Elektro-Smart mit Wohnwagen:Freiheit in kleinen Dosen

Elektro-Smarts in der Schweiz mit Wohnwagen

Beim Wohnwagen-Trip in der Schweiz schaut nur die Kuh zu.

(Foto: Gerold Huber)

Elektro-Smart plus Retro-Wohnmobil: Die Kombination hat ihre Tücken auf Schweizer Bergpässen. Aber sie findet jede Menge Bewunderer.

Von David Denk

Die Übernachtung ist umsonst, die Aussicht unbezahlbar. Und das Beste daran: Wir haben sie ganz für uns allein. Nur ob man nachts wirklich unbedingt auf die Toilette gehen muss, sollte man sich gut überlegen.

Der Nufenenpass: Am höchsten Punkt der Verbindung zwischen den Schweizer Kantonen Wallis und Tessin haben wir auf dem Parkplatz des Restaurants unser Nachtlager aufgeschlagen. Auf 2478 Metern sinken die Temperaturen noch im Juni und dann auch schon wieder im September nachts bis fast auf den Gefrierpunkt, sodass sich die Gruppe trotz Rotwein und heißer Suppe nach dem Abendessen schnell auflöst und jeder in seinem Wohnwagen verschwindet. In dieser Nacht freut man sich über die dicke Daunenbettdecke, in die man sich bis zum Kopf einwickelt. Bei der Abfahrt im sonnigen Wittenbach hatte die Decke noch merkwürdig übertrieben gewirkt. Sie wollte so gar nicht zum offenen Verdeck passen, mit dem wir nun schon zwei Tage lang unterwegs sind.

Die Einladung zur Fahrt durch die Schweizer Alpen kam mit einem handgeschriebenen oder besser: gemalten Brief, in dem Gerold Huber "Retro Rolling Rosita" vorstellt, sein "Rolling Vintage Hotel", das er gerade eröffnet hat. Huber weiß, wie man Neugier weckt: Der 58-Jährige war mal Lehrer und auch Journalist, bis ihm das Gewerbe zu rau wurde und er einen Zirkus gründete. Nicht mit Elefanten und Hochseilartisten, sondern mit - was läge näher? - Geschichten: Die "Märlikarawane", ein Wanderzirkus mit Märchenerzählern, tingelte von 2009 bis 2011 durch die Ostschweiz. Von ihm sind einige der Anhänger übrig geblieben und Hubers Helfer: Der verschlossene Ernst kocht, der schmale Albert assistiert und der raumgreifende Othmar dirigiert. Alle drei sind weit über 70, was einen zunächst irritiert, dann aber absolut logisch, ja folgerichtig erscheint: Nur wer eine Geschichte hat, hat auch Geschichten. Mit Studenten Mitte zwanzig würde Gerold Huber sich langweilen. Denn was hätten die schon zu erzählen?

Die Historie gibt es gratis dazu

Der frühere Weltenbummler Huber liebt die Schweiz und er liebt Geschichten, mehr noch: Er lebt sie. Wer bei ihm ein Gespann aus (Elektro-)Smart und "Wohnwägeli" mietet, bekommt dessen Historie gratis dazu - und vieles mehr, wenn man ihn als Reiseleiter dazubucht. Manchmal fragt man sich, wie er an Nachschub kommt, da er lieber erzählt als zuhört. Die wohl schönste Geschichte dreht sich um einen besonders leicht und windschnittig gebauten Wohnwagen - das Dübener Ei. Dessen Erfinder Max Würdig war allerdings, anders als Huber das ausschmückt, wohl doch kein notorischer Weiberheld. Er suchte in den Dreißigerjahren einfach einen Ort, an dem er mit seiner Freundin auf Reisen auch ohne Trauschein problemlos eine Bleibe finden konnte. In jedem Fall war es die Not, die Würdig erfinderisch machte: Er konstruierte den Leichtbauwohnwagen, der bis 1990 gebaut wurde und noch heute viele Fans hat - Fans wie Huber, die für solche Raritäten weite Reisen in Kauf nehmen und Liebhaberpreise zahlen.

Die meisten Wohnwagen hat Huber aus Deutschland, meiner stammt aus Italien. Huber hat ihn, Modell Graziella, einer Musiklehrerin aus Bologna abgekauft und ihn Antonio getauft. Der Abschied ist der Signora schwergefallen, die Graziella gehörte zuvor ihrem Vater, doch sie wird gespürt haben, dass das Erbstück bei Huber in guten Händen ist - denn wer fährt schon von St. Gallen nach Bologna, um einen alten, reparaturbedürftigen Wohnwagen abzuholen? Er ist wunderschön mit den weichen Konturen und dem umlaufenden himmelblauen Band auf Hüfthöhe - sowie vergleichsweise geräumig. Sogar die Höhe ist dank ausziehbarem Faltdach selbst für Nichtitaliener komfortabel.

Huber ist Nostalgiker. Die Wohnwagen sind für ihn Ausdruck einer Lebenshaltung: Es war einmal - so beginnen nicht nur Märchen, die Worte umschreiben auch Hubers Anspruch, dem Früher eine Bühne zu bauen und darauf vorzuführen, was sich zu erhalten lohnt. Für einen wie ihn ist es eine Frage der Ehre, dass die Klappstühlchen, auf denen wir bei den Mahlzeiten sitzen, genauso DDR-Originale sind wie die meisten Wohnanhänger. Alles soll so stimmig wie möglich sein.

Eine Nacht lang laden

Elektro-Smart mit Wohnwagen: Im "Wohnwägeli"-Konvoi zum Gruppenbild am Gletscher.

Im "Wohnwägeli"-Konvoi zum Gruppenbild am Gletscher.

(Foto: Gerold Huber)

Gezogen werden die Anhänger - ein wohlkalkulierter Bruch - von Elektro-Smarts. Deshalb fangen die Namen der mit Unterstützung seiner Mutter und eines Freundes finanzierten Flotte alle mit "E" an, Emma, Eva, Erika. Meiner heißt Elsie. Einerseits sind die Zugmaschinen viel umweltfreundlicher als Trabi oder Fiat Cinquecento, andererseits lehren auch die Smarts ihre Fahrer eine Lektion in Entschleunigung. Zwar sind sie ungleich zügiger unterwegs, doch müssen sie unter alpinen Bedingungen alle 70 bis 80 Kilometer ans Stromnetz. Das dauert dann an den meist kostenlos zu nutzenden Schnellladestationen etwa eine halbe Stunde oder - wenn keine in der Nähe ist - an der Steckdose auch mal eine ganze Nacht.

Hubers Reisekonzept ist eine Prüfung für die eigene Ungeduld: Ich fühle mich - im Wortsinn - ausgebremst. Kaum habe ich wieder in den Rhythmus gefunden, müssen wir auch schon wieder anhalten, um nachzuladen. Das lautlose Gleiten über die Passstraßen, Kehre um Kehre bergauf, Kehre um Kehre wieder bergab, voll konzentriert und doch entspannt, ist ein Traum - aus dem wir leider ständig herausgerissen werden, um uns irgendwo im Industriegebiet die Beine in den Bauch zu stehen. Man kann es natürlich auch positiv formulieren: Die lückenhafte Infrastruktur führt uns an Orte, die in keinem Reiseführer stehen. Die Schweiz präsentiert sich von einer ganz anderen Seite, ihrer Rückseite: Tiefgaragen, Hotelparkplätze, Hinterhöfe. Hier bleiben wir meist unter uns.

Gut, wenn man seinen Schlafplatz dabei hat

Doch - und das ist deutlich überraschender - auch sonst sind wir häufig die einzigen Besucher an Aussichtspunkten und können ungestört im Konvoi fahren. Diese Landschaft - all die Gletscher, Gebirgszüge, mit Kühen betupften sattgrünen Wiesen und wie ins Gestein gelaserten Passstraßen - ist von solcher Schönheit, dass die Abwesenheit von Bewunderern irritiert. Im Autoradio ist die Rede von einem Einbruch der Übernachtungszahlen von EU-Bürgern in der Schweiz. Das Land ist seinen Nachbarn zu teuer geworden. Glücklich ist da, wer seinen Schlafplatz dabeihat und nur den Campingplatz zahlen muss.

Das Kontrastprogramm erleben wir am Jungfraujoch, das wir ausnahmsweise nicht mit dem Auto, sondern per Zahnradbahn erreichen. In 3466 Metern Höhe wimmelt es von Touristen, überwiegend aus Übersee. Auf die Besucherklientel ist man bestens eingestellt. Es gibt einen Shop mit Schweizer Armbanduhren und ein indisches Restaurant. Junge Männer lassen sich mit entblößtem Oberkörper im Schnee fotografieren, ein Amerikaner pflaumt einen Inder an, der seinem Rucksack einen eigenen Liegestuhl gegönnt hat. Doch wer auf dem Weg hinauf oder hinab aus dem "Bähnli" aussteigt und einen Teil der Strecke zu Fuß zurücklegt, wird mit himmlischer Ruhe und Weite belohnt. Nur vereinzelt begegnen wir Wanderern. Den Gästen aus China oder Japan fehlt zum Gehen Zeit und Muße. Europa in zehn Tagen ist eben kein Spaziergang.

Anerkennende Blicke überall

Unsere Begeisterung hat bestimmt auch damit zu tun, dass wir hier so gut ankommen: Wo auch immer wir mit den blütenweißen Smarts und den in knalligen Farben gestrichenen Wohnanhängern auftauchen, begegnen uns anerkennende Blicke, hochgereckte Daumen, winkende Hände, interessierte Fragen und gezückte Kameras. Auch wenn wir wissen, dass das weniger mit uns zu tun hat als mit dem, was wir hinter uns herziehen, tun derart positive Reaktionen auch mal ganz gut. Offenbar weckt die "Knutschkugel", wie das Dübener Ei auch genannt wird, ganz ähnliche Instinkte wie die beiden Murmeltiere, die wir am Sustenpass beobachten. Man kann die Wohnwagen nur putzig finden, solange man nicht dauerhaft einziehen muss. Raumwunder hin oder her, eng ist es schon.

In einer Zeit, in der es unter Großstadt-Hipstern als schick gilt, die mit Oma-Möbeln ausstaffierte Altbauwohnung am Wochenende in Richtung Schrebergarten zu verlassen, gibt es eigentlich keinen Grund, warum Wohnanhänger, diese Freiheitskapseln des kleinen Mannes, nicht das nächste große Ding werden sollten. Der Retro-Trend, der sich auch im Namen von Hubers rollendem Hotel wiederfindet, könnte seinem Geschäft zum Erfolg verhelfen. Das wunderbar erhaltene Echtholzinterieur der Graziella jedenfalls dürfte Vintage-Liebhabern gefallen - genau wie die Formensprache ihrer Fiberglas-Hülle. Bis zum ersten Coffee Table Book über "Mid Century Caravaning" kann es nicht mehr lange dauern.

Das Gespann samt Smart kostet umgerechnet zwischen 205 Euro (eine Nacht) und 716 Euro (sieben Nächte), den Wohnwagen ohne Zugfahrzeug gibt's ab 51 Euro. Reiseleitung und Extrawünsche auf Anfrage. Mehr Informationen im Internet: rosita.ch

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