Süddeutsche Zeitung

Elektroantrieb:Aufschub für die Zeitenwende

Wie und wann das Elektrozeitalter im Automobilbau beginnt, ist völlig offen. Eine Standortbestimmung.

Joachim Becker

Der gefühlte Fortschritt ist groß. Elektroautos haben 2009 die Schlagzeilen bestimmt. Mitten in der größten Autokrise seit Menschengedenken scheint die ganze Branche wie elektrisiert zu sein. Im Premierenrummel der Automessen geht kaum noch etwas ohne Hochvoltbatterien und dazugehörige Ladekabel - obwohl Batterie- und Plug-in-Hybridautos nur in homöopathischen Dosen verkauft werden.

"Mit der Elektromobilität steht die Branche vor einem fundamentalen technologischen Umbruch. Einer echten Zeitenwende. Unser Weg führt weg vom Öl, hin zu emissionsfreier Mobilität", verkündet Martin Winterkorn, Chef des Volkswagen-Konzerns, "noch vor zehn Jahren waren Umweltfreundlichkeit und Effizienz keine echten Kaufargumente." Daimler-Boss Dieter Zetsche sieht Green Luxury als künftigen Megatrend und BMW-Lenker Norbert Reithofer hat ebenfalls "einen Wertewandel in der Gesellschaft hin zur nachhaltigen Mobilität" ausgemacht.

Verrückte Welt. Die Vollgasfraktion macht Werbung für den lokal abgasfreien Antrieb, während Greenpeace beim Elektroauto eher auf der Bremse steht: "Elektromobilität ist für den Klimaschutz bis zum Jahr 2020 nahezu irrelevant", heißt es in einem Positionspapier der Umweltorganisation, "auch im Jahr 2020 werden noch mehr als 97 Prozent aller Fahrzeuge von Verbrennungsmotoren angetrieben." Gerade beim deutschen Kraftwerksmix, der Strom zu rund 50 Prozent aus Kohle produziere, sei für das Klima mit E-Mobilen derzeit nichts gewonnen.

Außerdem hat sich an den Eckpunkten des Batterieantriebs in der vergangenen Dekade wenig geändert: Die Akkus kosten weiterhin mehr als das gesamte Auto und machen in der Praxis meist nach gut 100 Kilometer schlapp. Momentan erreichen autotaugliche Lithium-Ionen-Batterien nur ein Hundertstel der Energiedichte von flüssigem Kraftstoff. Selbst wenn die Akkus ihre Kapazität bis 2015 auf 200 Wattstunden je Kilo (Wh/kg) verdoppeln, wie Experten annehmen, wird ihre Energiedichte im Vergleich zu Dieselkraftstoff (10.000 Wh/kg) verschwindend gering sein.

Das weiß auch Martin Winterkorn. Der Ingenieur hat sich in den vergangenen Jahren viel mit Elektrochemie beschäftigt. Deshalb kassiert er allzu hohe Erwartungen gleich wieder ein: "Wir bei Volkswagen gehen das Thema engagiert, aber mit Augenmaß an; für 2020 rechnen wir mit einem globalen Marktanteil von einem bis 1,5 Prozent an reinen Elektrofahrzeugen." Eine Zeitenwende stellt man sich anders vor.

Also viel Lärm um (fast) nichts? Schürt die Branche den Elektrohype, um von ihren anhaltenden Problemen bei der CO2-Minderung abzulenken? Solche Kritik, die in Diskussionsforen gerne geäußert wird, greift zu kurz. Erinnern wir uns an die Hochvoltmode in den neunziger Jahren: General Motors brachte mit Milliardenaufwand den Zweisitzer EV1 auf den Markt - nach sieben Jahren und nur 1100 verkauften Exemplaren wurde "das Auto der Zukunft" eingestellt. Auch in Deutschland standen umgerechnet rund 20 Millionen Euro an Fördergeldern für die Stromer bereit. Doch der Modellversuch auf der Insel Rügen versandete wieder: "Nach einer Opel-Studie würden sich 95 Prozent der Deutschen ein E-Auto kaufen. Solange es nicht teurer als 25.000 Mark ist. Die ABB-Batterien in einem BMW Dreier kosten heute etwa 50.000 Mark. Also erst mal Thema durch", konstatierte die ADAC Motorwelt in der Ausgabe 11/92.

Trotzdem kann es sich heute niemand mehr leisten, die nächste Elektrowelle zu verschlafen. Gerade die Luxushersteller brauchen grüne Feigenblätter. Es geht um soziale Akzeptanz, das Image des Technologie-Trendsetters - und wieder einmal um staatliche Förderung. Angesichts der Milliardensubventionen vor allem in den USA und China wollen hiesige Hersteller die Zukunftsinvestitionen nicht alleine stemmen.

"Klar ist, dass ein Anreizprogramm für Elektromobilität und andere alternative Antriebe notwendig sein wird, damit diese Fahrzeuge in größerer Stückzahl in den Markt eingeführt werden können", betont VDA-Chef Matthias Wissmann. Ebenso wichtig wie der Zuschuss beim Kauf von E-Mobilen und Plug-in-Hybriden ist deren Anerkennung als Nullemissionsfahrzeuge - egal, wie der Strom tatsächlich produziert wird. Denn mit diesem Öko-Bonus können die Hersteller ihre CO2-Zielwerte für 2020 leichter erreichen und so Strafzahlungen vermeiden.

Im Rückspiegel erscheinen die IAA 2009 und die Elektroparade beim Klimagipfel in Kopenhagen als gut terminierte Lobby-Veranstaltungen: Der Ausstieg aus dem Erdölzeitalter sei schrittweise machbar, so die Botschaft - allerdings nicht ohne politische und finanzielle Hilfe. Allein die öffentliche Ladeinfrastruktur für Batterieautos kostet mehrere Milliarden Euro. Und so wird um die Weichenstellungen für die Zukunft gefeilscht. Die Städte balgen sich um den Status als Modellregion für Elektromobilität, weil es Fördergelder dafür gibt. Welchen Einfluss so ein warmer Geldregen haben kann, ist gerade in Japan zu besichtigen: Der Toyota Prius avancierte dort im vergangenen Jahr zum meistverkauften Modell, nachdem die Regierung erhebliche Steuervorteile für den Kauf von Hybridautos gewährte. In Deutschland stagnierte der Absatz des ausgereiften Öko-Modells dagegen bei 5700 Stück: "Ohne Subventionen hat es der Hybrid hierzulande schwer", klagt ein Toyota-Sprecher.

Wann also kommt die Elektrorevolution und die Abwrackprämie für Verbrennungsmotoren? "Wie die automobile Welt in zehn Jahren genau aussieht, ist offen", sagt Martin Winterkorn, "das rasante Veränderungstempo unserer Branche und der Weltwirtschaft macht seriöse Vorhersagen nahezu unmöglich." BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Draeger kann dem nur zustimmen: "Einen Königsweg, ein Allheilmittel gibt es nicht. Wir werden nachhaltige Mobilität über eine Kombination unterschiedlichster Maßnahmen erreichen." Allen Unkenrufen zum Trotz wird der Diesel seine Karriere zumindest in Europa und in Indien fortsetzen. Die VW-Studie Up! Lite gibt einen Vorgeschmack davon: Der 0,8-Liter-TDI mit 38 kW (51 PS) verbraucht im sparsamsten Viersitzer der Welt nur 2,44 Liter auf 100 Kilometer. Dank des Euro-6-Reinheitsgebots und der leise surrenden Nachhilfe eines Elektromotors wird der Selbstzünder schließlich zum Saubermann.

Der akademische Expertenstreit "Diesel oder (Benzin-)Hybrid" wird schon bald einem Sowohl-als-auch Platz machen. Hybride gelten nicht mehr als Übergangslösung, sondern werden sich in der leistungsstarken Businessklasse mittelfristig mit wahrnehmbaren Stückzahlen etablieren. Hybridpremieren beim Audi Q5, BMW Fünfer, Mercedes E-Klasse Diesel und VW Touareg sollen schon bald zeigen, dass die Deutschen ihre Lektion nachhaltig gelernt haben. Eine Förderung durch das Finanzamt vorausgesetzt, werden im nächsten Schritt Plug-in-Hybride die elektrische Reichweite auf rund 50 Kilometer erhöhen. Der Elektrofortschritt kommt also auf leisen Sohlen. Das perfekte Öko-Auto, das alles besser kann als der gute alte Verbrennungsmotor, wird es aber auch in zehn Jahren nicht geben. Wir dürfen schon froh sein, wenn Hochvoltbatterien, Brennstoffzellen und Biosprit der zweiten Generation halbwegs erschwinglich werden - damit die Öko-Bewegung in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts endlich richtig ins Rollen kommt.

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SZ vom 18.1.2010/gf
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