E-Autos in der Stadt:Stecker sucht Dose

Porsche Leipzig GmbH

Porsche hat in Leipzig den leistungsstärksten Schnellladepark Europas eröffnet. Nirgends sonst gibt es so viele Superschnelllader mit mehr als 150 kW Leistung.

(Foto: Marco Prosch/Porsche)

Nicht das Stromnetz, sondern die Ladeinfrastruktur bremst den Markthochlauf der Elektromobilität. Jetzt sollen neue Konzepte für das Stromtanken in der Stadt den Durchbruch bringen - doch dabei steht immer wieder die Bürokratie im Weg.

Von Joachim Becker

O´zapft is: München ist die Hauptstadt der Stromtankstellen. Mit der Verdoppelung auf mehr als 1100 Ladesäulen schob sich die bayerische Landeshauptstadt knapp an Hamburg und Berlin vorbei. Deutschland-weit kamen innerhalb eines Jahres 8000 öffentliche Zapfstellen hinzu - ein Plus von 50 Prozent. Für die Energiewirtschaft ist die Welt der emissionsfreien Autos daher in Ordnung: Auf 24 000 öffentliche Ladepunkte kommen etwa neun Mal so viele Stromer. Die EU gibt nur ein Verhältnis von 1:10 vor. "Die Energiewirtschaft hat eine sehr gute Infrastruktur geschaffen. Über 75 Prozent der öffentlichen Ladepunkte werden von Energieunternehmen errichtet und betrieben", betont Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): "Wir treiben die Elektromobilität in Deutschland voran."

Die Realität hinter den Zahlen ist nicht ganz so glänzend: Beim dezentralen Aufbau der Infrastruktur ist ein Flickenteppich von kaum standardisierten Ladelösungen entstanden. Der BDEW kann nicht sagen, ob und welche Ladesäulen seiner 1900 Mitgliedsunternehmen eine Internet-Anbindung haben oder welche dem neuen Eichrecht entsprechen. Ohne zentrale Kontrollstelle wird die Kommunikation zwischen Elektroautos und Zapfsäulen zum Glücksspiel. Auch die Abrechnung des Ladestroms kann Ungeübte an den Rand des Wahnsinns treiben, wie SZ-Testfahrten zeigen. Trotzdem fordert der BDEW Bestandsschutz für das kunterbunte Durcheinander von alten und neuen Ladesäulentypen.

Das kaum koordinierte Vorgehen ist zur Einstiegshürde für die Elektromobilität geworden. Probefahrer müssen sich durch zahllose Apps klicken, während die hartgesottenen Pioniere der Elektromobilität in Deutschland durchschnittlich 3,37 Betreiber-spezifische Ladekarten mitführen. Holländer kommen mit der Hälfte aus und profitieren zudem von der europaweit besten Versorgung mit Ladepunkten. Die Betreiber der Infrastruktur in den Niederlanden haben ihre Systeme auch besser aufeinander abgestimmt - was weltweit eine Ausnahme ist. Porsche hat den Hürdenlauf zwischen verschiedenen Abrechnungssystemen, Kommunikations-Schnittstellen und Ladetechniken systematisch untersucht. Das Ergebnis war ein Desaster.

"Wir sind mit den Prototypen des Taycan um die ganze Welt gefahren. Beim Laden haben wir so ziemlich alles erlebt, vielerorts funktioniert es nicht", gestand Uwe Michael vor Fachleuten im vorigen Sommer. Auf dem Elektronikkongress in Ludwigsburg zählte Porsches entnervter Direktor für Elektrik und Elektronik auf, dass es 414 Ladesäulen-Hersteller weltweit gäbe: 66 in USA, 72 in Europa, 108 in Japan und 168 in China. "Und alle haben eine eigene Interpretation der Spezifikation." Es sei auch nicht sicher, dass alle die Grundlagen der Physik verstanden hätten. Porsche wandelt daher auf Teslas Spuren: Die Sportwagenmarke rollt weltweit ein eigenes Ladenetzwerk aus: Beim "Porsche Destination Charging" sind bereits mehr als 1000 Ladepunkte in Betrieb, bis Ende des Jahres sollen 900 weitere hinzukommen.

Die wenigsten Elektromobilisten laden an ausgewählten Hotels, Flughäfen, Museen, Shopping Malls, Sport Clubs und Yachthäfen. Zumal die Zahl der Stromer viel schneller wächst als die Ladeinfrastruktur. Lag der Bestand zu Anfang des Jahres noch bei 220 000 Steckerautos in Deutschland, kamen allein im Februar jeweils über 8000 Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeuge hinzu - letztere legten im Vergleich zum Vorjahresmonat um 279,4 Prozent zu. Kein Wunder, das fast die Hälfte der E-Autobesitzer einen baldigen Mangel an Ladepunkten fürchtet. Das zeigt die EV-Driver-Umfrage 2020 des Ladeanbieters NewMotion.

Stresstest Ladepark Duisburg

Stresstest im Ladepark Duisburg: Innogy hat zur Schnellladeparty in der Stadt geladen und viele leistungsstarke und energiehungrige Elektroautos sind gekommen.

(Foto: Frank Peterschroeder)

Die Experten der Nationalen Plattform Mobilität (NPM) gehen zwar weiterhin davon aus, dass rund 85 Prozent der Ladevorgänge über eine private Ladeinfrastruktur erfolgen wird. Aber was machen vor allem Stadtbewohner, die weder am Arbeitsplatz noch im Wohnhaus oder am Yachthafen laden können? Momentan gibt es rund 3600 öffentlich zugängliche Schnelllader in Deutschland. Die Mitgliedsunternehmen des BDEW wollen weitere 4000 Schnellladepunkte in diesem Jahr errichten. Doch die Investitionskosten bleiben trotz staatlicher Zuschüsse hoch. Erst recht, wenn Ladeplätze an den Autobahnen oder sogenannte Charging Hubs in den Städten an Mittelspannungsnetze angeschlossen werden, um mehrere Starkstromer gleichzeitig versorgen zu können. "Das Thema Schnellladen wird immer prominenter nicht nur durch die entsprechend ausgerüsteten Pkw, sondern auch durch Busse und Lkws", erklärt Stefan von Dobschuetz, der bei Innogy eMobility Solutions für den weltweiten Vertrieb, das Marketing und die Geschäftsentwicklung zuständig ist.

Der Anbieter von Ladetechnik, der über 42000 Ladepunkte installiert hat, davon 4000 Schnell- und 730 Superschnelllader, erprobt in Duisburg ein neues Konzept: Aus der Vogelperspektive sieht der Ladepark aus wie eine konventionelle Tankstelle. Auffallend sind lediglich die Solarpanels auf dem großen Dach und die relativ schlanken Abgabe-Terminals. "Wir entkoppeln die Zapfstellen und die Ladesteuerung. Die Fahrzeuge kommen nicht gleichzeitig an. Und sie haben auch nicht alle denselben Energiebedarf, denn die Ladekurve flacht ja nach einiger Zeit ab." Obwohl den sechs Ladepunkten jeweils 150 kW zugeordnet werden können, verfügt die Energiezentrale nur über eine Anschlussleistung von 600 kW. "Wir können intelligent aussteuern, dass es zu keiner Überlastung des Netzes kommt", so Dobschuetz auf dem Car Symposium in Bochum. Das Energiemanagement kann auch auf eine Pufferbatterie zurückgreifen, die Ökostrom aus dem Netz zieht, wenn er reichlich vorhanden und billig ist.

Solche Lade-Hubs erfüllen also mehrere Anforderungen: Sie können nicht nur relativ viele Fahrzeuge mit grüner Energie versorgen, sondern nutzen den Raum auch optimal. "In urbanen Gebieten sind aufgrund der begrenzten Flächenverfügbarkeit Alternativen zu den aktuellen Ladestationen erforderlich", warnte die NPM-Arbeitsgruppe 5 schon vor einem Jahr. Es bestehe akuter Handlungsbedarf, weil die bisherigen Zapfstellen sowohl wegen ihrer hohen Investitionskosten als auch städtebaulich "nicht verträglich" für eine anstehende Massenelektrifizierung seien. Das gilt erst recht, wenn die Politik den Markthochlauf der Elektromobilität forciert.

Wenn die Elektro-Förderung weiter ausgebaut wird, geht es an den Ladesäulen rund

Das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung, 100 000 zusätzlichen Ladepunkte bis 2020 zu schaffen, ist zwar Makulatur. In China gibt es aufgrund der Corona-Krise aber bereits zusätzliche Fördergelder für emissionsfreie Fahrzeuge. Viel spricht dafür, dass die Bundesregierung nachzieht. Dann dürfte der Steckeranteil zügig in Richtung zehn Prozent der Neuzulassungen klettern. An den öffentlichen Ladesäulen ginge es dann rund. Deshalb will die Politik das Ladeparken am Arbeitsplatz massiv ausbauen. Während in den Niederlanden 72 Prozent der Befragten eine Lademöglichkeit am Arbeitsplatz vorfinden, sind es hierzulande bisher nur 41 Prozent.

Auf Zuwachs hat der Laser-Spezialist Trumpf geplant. Am Firmenstammsitz in Ditzingen entstand eine der größten Elektrotankstellen Deutschlands. Fast 90 Ladeanschlüsse stehen Mitarbeitern, Kunden und Gästen zur Verfügung, die Kapazität lässt sich in dem Neubau relativ simpel vervierfachen. "Die Auslastung ist sehr gut. Aber wir merken, dass fast zu viel Strom eingebaut wurde", so Eduard Schlutius. Die Anschlussleistung von vier Megawatt für das Parkhaus sei überdimensioniert, auch mehr als 11-kW-Wechselstromladen sei in der Regel gar nicht nötig, so der Gründer des Ladeanbieters Reev: Die meisten Nutzer fahren ja nicht mehr als 30 Kilometer am Tag und brauchen daher nicht so viel Strom."

Einer ähnlichen Logik folgt das Laternenladen in Westminster City. In dem Londoner Stadtteil haben die Projektpartner Siemens und Ubitricity Anfang dieser Woche eine "Electric Avenue" eröffnet. Mit den 24 neuen Ladestationen werden insgesamt 296 Straßenlaternen im Stadtbezirk Westminster angezapft. Die Idee ist clever: Weil die Lampen auf LED umgestellt werden, ist genügend Strom übrig, um Autos mit 5,5 kW zu laden. Ausreichend, um auch Kilometerfresser über Nacht aufzutanken. Innerhalb des nächsten Jahres soll es 1000 Ladepunkte in Westminster geben, um dem 40-prozentigen Anstieg von Elektroautozulassungen in den letzten 12 Monaten Rechnung zu tragen. So ähnlich klang das vor einem Jahr auch in Berlin, als im Rahmen des "Sofortprogramms Saubere Luft" bis zu 1600 Ladepunkte entstehen sollten. Doch von der günstigen Laternenlösung, die nur wenige Tausend Euro kostet, ist aufgrund bürokratische Hindernisse noch nicht viel zu sehen. Siemens und der in Berlin ansässige Ladespezialist Ubitricity rollen die Infrastruktur in England und Frankreich schneller aus als zu Hause.

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