Süddeutsche Zeitung

Elektro-Tretroller:Klima-Retter oder einfach nur lästig?

Lesezeit: 4 min

Von Markus Balser

Sie heißen BMW City Scooter, City Blitz Professional oder Megawheels. Sie sind schnell, meist zusammenfaltbar und ziemlich leise. Egal ob Elektro- oder Baumarkt: Schon für rund 200 Euro gibt es die E-Scooter genannten Elektroroller in Deutschland bereits heute fast überall zu kaufen. Wer sie testen will, muss sich allerdings spezielle Plätze suchen. Nur an Orten wie dem stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof sieht man sie bislang in hohem Tempo über die Teerpisten flitzen. Denn auf öffentlichen Rad- und Fußwegen oder gar Straßen sind die Gefährte in Deutschland bislang verboten.

Seit Mittwoch ist klar, dass sich das in wenigen Monaten ändern wird. Fußgänger, Rad- und Autofahrer müssen sich dann auch abseits abgesperrter Areale an die schnellen Gefährte in ihrer Nähe gewöhnen. Der Kampf um den ohnehin knappen Raum in Städten wird noch härter. Am Mittwoch beschloss das Bundeskabinett eine Verordnung zur Zulassung der Tretroller mit Elektromotor. Nur der Bundesrat muss noch zustimmen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will die Stromgefährte möglichst schnell nach dem für den 17. Mai geplanten Bundesratsvotum überall in Deutschland erlauben - als "echte Alternative zum Auto".

Es wird noch trubeliger auf Straßen, Rad- und Gehwegen. Die Details des Gesetzes sehen vor, dass Roller mit einem Höchsttempo von zwölf Kilometer pro Stunde auch auf Gehwegen fahren dürfen. Gefährte, die zwischen zwölf und 20 Kilometer pro Stunde schnell sind, dürfen auf Radwegen fahren. Existiert beides nicht, können sie innerorts jeweils auch auf die Straße ausweichen. Eine Helmpflicht ist nicht vorgesehen. Die langsamen Gefährte sollen ab zwölf Jahren, die schnellen ab 14 erlaubt sein. Vorgeschrieben ist lediglich eine Haftpflichtversicherung samt Versicherungsaufkleber am Fahrzeug.

Der Radfahrerverband erwartet "sehr unschöne Szenen und viele Unfälle"

Für Verkehrsforscher wie Andreas Knie ist der Vorstoß aus Berlin zwar eigentlich eine gute Nachricht. Denn laut Untersuchungen ist jede vierte Autofahrt kürzer als zwei Kilometer. Als Ersatz dafür oder auch für die kurzen Strecken zu Fuß von der U-, S-Bahn oder Bushaltestelle nach Hause oder zur Arbeit sind die Geräte attraktiv und könnten das Auto direkt oder indirekt verdrängen. Es wäre die seit Langem erhoffte Entlastung auf der Straße - und könnte auch die schlechte Klimabilanz des Verkehrssektors verbessern. Weil Städte wachsen und immer mehr Autos auf den Straßen unterwegs sind, wird die Lage in den Zentren der großen deutschen Städte derzeit immer schwieriger. "Wir drohen am wachsenden Verkehr zu ersticken", sagt Knie. Bis 2030, so erwartet das Bundesverkehrsministerium, könnte der Güterverkehr auf der Straße noch einmal um weitere 39 Prozent, der Autoverkehr um 13 Prozent zunehmen. "Wenn nicht endlich Entlastung kommt, werden die Deutschen in Zukunft noch häufiger im Stau stehen, noch seltener vorankommen", sagt der Forscher voraus. Der Start der Elektroroller dürfte dennoch zum bundesweiten Streitthema werden. Vor allem im Lager der Radfahrer regt sich Protest. Deutsche Radwege reichten nicht einmal für die sichere Abwicklung des vorhandenen Radverkehrs, warnt etwa ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork. Wenn nun auch noch E-Scooter auf Radwegen durch die Innenstädte fahren sollten, erwarte er "sehr unschöne Szenen und viele Unfälle".

Auch bei der Polizei wachsen die Sorgen. "Wir befürchten eine weitere Zuspitzung der bereits seit Längerem hitzigen Lage im innerstädtischen Straßenverkehr", sagt Oliver Malchow, Chef der Gewerkschaft der Polizei. Mit E-Tretrollern werde eine neue Konfliktzone geschaffen. Die Polizei sehe sich außerstande, nun auch noch den rollenden E-Verkehr auf den Bürgersteigen zu moderieren und zu kontrollieren. Der Präsident der Deutschen Verkehrswacht, Kurt Bodewig, mahnt: "Wir dürfen einen aggressiven Nutzungskonflikt gegen Fußgänger in den Innenstädten nicht zulassen."

Noch in dieser Woche droht Scheuer deshalb Ärger mit Ministerkollegen auf Landesebene. Auf der laufenden Verkehrsministerkonferenz von Bund und Ländern in Saarbrücken könnte der Streit eskalieren. Der Bremer Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne) warnte, Jugendliche ab zwölf Jahren hätten meist nicht die ausreichende Erfahrung im Straßenverkehr, um komplexe Situationen auf Gehwegen mit E-Rollern beherrschen zu können. Lohse will deswegen bei der Konferenz an diesem Freitag einen Vorschlag zur Abstimmung stellen, der die Freigabe von Gehwegen für Elektrokleinstfahrzeuge ablehnt.

Ob Deutschland allerdings wirklich ein Elektrorollerland wird, ist auch für Fachleute offen. Elektroräder gibt es schon länger. Sie sind beliebt. Den Verkehr revolutioniert haben sie nicht. Und auch die Verkehrseffekte sind fraglich. In den USA, wo die Roller bereits in den Städten unterwegs sind, zeigte sich, dass sie für Strecken genutzt werden, die man gut zu Fuß zurücklegen kann - also dass sie zu mehr statt zu weniger Verkehr führen.

Ein Rollerverleih startete im Oktober - nun ist er schon in 19 Städten aktiv

Das Unternehmen Tier Mobility aus Berlin, das in Städten Leihroller anbietet, macht allerdings klar, welche Dynamik da unterwegs ist. Erst im vergangenen Jahr wurde die Firma gegründet. Im Oktober startete Tier das erste Verleihangebot in Wien mit 250 Rollern. Inzwischen ist Tier in 19 europäischen Städten aktiv. Sobald Roller auch in Deutschland die Erlaubnis bekommen, wird es auch hier losgehen. Die Wirtschaft ist überzeugt, dass ein Milliardengeschäft wartet. US-Unternehmen wie die Uber-Beteiligung Lime und deren Konkurrent Bird haben bereits viele Hundert Millionen Dollar für den Aufbau eines globalen Leihgeschäfts mit den Rollern eingesammelt. Der deutsche Autobauer Daimler steckt hinter dem Dienst Hive, der in Paris, Warschau, Athen und Lissabon Roller verleiht. BMW verkauft Roller aus eigener Produktion.

Die Autohersteller ahnen wohl, dass sie den Wandel besser mitgestalten, als von ihm überrollt zu werden. "Noch ist der Verkehr ganz klar vom Auto dominiert", sagt Verkehrsforscher Knie. Das aber könne sich ändern. Vor allem dann, wenn für andere Mobilitätsformen mehr Platz, etwa eine eigene Spur zur Verfügung stehe. Zudem brauchten neue Gefährte wie E-Roller und E-Räder eigene Abstell- und Lademöglichkeiten. "Auch Stadtplaner sollten umsteuern", sagt Knie und ergänzt: "Wir werden Autofahrern in Zukunft etwas wegnehmen müssen."

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Quelle:
SZ vom 05.04.2019
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