Mobilität:Mit Benzin im Blut

Mobilität: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Im Leben eines Auto-Journalisten kommen einige Elektroautos zusammen. Was teils bizarr, umwerfend oder auch einfach frustrierend sein kann. Ein Erfahrungsbericht.

Von Georg Kacher

Meine ersten E-Auto-Erlebnisse? Auf Stadionrunde mit dem Batterie-BMW 2002, der extra für die Olympischen Spiele 1972 gebaut worden war. Oder im roten Mercedes 190 Elektro durch Sindelfingen - mit einem hoch nervösen Forschungschef auf dem Beifahrersitz: Das gute Einzelstück wäre beim Anfahren am Berg fast verglüht. Mit 26 PS Leistung und drei Personen an Bord hat es sich als Kriech-Stromer nachhaltig eingeprägt. Fahren durfte ich auch das Modell Detroit Electric (1914) der Anderson Company in Motown. Und der Fiat Panda Elettra war vor fast 31 Jahren der allererste Elektro-Liegenbleiber. Demnächst ist neuzeitliches Hochvoltgerät wie der Audi e-tron GT, der Opel Mokka E und das 1020 PS starke Tesla Model S Plaid an der Reihe.

Ein Elektroauto mit mehr als 1000 PS? Der Lotus Evija hat sogar 2000 PS unter der Haube, der Pininfarina Battista bringt es auf 1837 PS, der Rimac C2 leistet 1888 PS, diverse amerikanische Start-up-Sportwagen knacken zumindest die 1500-PS-Marke. Keine Frage - beim ultimativen Wettrüsten haben die erfolgsverwöhnten Verbrenner plötzlich das Nachsehen. Auch das Drehmoment-Gipfelkreuz ist mit 2300 Nm (Lotus, Pininfarina) im Besitz der High-Tech-Stromer. Was die alte Welt fast noch mehr schmerzt: Die maximale Schubkraft ist über alle vier Räder verteilt, absolut ansatzlos verfügbar und drückt so den Beschleunigungsweltrekord von 0 auf 100 km/h auf unter 2,0 Sekunden - da kann kein Formel 1-Renner mithalten.

Elektrische Hypercars lassen Verbrenner nicht nur an der Ampel stehen

Das andere, deutlich weniger glorreiche Extrem der vollelektrischen Mobilität betrifft die gewöhnungsbedürftige Gemengelage aus latentem Verzicht, nachhaltiger Langsamkeit und immer wieder aufkeimender Ladeangst. Verzicht, weil E-Autos die Bleifußpiloten mit lächerlich kurzen Reichweiten abstrafen, weil die notwendigen Mehrfach-Ladepausen den Frustfaktor auf längeren Strecken potenzieren, weil die einlullenden Versprechungen der digitalen Navi-Stimme allzu oft nur leere Worte sind.

Da ist die angepeilte Ladesäule besetzt oder zugeparkt, noch nicht in Betrieb, nicht mehr in Betrieb oder nur von-bis in Betrieb. Alternativ funktioniert auch mal die Freischaltung nicht, die Ladeleistung liegt deutlich unter Soll, die Abrechnung ist kompliziert sowie intransparent, der Ladevorgang startet nicht, die Batterie bockt, weil sie zu heiß oder zu kalt ist, mit jedem zusätzlichen Nutzer sinkt die Anschlussleistung im Ladepark. Besser wird die Laune auch dann nicht, wenn der Ladevorgang plötzlich unterbrochen oder vorzeitig beendet wird oder die Ladesäule den Stecker nicht mehr herausrückt. Ganz zu schweigen davon, dass für Laternenparker und weite Teile der Landbevölkerung das Elektrozeitalter mangels praktikabler Ladeoptionen noch gar nicht richtig begonnen hat.

Elektrisch fahren ist trotzdem genial. Ich habe Spaß am Ausloten von Grenzbereichen, aber ich hasse vorlaute Motoren, prolliges Make-up, poltrige Fahrwerke und sprotzende Sportauspuffanlagen. Das E-Mobil kommt dagegen meinem Kraft-mal-Weg-Ideal erstaunlich nahe, denn es ist tarnkappenflink, akustisch über jede Kritik erhaben, in seinem nahtlos-hurtigen Bewegungsfluss der Inbegriff von ausreichend dynamischer Entschleunigung. Außerdem macht der Instant-Vollgaskick in Summe süchtig: Dieser blitzartige, physisch intensive und bedingungslos lineare Vortrieb lässt fast vergessen, dass wir gestern noch von großvolumigen Hochdrehzahlmotoren und knackigen Doppelkupplungsgetrieben geschwärmt haben.

Andererseits vermitteln emissionsfreie Fahrzeuge auf der Autobahn einen anfangs durchaus schmerzhaften Lerneffekt, der per Reichweitenanzeige schon lange vor der immer wahrscheinlicheren Einführung des Tempolimits selbst Überholspur-Abonnenten einen Ruhepuls aufzwängt, der sich an der Richtgeschwindigkeit orientiert.

Dass die Elektro-Euphorie klettengleich in unseren Hirnen festsitzt, liegt auch daran, dass inzwischen fast alle Hersteller das E-Prinzip absolut setzen. Technologieoffenheit war gestern, Batterie-Monokultur prägt das Morgen. Dabei sollten wir immer wieder hinterfragen, wie die aktuelle Well-to-Wheel-Bilanz aussieht, was die Herstellung, Zweitverwertung und Entsorgung der Akkus als auch die Grünstrom-Nachverfolgung angeht. Sind die Lieferketten wirklich so grün, wie immer wieder behauptet wird? Und ist es wirklich zielführend, nach der Dezimierung der Ölvorräte den Raubbau am Planeten an anderer Stelle fortzusetzen, anstatt CO2-neutrale Primärenergiequellen der Zukunft neu zu bewerten, gerne in Kombination mit Brückentechnologien wie synthetischen Kraftstoffen, Gas und Wasserstoff?

Sind Plug-in-Hybride bloß eine Übergangstechnologie?

Nicht unerwähnt bleiben sollen in diesem Zusammenhang die zu Unrecht in Verruf geratene Alternativen wie der nach Euro 6d zertifizierte Diesel-Plug-in-Hybrid. In der neuen C-Klasse verbindet er 100 Kilometer E-Reichweite und 30 Minuten Ladezeit mit dem Minimal-Verbrauch eines getunten Rasenmähers. Nein, nicht unbedingt der Königsweg. Aber eine legitime Option für Vielfahrer.

Der Diesel wird mir persönlich auf der Langstrecke genauso fehlen wie der Benziner auf der Rennstrecke, wo die sonst omnipräsente soziale Akzeptanzkontrolle noch nicht automatisch beim Gas wegnehmen in den Segelmodus schaltet und zur Belohnung im Cockpit ein weiteres grünes Digitalbäumchen pflanzt. Das Problem dabei ist: Selbst aufgeklärte Köpfe können oft nur mehr schwarz oder weiß denken. Grau ist ihnen fremd, denn Zwischentöne gelten als indifferent und diffus, nicht ausreichend reglementiert und damit schlecht nachprüfbar.

Grau ist in diesem Kontext ein Synonym für den Plug-in Hybrid, den die Industrie bereits präventiv als Übergangslösung abwertet, frei nach dem Motto: "alle Macht dem E-Antrieb". Ob dieses Diktat wirklich Zukunft hat, werden Innovationen wie die Feststoffzelle, das konduktive Hochleistungsladen und die ganzheitliche Digitalisierung der Mobilitätsketten erst noch bestätigen müssen. Bis es soweit ist, macht der Plug-in-Hybrid auch jene Pendler glücklich, die post-Covid - psst, nicht verraten! - ausnahmsweise auf einen Cappuccino nach Sirmione streben. Mein Oldtimer und ich verbringen die Wartezeit auf den ersten bezahlbaren Langstrecken-Cruiser samt Kabel im Bauch bevorzugt mit kleinen Fluchten ins beschauliche Umland. Und siehe da: Der Verbrenner mit H-Kennzeichen sammelt mindestens so viele Likes wie die nicht immer sortenreinen E-Kennzeichen.

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