Elektro-Fahrräder:Riskante Trethilfe

In Deutschland werden europaweit die meisten Elektro-Fahrräder verkauft. Mit dem Boom entstehen aber auch Fragen: Sind die sogenannten "Pedelecs" überhaupt noch Fahrräder? Und brauchen wir eine Helmpflicht?

Michael Bauchmüller

Der Fundus der deutschen Verkehrsstatistik ist schier unermesslich. Ob und wie oft Unfälle Leben kosteten, ob die Straße nass war oder trocken, ob es hell war oder dunkel, innerorts oder sonstwo weit draußen. Welche Fahrzeuge waren verwickelt, wie alt waren die Beteiligten? All das verrät das Datenwerk. Nur unterschiedliche Fahrradtypen, die kennt es nicht.

Bis vor kurzem war das auch kein großes Problem. Fahrrad war Fahrrad, zwei Räder, Lenker, Kette, Sattel. Doch dann kam das Elektrofahrrad. "Pedelec" heißt es im Fachjargon, das steht für "pedal electric cycle". Es hat Batterie und Elektromotor und unterstützt seinen Besitzer beim Anfahren und Vorwärtskommen. Einmal an der Steckdose aufgetankt, fährt es 35 Kilometer und weiter.

Europaweit größter Boom in Deutschland

Wer sich keuchend einen Berg hoch quält und von einem freundlich grüßenden Rentner auf dem Rad überholt wird, der hat es nicht selten mit einem Pedelec-Besitzer zu tun. 300.000 dieser Vehikel, so schätzt der Industrieverband ZIV, werden in diesem Jahr davon verkauft werden, fast 50 Prozent mehr als 2010. Nirgendwo in Europa erlebt das Elektrorad derzeit einen solchen Boom wie hierzulande.

Das wirft eine ganze Reihe neuer Probleme auf. "Es wird zwangsläufig mehr Fahrradunfälle geben", sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der deutschen Versicherer, "schon allein weil längere Strecken mit höherem Tempo gefahren werden."

Auch sei es für Autofahrer schwieriger geworden, die Geschwindigkeit eines Radfahrers einzuschätzen. Dass etwa eine ältere Dame eher gemütlich dahinradelt, ist mit Batterie längst nicht mehr gesagt. Und tatsächlich nimmt die Zahl schwerer Fahrradunfälle jüngsten Daten zufolge wieder zu. Nur ob das mit dem Elektrorad zusammenhängt, gibt die Statistik nicht her. Genauere Erhebungen darüber gibt es bisher nur aus China. Die allerdings, so befand das Verkehrsministerium jüngst, seien auf Deutschland nicht übertragbar.

Grauzone zwischen Fahrrad und Moped

Nun soll die Bundesanstalt für Straßenwesen die "potentiellen Einflüsse von Pedelecs und anderer motorunterstützter Fahrräder auf die Verkehrssicherheit" überprüfen lassen - unter "besonderer Berücksichtigung älterer Radfahrer". Denkbar wäre etwa eine Fahrradhelm-Pflicht, wie sie auch die Deutsche Verkehrswacht fordert. Dies werde derzeit geprüft, antwortete das Ministerium vorige Woche auf eine kleine Anfrage der SPD.

Unklar ist derzeit auch noch, ob es neben den üblichen Pedelecs, die mit elektrischer Trethilfe höchstens 25 Kilometer pro Stunde schnell sind, noch eine gesonderte Klasse für flottere E-Fahrräder geben soll. Bislang bewegen sie sich in einer Grauzone zwischen Fahrrad und Moped - anders als ein herkömmliches Rad brauchen sie ein Nummernschild, anders als ein Moped aber keine Hupe und kein Abblendlicht.

Derweil nimmt der Boom seinen Lauf. Deutschlands größter Fahrradkonzern, Derby Cycle, meldete am Donnerstag Rekordzahlen. Der Cloppenburger Hersteller von Marken wie Kalkhoff, Raleigh und Rixe verzeichnete im dritten Quartal ein Drittel mehr Umsatz - vor allem des Batterierad-Booms wegen. Umweltschützer sehen begeistert eine ganz neue Alternative zum Auto. "Das ist auch etwas für den Anzugträger, der nicht verschwitzt im Büro ankommen will", sagt Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland. Nur verlange das neue Rad auf Dauer auch eine andere Stadtplanung: Zum Überholen nämlich sind viele Radwege zu schmal.

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