Elektroautos:BMW erfindet sich neu

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Platz ist in der kleinsten Hütte: Der Mini Urbanaut soll ein Alleskönner auf 4,46 Metern Länge werden. Serienstart deutlich vor 2030.

(Foto: BMW)

Die Zukunft von BMW und Mini wird bunt. Entwicklungsvorstand Frank Weber will Elektro-Kleinwagen von 2025 an mit einem Baukastensystem erschwinglich machen.

Von Joachim Becker

Endlich ein Wohnmobil ohne Spießer-Look. Maximaler Spaß für vier Leute auf minimaler Grundfläche. Der Mini Urbanaut will nicht nur ein Auto, sondern auch Party-Lounge sein. Im Großstadtdschungel wirkt der 4,46 Meter kurze Van fast zierlich. Vor allem, wenn man ihn mit den anderen Elektro-Neuheiten aus deutscher Produktion vergleicht. Der Audi Grandsphere (2025) und Mercedes EQS passen in keine Parklücke und keine Klimabilanz. Mit mehr als 5,20 Meter Länge, über 500 PS Leistung und XXL-Batterien ist ihr ökologischer Fußabdruck größer als bei vielen Verbrennern. Der Mercedes EQG (2024) schrammt mit 3,5 Tonnen Gewicht hart an der Grenze zum Nutzfahrzeug entlang. Und Smart wird zum adipösen Familienauto, das alles kann - außer klein und billig. Ist das die erschwingliche Verkehrswende, von denen die Menschen träumen?

Im Messe-Trubel der IAA waren die relativ kleinen Gegenentwürfe zu den Elektro-Dinos leicht zu übersehen. Nicht nur der Urbanaut, sondern auch die BMW i Vision Circular, die Firmen-Chef Oliver Zipse im schwarzen Steve-Jobs-Look präsentierte. Der Vier-Meter-Würfel bricht radikal mit allen Design-Traditionen bei den Münchnern. Und er soll - etwas weniger futuristisch - nachhaltige Mobilität für die breite Mitte der Gesellschaft erfahrbar machen: "Elektrisch. Digital. Zirkulär. Das zeichnet die Neue Klasse aus. Sie wird eine Vielzahl sehr unterschiedlicher wie auch überraschender Fahrzeuge hervorbringen", verspricht Zipse, "2025 starten wir. Unser geballtes Know-how fließt in diese Entwicklung. Und wir investieren massiv."

Pressebuilder BMW, zu sehen : Frank Weber

Elektro-Experte: Entwicklungsvorstand Frank Weber kam vor zehn Jahren zu BMW. Davor hatte er bei General Motors den elektrischen Chevrolet Volt und Opel Ampera aus der Taufe gehoben.

(Foto: BMW)

Aber haben der Mini Urbanaut und ein BMW im Vier-Meter-Format überhaupt eine Chance? Wie will ein mittelgroßer Hersteller die Autozwerge zu einem wettbewerbsfähigen Preis auf die Räder stellen? Autobauen funktioniert nun mal wie Bretzeln backen: Steigen die Stückzahlen, sinken die Kosten. "Skaleneffekte sind bei BMW das A und O. Deswegen ist die Neue Klasse für uns auch so revolutionär, weil sie uns wieder zurückbringt zum Anfang von BMW: ein Grundkonzept, das langfristig alles möglich macht von einem 1er bis zur großen Limousine", erklärt Frank Weber, schließlich sei BMW ja für sein hochflexibles Fertigungssystem bekannt.

Bis 2030 will BMW auf drei Millionen Autos jährlich wachsen. Dafür sind neue Modelle nötig

Neue Klasse? Bei den Worten klingelt etwas. Genau 60 Jahre ist es her, dass BMW gerade noch die Kurve gekriegt hat. Weder die fetten V8-Barockengel, noch der offene Sportwagen 507, geschweige denn der Isetta-Kabinenroller spülten genug Geld in die Kassen. Beinahe pleite präsentierten die Münchner auf der IAA 1961 den BMW 1500. Die Limousine war effizienter und moderner als die üblichen Käfer-Heckschleudern und noch halbwegs erschwinglich. Möglich war das nur mit einer Grundarchitektur, die sich für viele Modellreihen adaptieren ließ. Jetzt soll es wieder so weit sein: "Mit der Neuen Klasse werden wir wieder einen ähnlich großen Schritt gehen", verspricht Frank Weber.

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BMW-Chef Oliver Zipse präsentiert die BMW i Vision Circular auf der IAA in München.

(Foto: Rainer Häckel/BMW)

BMW baut um, nicht nur seine Baukastenstrategie, sondern auch die Produktion. Ein neues Werk in Ungarn solle dazu beitragen, die Stückzahlen noch vor 2030 von knapp 2,5 Millionen auf drei Millionen Autos jährlich zu steigern, kündigte Produktionsvorstand Milan Nedeljković jüngst im Gespräch mit dem Handelsblatt an. Auch an den anderen Standorten soll das Maschinen-Ballett künftig noch raffinierter ablaufen: "Wir werden bis 2025 die Produktionskosten pro Fahrzeug um 25 Prozent senken", so Nedeljković. Das ist ein entscheidender Schritt, um mit Tesla gleichzuziehen. Die Kalifornier können ihre Fahrzeuge vergleichsweise günstig anbieten, weil sie sich nicht wie die deutschen Hersteller mit ellenlangen Ausstattungslisten verzetteln.

800 Volt und hohe Reichweiten: Trotzdem sollen die neuen E-Autos bezahlbar werden

Genau von dieser Wahlfreiheit redet die BMW-Führung ständig. Sie ist stolz darauf, dass im Werk Dingolfing ein BMW 7er als Plug-in-Hybrid gefolgt vom neuen BMW iX mit seinem riesigen Batterie-Skateboard über das Band zuckelt. Man muss sich diese Flexibilität als Unternehmen leisten können. Was bei 100 000-Euro-Autos deutlich leichter ist als in der Kompaktklasse. Die Münchner brauchen also nicht nur völlig neue, volumenstarke Modelle wie einen BMW-Kleinwagen und den Mini Urbanaut, um den Absatz um eine halbe Million Fahrzeuge jährlich zu steigern. Sie brauchen auch ein neues Baukastensystem, das Vielfalt erschwinglich macht. Das sind gute Nachrichten für die Kunden, die aktuell bei vielen Herstellern einen Kahlschlag bei Nischenmodellen wie Coupés, Cabrios und Kombis fürchten müssen.

"Das Thema Skalierung über die Breite, Größe und Länge haben wir seit 20 Jahren geübt und verstehen es bestens. Deshalb traue ich mich heute zu sagen: Die Skalen-Effekte werden mit der Elektromobilität eher zunehmen als abnehmen", sagt der Entwicklungsvorstand. Ein Baukasten mit Gleichteilen und flexible Werke auf allen Kontinenten haben die 3er-Reihe zum BMW-Volumenbringer schlechthin gemacht. 2025 steht die nächste Modellgeneration an - und sie wird als erstes Modell der Neuen Klasse vollelektrisch.

Frank Weber verspricht Batteriesysteme mit einer um 40 Prozent höheren Energiedichte. Folglich kann auch ein Autobahnwagen wie der 3er auf 4,70 Meter Länge genügend Kapazität unterbringen. "Wir gehen von Anfang an in volumenstarke Segmente. Also kein Test mit einem Modell, das dann langsam hochskaliert wird. Mit der neuen Cluster Architektur können wir die komplette BMW-Fahrzeugpalette abbilden", kündigt Weber an.

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Kleiner als der VW-Bulli aber ähnlich variabel: Der Mini Urbanaut will ein Wohnmobil ohne Spießer-Look sein.

(Foto: Tom Kirkpatrick/BMW)

Warum nicht gleich so? Warum erst 2025? Man müsse die optimale Kombination für alle künftig verfügbaren Technologien finden, sagt Weber, momentan wären die Fortschritte nicht radikal genug, beziehungsweise die Kosten noch zu hoch. "Der Industrie-Standard wird sich zu 800 Volt verlagern, wenn die Ladeinfrastruktur entsprechend ausgebaut wird. Sie können vermuten, wie sich das auf die Neue Klasse auswirken wird", so der Vorstand: "Neue Klasse bedeutet, dass wir auch grundlegend neu denken, wie man Batterien in das Fahrzeug integrieren kann. Der ganze Antrieb wird komplett neu sein - wir nennen das Generation 6".

Weber spricht von geringeren Energieverlusten im System durch ein besseres Thermomanagement, das erhöht die Reichweite gerade auch im Winter. Über die rahmenlose Integration von Batterien wird bei Tesla schon seit einiger Zeit gemunkelt, dadurch ließe sich viel Platz und Gewicht sparen, wenn die Crash-Sicherheit gewährleistet bliebe.

Stahl, Kunststoff und Aluminium sollen besser recycelt werden - die Software auch

Die neue Architektur soll nicht nur kostengünstig, sondern auch kreislauffähig und klimafreundlich sein. "Bis 2030 verringern wir unseren CO2-Fußabdruck pro Fahrzeug um 40 Prozent", verspricht Oliver Zipse, "statt wertvoller Primär-Materialien nutzen wir Sekundär-Materialien für unsere Fahrzeuge: recycelter Stahl, Kunststoff. Aluminium. Das ist ein Paradigmenwechsel." Nach Jahren des Zauderns will BMW wieder eine führende Rolle in der Branche einnehmen.

Zipse hat nach seinem Amtsantritt vor zwei Jahren fast den gesamten Vorstand ausgetauscht und den Krawattenzwang abgeschafft. Doch in der digitalen Welt bleiben die Münchner selbst mit drei Millionen Endgeräten pro Jahr ein Nischenanbieter. "Das Ganze funktioniert nur mit Nachhaltigkeit und einem wirklich konsequenten Digitalisierungsangebot", gibt Frank Weber zu: "Das ist die anspruchsvollste Domäne, über die wir im Auto reden: Digital car."

Während die anderen deutschen Hersteller mit ihren selbstgemachten Betriebssystemen prahlen (die allesamt noch Zukunftsmusik sind), hat Frank Weber einen viel diskutierten Vorstoß für eine Hersteller-übergreifende Lösung gemacht. Das Problem ist, dass zu viel Software in vielen kleinen Steuergeräten eingekapselt ist und sich schlecht wiederverwerten lässt. Das steigert den Einmalaufwand mit jedem neuen Modell.

Auch auf ein vorzeitiges Ende des Verbrennungsmotors wollen sich die Münchner nicht festlegen, solange es keine ausreichende Ladeinfrastruktur gibt. "Wir bringen nächstes Jahr eine komplett neue Generation von Benzinern, Dieselmodellen und Plug-in-Hybriden", sagt Frank Weber: "Diese Antriebe sind alle vorbereitet auf Euro-7. Wir bringen nicht nur ein Update für die Abgasanlage, sondern ein komplett neues Verbrennungssystem, das kein anderer hat." Damit will BMW in den nächsten zehn Jahren mehrgleisig fahren. Denn die Neue Klasse hat zwar dieselben Rendite-Ziele wie konventionelle Autos. Aber das Geld für die Transformation wird nicht mit Kleinwagen, sondern noch immer in der hochmotorisierten Luxusklasse verdient.

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