV oder Sportwagen vorbeizieht. Dabei ist das E-Auto unfassbar leise - vor allem im Vergleich zu dem zwölf Jahre alten Citroën, mit dem man sonst unterwegs ist.

Am Ende dauert die Fahrt in die Heimat fast doppelt so lang

Mit dem Citroën allerdings ist auch die Anreise zu Eltern und Freunden in der fränkischen Heimat angenehm unkompliziert. 230 Kilometer einfach, immer die A 9 hoch. Mit dem Mii Electric hingegen wird eine so lange Autobahnfahrt ohne Ladepause nicht funktionieren. Das Zwischenziel ist daher der Rasthof in Greding, wo Innogy eine Schnellladesäule betreibt. Zwischen München und der Holledau herrscht Stop-and-go, in E-Auto-Logik heißt das: Der Wagen schluckt nur wenig Strom. Vom vollgeladenen Akku sind noch 47 Prozent verblieben, als der Seat auf halber Strecke mit dem Ladekabel verbunden wird.

Man macht also eine Pause, die man sonst nach nur einer Stunde nicht einlegen würde und futtert beim Schnellrestaurant einen Snack, den man sonst nicht essen würde. Zurück an der Ladesäule, schaut ein älterer Herr neugierig auf den ladenden Wagen: "Und wie lange dauert das jetzt?", will er wissen. Gute Frage. Nach genau 53 Minuten ist der Akkustand von 47 auf 87 Prozent gestiegen. Nun, das ist also eine Schnellladesäule. Am Ende wird die Fahrt in die Heimat vier Stunden dauern, bei gleicher Verkehrslage wären es mit dem Benziner rund zweieinhalb gewesen. Die Differenz hängt nicht nur mit dem Ladestopp zusammen, sondern auch damit, dass man vor lauter Reichweitenangst nie viel schneller als 110 Kilometer pro Stunde gefahren ist.

Zwei Wochen am Steuer eines Elektrokleinwagens lehren zwei Tugenden, die vermeintlich nicht zum Autofahren passen: Man lernt zu entschleunigen, weil das Auto so wunderbar leise ist, aber auch, weil man zu Pausen und zum gemächlichen Fahren gezwungen ist. Und man lernt hinzunehmen, dass der Wagen einen manchmal nicht bis vor die Haustür bringt: Nicht immer befindet sich in unmittelbarer Nähe vom Zielort eine Ladesäule.

Die volle Freiheit und Flexibilität gegen viel Fahrspaß in der Stadt einzutauschen, klingt nach einem durchaus fairen Tausch. Zumal für künftige Generationen von E-Autos deutlich größere Reichweiten drin sein dürften. Bis dahin tut es der Citroën hoffentlich noch ein paar Jahre.

Der Wagen wurde der Redaktion zu Testzwecken vom Hersteller zur Verfügung gestellt.

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