Elektro-Boote:Selbst bei Vollgas herrscht Ruhe

Ganz Elovation Epox mit Torqueedo Deep Blue 80i

Das Boot Ganz Elovation Epox 6.8 wird vom Elektromotor Torqeedo Deep Blue 80i angetrieben.

(Foto: Torqeedo)

Inzwischen fahren sogar Yachten elektrisch: Eine neue Generation von E-Antrieben revolutioniert den Bootsbau. Weltmarktführer ist eine Firma aus Bayern.

Von Patrick Illinger

Es fehlt nur das Röhren am Heck. Und der Benzingestank. Sonst ist alles, wie man es von einem kräftigen Motorboot kennt. Ist der Gashebel vorwärts geschoben, drückt es die Insassen in ihre Sitze, und nach nur drei Sekunden hebt sich das Boot spürbar aus dem Wasser. Der Rumpf wälzt keine träge Bugwelle mehr vor sich her, sondern rast in Gleitfahrt über die Kräusel des an diesem Tag leicht kabbeligen Starnberger Sees. Am Heck sprudelt es und eine weiße Schaumschleppe bildet sich. Mit mehr als 30 km/h peitscht das 3,70 Meter lange Festrumpf-Schlauchboot über das nasse Element. Nur der charakteristische Lärm eines Zwei- oder Viertakters fehlt. Doch, ganz ehrlich, der fehlt ganz und gar nicht.

Mit Elektrobooten an den Touristenstegen, neun Euro die halbe Stunde, hat das hier nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. In weniger als fünf Minuten ist der See von West nach Ost überquert. In einer guten halben Stunde wäre Seeshaupt am Südende des knapp 20 Kilometer langen Gewässers erreicht. Steuermann und Passagier können sich bei voller Fahrt in Zimmerlautstärke unterhalten.

Ein völlig neues Bootsgefühl

Es ist ein völlig neues Bootsgefühl, das der weltweit führende Hersteller von Elektro-Bootsantrieben anlässlich einer Vorführung auf dem Starnberger See eindrucksvoll vermittelt. Torqeedo heißt die vor zehn Jahren gegründete und mittlerweile in Gilching ansässige Firma. Der Name ist ein Kunstwort aus torque (Drehmoment) und speed (Geschwindigkeit). Standardprodukt sind bislang kleinere, tragbare Elektroaußenborder für Kajaks, Tender oder Segelboote.

Vor allem Segler sind froh, wenn sie für Hafenmanöver und Extremflauten keinen knatternden Zweitakter mehr anwerfen müssen und auf das dafür nötige Benzin an Bord verzichten können. 50 000 dieser Torqueedo-Außenborder, vor allem der "Travel"-Baureihe, sind weltweit bereits im Einsatz. Und so wie in der Autowelt visionäre Hersteller wie Tesla nun Oberklasse-Limousinen elektrifizieren, geht es nun auch in der Bootswelt in höhere Ligen.

Es kommt auf den Vortrieb an

Um zu verstehen, was moderne Elektroantriebe in der Welt der Boote und Yachten bewirken, sei ein kurzer Exkurs in die Physik erlaubt: Bootsmotoren werden üblicherweise mit PS beziffert, so wie Autoantriebe. Diese Maßeinheit ist jedoch trügerisch. Sie beschreibt lediglich die Leistung des Aggregats, also die pro Zeit verbratene Energie. Wie viel dieser Energie dafür draufgeht, den Motor - und somit die Umwelt - zu erhitzen oder das Wasser sinnlos zu verquirlen, ist damit nicht gesagt. 20 PS können also sehr Unterschiedliches bedeuten. Die physikalisch entscheidende Größe ist der Vortrieb. Und diesen kann ein Elektroantrieb gepaart mit einer präzise abgestimmten Schraube auf erstaunliche Weise zur Geltung bringen.

"Cruise 10.0" nennt Torqueedo eines seiner neuen Aggregate. Unauffällig wie ein kleiner Außenborder hängt der modern designte Motor am Heck und bringt das eingangs genannte Schlauchboot auf Touren. Der Vortrieb entspricht einem klassischen 20-PS-Außenborder.

Viele Werften begeistern sich für die Torqeedo-Motoren

Das Spitzenmodell von Torqeedo ist ein schwarz lackiertes Ungetüm namens Deep Blue 80, der auch als Einbaumotor verfügbar ist. Mit diesem Antrieb, dessen Kraft etwa einem 80-PS-Verbrennungsmotor entspricht, kommt ein edles Tenderboot der Schweizer Heinrich-Werft auf satte 47 km/h. Und auch die exklusive, in Niederbayern angesiedelte Sportbootmanufaktur Kaiser kann sich für Deep Blue begeistern.

Dazu muss man wissen, dass Firmenchef Kaiser ansonsten gerne mehrere Hundert PS starke Aggregate einbaut. Mit dem elektrischen Deep Blue 80 und einem Jet-Antrieb statt Propeller kommt die bogenförmig geschnittene Kaiser 600 auf fast 50 km/h. Es ist ein faszinierendes Spektakel auf dem beschaulichen See, bei dem sich Zuschauer zwischenzeitlich fragen, ob sie Hörprobleme haben, so ruhig rauschen die Sportboote dahin.

Prädestiniert für die Green Lakes

Torqeedo-Chef und Gründer Christoph Ballin betont, dass es ihm keineswegs darum gehe, nun die gesamte Bootswelt zu elektrifizieren. Er will all jene Bereiche bedienen, in denen diese Antriebe sinnvoller sind als herkömmliche Verbrennungsmotoren. Perfekte Reviere sind zum Beispiel die Green Lakes, wie sie international heißen, Gewässer, auf denen klassische Motorboote entweder verboten oder stark limitiert sind. Wer sich in dieser Umgebung aufs Wasser begibt, hat meist das stilvolle Cruisen im Sinn - quer über den See, auf einen Apfelstrudel oder ein Glas Riesling beim Seewirt.

Bei dieser Kundschaft sind die stilvollen, im modernen Retro-Design gehaltenen Boote des österreichischen Bootsbauers Frauscher enorm begehrt. Der Hersteller bietet seine Cruiser mittlerweile mit kompletten Antriebssträngen von Torqeedo an. So zum Beispiel die 6,50 Meter lange Frauscher Alassio, die es mit Deep Blue auf 30 km/h bringt, und bei einer gemütlichen Reisegeschwindigkeit von neun km/h stolze 90 Kilometer Reichweite hat. Die Sorge, irgendwo auf dem See liegen zu bleiben, weil der Saft ausgeht, muss niemand mehr haben.

Selbst Yachten fahren inzwischen elektrisch

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis Landratsämter neue Regelwerke aufsetzen müssen, weil Dutzende oder gar Hunderte Hochleistungs-Elektroflitzer über die Seen brettern. Hinzu kommt womöglich ein völlig neuer Anblick, der sich erstmals bei der Torqeedo-Vorführung bot: Nimbus, eine bekannte skandinavische Schiffswerft, brachte zwei veritable Motoryachten zu Testzwecken zum Starnberger See, rund zehn Meter lang, vier Schlafplätze, Küche, Bad. Die Schiffe wirkten auf dem beschaulichen Binnengewässer wie SUVs zwischen lauter Gokarts.

Eine der beiden Nimbus-Yachten, das Modell 305, vermarkten die Schweden mit sparsamem "Eco-Rumpf" und üblicherweise einem moderaten Diesel-Aggregat. Für die Elektroversion "E-power" durfte Torqeedo nun einen elektrischen Antriebsstrang mit zwei (wahlweise drei) 100 Kilogramm schweren Hochleistungsbatterien sowie dem Deep-Blue-Innenborder einbauen. Natürlich bringt das ein vier Tonnen schweres Gefährt nicht in rasende Gleitfahrt. Aber Cruisen mit zehn km/h ist allemal drin - und das bei völlig ausreichender Reichweite von fast 40 Kilometer.

Und genau das ist es, was Bootsfahrer auf einem Gewässer wie dem Starnberger See tun wollen, wenn sich die Menschen am Ufer auf die Füße treten: gemütlich eine abgelegene Stelle ansteuern und die Ruhe genießen. Die erstaunliche Ruhe, die neuerdings auch bei Vollgas herrscht.

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