Elektroauto-Start-up:Das neue Tesla könnte aus China kommen

Eine Skizze des ersten Modells von Future Mobility in der Draufsicht

Das erste Modell von Future Mobility soll ein elektrisch angetriebener Crossover sein, der etwa 40 000 Euro kosten soll.

(Foto: Future Mobility Corporation)
  • Immer mehr Start-ups drängen in die Autobranche, darunter Future Mobility aus China.
  • 2019 will der neue Autohersteller mit einem elektrisch angetriebenen Crossover-Modell am Markt sein, das etwa 40 000 Euro kosten soll.
  • Das Führungsteam speist sich aus zahlreichen Managern, die zuvor in Deutschland und dem Silicon Valley gearbeitet haben - besonders viele davon bei BMW.

Von Joachim Becker

Harald Krüger hat ein Problem. Nicht nur, dass Mercedes wieder an der Spitze des Premium-Segments steht. Aufreibend sind auch die neuen Wettbewerber aus der IT-Branche. Der BMW-Boss will Treiber statt Getriebener des digitalen Wandels sein. Sicher ist aber nur, dass "sich die Wünsche der Kunden von morgen massiv von denen heutiger Kunden unterscheiden", so Krüger. Außerdem kämen Innovationen immer öfter von jungen kreativen Unternehmen. Besorgniserregend wird die Lage, wenn die jungen Wilden alte Bekannte aus dem eigenen Hause sind.

Agile Start-ups sind in Zeiten des Umbruchs potenziell im Vorteil. Sie müssen weder industrielle Altlasten mit sich herumschleppen noch die Traditionalisten im Unternehmen überzeugen. Genau deshalb hatte BMW die Denkfabrik Project i zunächst im Geheimen gegründet. Doch wie das so ist mit potenziell disruptiven Innovationen: 90 Prozent scheitern, nur zehn Prozent können sich am Markt durchsetzen. Die Stromer aus dem Project i gehörten nicht unbedingt zu den Erfolgsmodellen. In den vergangenen drei Jahren fanden sich lediglich 70 000 Abnehmer - viel weniger als geplant.

Deshalb zog Harald Krüger Mitte 2015 die Notbremse. Kurz nach seiner Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden stellte er alle geplanten BMW-i-Modelle auf den Prüfstand. Der Strategieprozess mit dem gesamten Vorstand zog sich fast ein halbes Jahr hin. Dann wurde die Zukunft erst einmal vertagt: "Unser großes Ziel ist der BMW i Next", so Krüger, "er wird 2021 viele neue Technologien wie das autonome Fahren und die Digitalisierung vereinen." BMW hat den Vorsprung des Project i wieder eingebüßt. Demnächst werden Audi, Mercedes und andere mit Elektrofahrzeugen der nächsten Generation vorbeiziehen.

Entsprechend groß war der Frust bei einigen Führungskräften. Als erster verließ Carsten Breitfeld Anfang 2016 das Unternehmen. Der heute 53-Jährige hatte sich als Projektleiter des Öko-Racers BMW i8 international einen Namen gemacht. Nach seinem Abgang ging es Schlag auf Schlag. Breitfeld warb die halbe Führungsriege von BMW i ab: Den Chef-Designer Benoit Jacob, den Marketing-Chef Henrik Wenders und Dirk Abendroth, den leitenden BMW-i-Antriebsentwickler.

Auto-Kompetenz aus Deutschland und dem Silicon Valley

Auch Daniel Kirchert stieß zu den Rebellen. Der 43-Jährige hatte das Joint Venture BMW-Brilliance in China aufgebaut, bevor er dort Infiniti-Chef wurde. Kirchert spricht fließend Mandarin und verfügt über beste Beziehungen zur wirtschaftlichen und politischen Elite. Das ist ein entscheidendes Plus in Zeiten des Umbruchs: China ist in kurzer Zeit zum größten Markt für Elektroautos weltweit geworden. Mit erschwinglichen Stromern will die Regierung führende Autoländer überholen. "Wir bringen hier deutsche Produktionsqualität mit chinesischer Kostenstruktur und IT-Kompetenz zusammen", erklärt Kirchert als Co-Chef von Future Mobility, abgekürzt FMC.

FMC? Die Firma ist bisher nur Insidern bekannt. Zumal nach zehn Monaten nicht mehr als 100 Mitarbeiter an Bord sind. Dafür liest sich die Liste des Führungsteams wie das Who's who der Autoindustrie: Wolfram Luchner, bei FMC für die Mensch-Maschine-Schnittstelle verantwortlich, war ein führender Kopf in Googles Projekt zum autonomen Fahren. Nicht weit entfernt im Silicon Valley hat Luca Delgrossi die Fahrroboter für Mercedes entwickelt, bevor er Direktor autonomes Fahren bei FMC wurde. Schon wird das Start-up als nächstes Tesla gehandelt - nicht ohne Grund: Der Ex-Toyota-Manager Mark Duchesne baute die Tesla-Fabrik in Fremont von der Manufaktur zum Vollwerk aus. Nun wird er die FMC-Produktion leiten. Auch Einkaufschef Stephen Ivsan hatte bei Tesla zuvor dieselbe Funktion inne.

Die meisten Start-ups setzen auf Elektrofahrzeuge

Eine neue chinesische Automarke mit erfahrenen Top-Managern aus Deutschland und den USA: Hatte Qoros nicht Ähnliches versucht? Der Unterschied liegt in der dahinter liegenden Vision. Qoros wurde von Geely gegründet, um den Europäern mit konventionellen Antriebsplattformen Konkurrenz zu machen. Der Erfolg war mit 40 000 verkauften Autos im vergangenen Jahr mehr als bescheiden. Neue Start-ups aus China wie Borgward, Linq oder Faraday Future setzen hingegen auf Elektrofahrzeuge. "Wir werden viele Produkte sehen, die vergleichbar sind", gibt sich Henrik Wenders illusionslos, "derjenige wird das Rennen machen, der das Qualitätsniveau der besten europäischen Hersteller in der Volumenproduktion umsetzen kann", so der FMC-Marketing-Chef.

Noch überbieten sich die Start-ups in einem Ankündigungs-Wettlauf. Genau deshalb geht Wenders auf Distanz zu Faraday Future (FF). Der Wettbewerber sei von einem einzigen chinesischen Besitzer abhängig, während sich die Future Mobility am Kapitalmarkt finanzieren könne.

Faraday Future als warnendes Beispiel

Wie wichtig solche zusätzlichen Geldquellen sind, zeigen die aktuellen Entwicklungen: Noch zu Anfang des Jahres hatte Faraday Future auf der CES den vermeintlichen Tesla-Killer FF 91 präsentiert. Nach der rauschenden Premiere in Las Vegas herrscht nun Katerstimmung. Statt sieben sind nur noch zwei FF-Modelle geplant. Auch das Werk in Nevada, dessen Bau aus finanziellen Gründen vorübergehend gestoppt wurde, soll kleiner ausfallen: Statt 150 000 könnten dort weniger als 100 000 E-Autos pro Jahr vom Band laufen - und dies erst ab 2019. Bis dahin will auch FMC mit dem ersten Modell am Markt sein.

Hoffnung, Hype und harte Fakten sind in dieser Gründerzeit nicht immer klar zu trennen. Hinter Future Mobility stehen allerdings die Elektronikkonzerne Foxconn und Tencent. Letzterer wurde 2011 als China-Ableger von Whats-app gegründet. Mit mehr als 800 Millionen Nutzern ist sein Messenger-Dienst "Wechat" die erste Adresse in China für Mitteilungen und das Versenden von Fotos. Hinzu kommen digitale Dienste wie das Reservieren von Taxis, Flugtickets oder Restaurants über das Wechat-Konto.

Skeptiker sprechen von Größenwahn

Mit satten Gewinnen aus Gebühren und Werbung sowie 200 Milliarden Euro Börsenwert ist Tencent mittlerweile eines der 50 wertvollsten Unternehmen weltweit. Foxconn wurde dagegen als Auftragsfertiger von Apple berühmt-berüchtigt. Unbestreitbar verfügen beide Unternehmen über große Tech-Kompetenz. Insofern ist Carsten Breitfelds Maxime "Wir wollen das Apple der Autoindustrie werden" nicht so weit hergeholt.

Skeptiker halten das für Größenwahn - genau wie bei Tesla. Dem Vorbild der Kalifornier eifern derzeit viele junge Autofirmen nach. Sie vergessen leicht, dass Tesla eine zehnjährige Schonfrist hatte. Diesen Trendsetter-Bonus genießen die Nachahmer kaum noch. Im fliegenden Start müssen sie Qualitätsprobleme sofort lösen, um ihre jungen Marken nicht zu beschädigen. "Von den vielen Start-ups, die sich jetzt mit Mobilität beschäftigen, werden nicht viele übrig bleiben", ätzte BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich auf der CES. Tatsächlich hat die Floskel vom Auto als mobilem Endgerät einen Haken: Die regulatorischen Vorgaben für Fahrzeuge sind weit strenger als für Unterhaltungselektronik - erst recht beim hoch- und vollautomatisierten Fahren. Das dürfte auch den Expansions- und Innovationsdrang von Tesla bremsen.

Den Anfang macht ein Crossover-Modell für 40 000 Euro

Future Mobility gibt trotzdem Vollgas. Geplant ist zunächst ein Crossover-Modell in der Mittelklasse zum Einstiegspreis von rund 40 000 Euro. Dass der Markt in diesem Segment am größten ist, zeigen die 400 000 Vorbestellungen für Teslas Model 3. Entwickelt wird der FMC-Erstling in Shenzhen. Auf der chinesischen Seite des Perlfluss-Deltas standen vor 40 Jahren bloß ein paar Fischerhütten. Dann wurde Shenzhen zur Sonderwirtschaftszone ernannt und explodierte förmlich. Heute leben dort offiziell zwölf Millionen Menschen, wahrscheinlich sind es aber fast 20 Millionen.

Kaum zehn Kilometer entfernt liegt in Hongkong der FMC-Hauptsitz, "der internationalen Investoren wegen", wie Henrik Wenders sagt. Zwei Flugstunden weiter in Richtung Shanghai werde noch in diesem Jahr der Grundstein für eine Fabrik gelegt: "Wir haben die Verträge mit einem Investitionsvolumen von rund 1,5 Milliarden Euro in Nanjing gerade unterschrieben." Das Werk wird auf eine Kapazität von 300 000 Fahrzeugen jährlich ausgelegt, sukzessive soll die Produktion hochgefahren werden.

David gegen Goliath, Tech-Start-ups gegen eingefahrene Autohersteller: Die Eintrittshürden in die Autobranche sind so niedrig wie lange nicht. Gerade deshalb finden neue Herausforderer problemlos Geldgeber und Unterstützung bei den Top-Zulieferern. Vor solchen Angreifern hatte Norbert Reithofer 2011 gewarnt: "Viele in der Industrie unterschätzen derzeit noch das Tempo des Umbruchs", sagte Krügers Vorgänger damals: "Je mehr der Trend in Richtung Elektromobilität geht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Branchenfremde ins Autogeschäft einsteigen." Dass sie sich ausgerechnet aus jener Denkfabrik rekrutieren, die Reithofer 2007 selbst ins Leben rief, konnte er nicht ahnen.

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