Elektroauto Mute:Das Unimobil

Auf der IAA zeigen Forscher der TU München ein sparsames Elektroauto, das sie in Rekordzeit entwickelt haben.

Christopher Schrader

An diesem Dienstag will es Markus Lienkamp all den Zweiflern beweisen. "Sieben oder acht Wetten liefen gegen uns", sagt der Professor für Fahrzeugtechnik der Technischen Universität München (TUM). "Alle fanden, 18 Monate für ein solches Projekt wären viel zu kurz" - um ein Auto zu bauen, von den ersten Plänen bis zum Prototypen.

Elektroauto Mute der TUM

Auf den ersten Blick nur ein Kleinwagen. Im Inneren jedoch steckt die Kompetenz von 21 Universitäts-Lehrstühlen.

(Foto: Florian Lehmann/TUM)

Tatsächlich konnte das Uni-Team, als es im Juli 2010 mit seinem ehrgeizigen Plan an die Öffentlichkeit ging, gerade mal ein Modell aus Holzspanten und einen Haufen Ideen vorweisen. Doch schon damals verteilte Lienkamp Einladungen zur Frankfurter Automobilausstellung im September 2011.

Und wer vom heutigen Dienstag an die IAA besucht, Halle 4, Stand C23, kann sich selbst überzeugen, was Lienkamp und seine Mitstreiter geschafft haben. Dort steht als fahrbereiter Prototyp der Mute, ein von 21 Lehrstühlen der TUM auf dem Campus Garching entwickeltes Elektroauto.

Der Mute ist ein kleiner Wagen, ein flacher, kurzer Zweisitzer mit weißer Karbonfaserkarosserie und schmalen Leichtlaufreifen. "Er hat die Höhe eines Porsche 911 und die Schattenfläche des Fiat 500", beschreibt Lienkamp die Ausmaße.

Der Antrieb des Autos hat sich als Metapher in seinem Design niedergeschlagen: Vorn bilden die Scheinwerfer mit einem Band dazwischen ein Minuszeichen, hinten entsteht aus Heckfenster und Rückleuchten ein Plus - die beiden Pole einer Batterie. Entworfen haben es die TUM-Forscher als Zweitwagen für Menschen im Speckgürtel von Metropolen.

"Die ersten Käufer werden weder weit draußen auf dem Land wohnen noch ihr Auto unter der Laterne in einem Innenstadtviertel parken" - schon weil das regelmäßige Aufladen am Straßenrand zum Problem würde, sagt Lienkamp, der vor dem Wechsel an die Universität in der Konzernforschung von VW gearbeitet hat.

Um die angepeilte Zielgruppe zu überzeugen, hat die Forscherriege ein Auto entworfen, dessen Betriebskosten mit denen von Kleinwagen mit Verbrennungsmotoren mithalten können. Dieser Maßgabe mussten viele Entscheidungen untergeordnet werden, und so wie es Lienkamp erzählt, klingt die Strategie logisch.

Für die Heizung ist Strom zu schade

Weil bei Elektroautos vor allem die Batterie noch sehr teuer ist, muss der Mute mit einem kleinen Energiespeicher auskommen. Er fasst nur sieben Kilowattstunden Strom, soll das Auto aber trotzdem mindestens 100 Kilometer weit antreiben können und vernünftige Fahrleistungen erreichen.

Elektroauto Mute der TUM

Fahrdynamik und Gewichtsverteilung ihres Elektroautos "Mute" testeten die Münchner Forscher an einem unverkleideten Prototypen.

(Foto: TUM)

Daher musste das Gefährt sehr leicht werden und die Außenhaut möglichst windschlüpfig: Der Mute wiegt nur 500 Kilogramm, sodass auch der 20-PS-Motor (15 Kilowatt) für annehmbare Beschleunigung und ein Spitzentempo von 120 Kilometern pro Stunde sorgt - die mittlere Spur auf der Autobahn nutzen zu können, war das Ziel.

Um die Reichweite möglichst hochzuschrauben und gleichzeitig die Angst der Kunden vor dem Liegenbleiben zu dämpfen, haben die Entwickler zwei ungewöhnliche Neuerungen eingebaut.

Der Mute hat neben den regulären aufladbaren Batterien noch mehrere Zellen eines Einmal-Stromspeichers an Bord. Sie liefern im Bedarfsfall Energie für weitere 50 Kilometer. Wenn der Fahrer sie zuschaltet, müssen die Zellen danach wiederaufbereitet werden. Das ist deutlich teurer als Strom aus der Steckdose, aber immer noch billiger und komfortabler, als einen Abschleppwagen zu rufen.

Nicht elektrisch wird indessen die Wärme für die Heizung gewonnen. Sie kommt von einem kleinen Brenner, der mit Bioethanol betrieben wird. "Wenn Sie mit Strom aus der Batterie heizen, bricht Ihnen die Reichweite ein", begründet Lienkamp die Idee, die dem Team einiges Naserümpfen von Elektro-Puristen eingetragen hat.

Weil das Gewicht und die Motorleistung gering sind, soll der Mute in der sogenannten L-Klasse zugelassen werden, so wie Motorräder oder Quads. Das spart Versicherungskosten und Steuern. Auch die Wartung wird viel weniger kosten als bei einem Auto mit Verbrennungsmotor.

Außerdem werden die Verbrauchskosten konkurrenzlos niedrig: Eine Tankfüllung mit sieben Kilowattstunden Strom kostet etwa zwei Euro. Dafür dürfte der Verkaufspreis des Mute höher liegen als der von konventionellen Kleinwagen.

Der Mute will den preiswertesten Kleinwagen ebenbürtig sein

Eine genaue Summe will Lienkamp nicht nennen. Er argumentiert mit den sogenannten Vollkosten, die dem Besitzer eines Neuwagens in den ersten vier Jahren durch Zulassung, Treibstoff, Werkstatt und Wertverlust entstehen.

In dieser Hinsicht soll der Mute den preiswertesten Kleinwagen ebenbürtig sein oder sie gar schlagen: Den Zahlen des ADAC zufolge sind die Gegner der Kia Picanto, Nissan Pixo, Citroën C1 und Toyota Aygo, die bei 321 bis 332 Euro Vollkosten pro Monat liegen. Der zweisitzige Smart ist sogar noch teurer.

"Wenn wir wirklich in zehn Jahren eine Million Elektroautos auf die Straße bringen wollen, kann es doch nur gehen, wenn die Wagen preiswert sind", sagt Lienkamp. "Ein normales Auto der Kompaktklasse elektrifizieren zu wollen, bedeutet einen wirtschaftlichen Totalschaden. Bei Preisen von 35.000 Euro kauft das keiner."

Trotzdem sollen die Käufer eines Mute keinesfalls den Eindruck bekommen, Verzicht zu üben. Darum haben die TUM-Leute viel über Komfort und Sicherheit nachgedacht. Anders als in herkömmlichen Autos soll jeder Mutefahrer den Kopf an der gleichen Stelle haben. Dafür werden Sitzflächen, Lenkrad und Pedale entsprechend verstellt. Der Vorteil ist zum Beispiel, dass die Sichtverhältnisse und die Airbags genau geplant werden können.

Vorn und hinten haben die Entwickler außerdem Knautschzonen aus Karbonfaser-Holmen vorgesehen, die bei einem Unfall kontrolliert zerbröseln. Die Elektronik von der Lüftung über das Radio bis zur Navigation wird über ein zentrales Bedienfeld in der Mittelkonsole gesteuert. Die Steuerung funktioniert mit einem iPad oder ähnlichen Tabletcomputern. Eine ständige Datenverbindung zum Mobilfunknetz überträgt sowohl E-Mails als auch Verkehrshinweise ins Cockpit.

Um den Mute auf den Markt zu bringen, braucht Lienkamps Truppe allerdings Unterstützung aus der Industrie: "Eine Universität wie die TUM schafft es prima bis zur Stückzahl eins, aber danach müssen wir mit Automobilherstellern zusammenarbeiten", sagt Lienkamp.

Ursprünglich hatte sein Team geplant, mit der Vorstellung des ersten Prototypen eine Liste von mindestens zehntausend Bestellungen zu haben und damit einen Industriepartner zu suchen. Die Firmen waren aber schneller: Sowohl BMW als auch Mercedes-Benz kooperieren seit vielen Monaten mit den Münchner Forschern.

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