Süddeutsche Zeitung

Elektrifizierte Lkw:Die Kraft kommt aus der Oberleitung

Lesezeit: 3 min

Im kommenden Jahr beginnen mehrere Feldversuche für Lkw mit Stromabnehmern. Was können die Hybridfahrzeuge besser als reine Elektro-Lkw?

Der Bau der ersten deutschen Teststrecke für Elektro-Lastwagen mit Oberleitung im Rhein-Main-Gebiet geht zügig voran: An der stark befahrenen Autobahn A 5 zwischen Darmstadt und Frankfurt stehen bereits die etwa 230 Masten für Lastwagen mit Stromabnehmer. Ausleger für die Fahrdrähte der Oberleitung fehlen nur noch in Richtung Süden. "Wir sind komplett im Zeitplan", sagt Projekt-Koordinator Achim Reusswig von der Verkehrsbehörde Hessen mobil. Voraussichtlich Ende November 2018 werde die Anlage für die je Richtung fünf Kilometer lange Teststrecke betriebsbereit sein.

Der Feldversuch soll dann Anfang 2019 beginnen und dazu beitragen, die Klimaschutzziele der Bundesrepublik zu erreichen. Auch in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg werden Teststrecken errichtet. "Die Vorstellung, dass irgendwann keine Lkw mehr auf den Autobahnen fahren werden, ist sehr unwahrscheinlich", sagt Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne). Deshalb sei es nötig, andere Möglichkeiten auszuloten, den Güterverkehr sauberer zu machen; wenngleich dies freilich nur gelingt, wenn der Strom voll aus regenerativen Quellen stammt. Kritiker entgegnen aber, die Oberleitungstechnik werde schon erfolgreich zum Gütertransport eingesetzt - nämlich bei der Bahn. Statt viel Geld in neue Oberleitungen an Autobahnen zu stecken, sei es sinnvoller, die Güterkapazitäten auf der Schiene auszubauen.

Dennoch laufen die Pilotprojekte weiter. So sollen die Bauarbeiten an der A 1 in Schleswig-Holstein von Oktober 2018 an bis Ende Mai 2019 laufen. Zwischen Reinfeld und dem Autobahnkreuz Lübeck soll auf je fünf Kilometern pro Richtung eine Oberleitung für schwere Lastwagen gebaut werden. Eine Reinfelder Spedition soll die Strecke dann mit einem Hybrid-Lkw testen. Für die dritte Teststrecke in Baden-Württemberg an der Bundesstraße B 462 zwischen Rastatt und Rottweil laufen dagegen noch die Planungen. Die Strecke soll in beide Fahrtrichtungen etwa sechs Kilometer lang werden. Die Bauaufträge dafür sollen noch in diesem Jahr vergeben und die Oberleitungen dann im Laufe des Jahres 2019 aufgestellt werden, heißt es bei der Landesregierung in Stuttgart. Auf der Strecke werden jedes Jahr mehr als 500 000 Tonnen Papier transportiert. Im Rahmen des Projekts sollen die Oberleitungs-Lastwagen dann mit dieser Last pro Jahr 250 000 Kilometer zurücklegen, so dass die Verantwortlichen mit belastbaren Ergebnissen rechnen.

Die Teststrecke hat noch zwei andere Vorteile: Anwohner beschweren sich regelmäßig über den Lärm der Lkws. Beim Einsatz von Elektro-Trucks könnten Lärm- und Schadstoffbelastungen gut untersucht werden. Auch ein Vergleich mit dem Schienengüterverkehr wäre möglich, denn der Abschnitt verläuft parallel zu einer Bahnlinie. Der Lkw-Bauer Daimler will sich an dem Projekt beteiligen und bis 2020 eine rein batteriebetriebene Sattelzugmaschine mit einer Reichweite von bis zu 200 Kilometern entwickeln. Sie soll im Vergleich zu den Oberleitungs-Lkws antreten, die neben dem E-Antrieb auch noch einen Verbrennungsmotor an Bord haben.

Das Bundesumweltministerium fördert die drei Feldversuche bis 2019 mit insgesamt 45,3 Millionen Euro. Das Projekt in Schleswig-Holstein werde noch einmal um 5,1 Millionen Euro aufgestockt und der Testbetrieb an allen Standorten von 2019 an mitfinanziert, sagt ein Ministeriumssprecher. Die Oberleitungs-Lkws seien bereits mehrere Jahre auf einer nicht-öffentlichen Teststrecke erprobt worden.

Auf der A 5 zwischen Langen/Mörfelden und Weiterstadt sollen die ersten Oberleitungs-Lkw von 2019 an fahren. Der Feldversuch beginnt mit einer Einführungsphase, die etwa bis Jahresmitte gehen werde, sagt Siemens-Sprecher Stefan Wagner. Der Konzern baut die Teststrecke. In der Einführungsphase sollen zunächst die Betriebsführung erprobt sowie Spediteure und Fahrer mit der Technologie der Oberleitungs-Hybrid-Lkws vertraut gemacht werden. "In dieser Phase werden schon mehrere Fahrzeuge auf der Strecke eingesetzt." Von Mitte 2019 an solle dann der Realbetrieb von Speditionen mit fünf Fahrzeugen getestet werden.

Das System erlaube den Einsatz unterschiedlicher Antriebskonzepte, rein elektrische, Hybridfahrzeuge mit Diesel, Bio-Diesel, Gas, Batterien oder Brennstoffzellen, sagt Wagner. So könnten Fahrzeuge während der Fahrt etwa ihre Batterien laden. Die Lkws erkennen bei laufender Fahrt über Sensoren die Leitungen über sich und docken an, ohne langsamer zu werden, erklärt Reusswig die Anlage an der A 5 in Hessen. Der Stromabnehmer werde ausgefahren und durch Druck von unten an die Leitung gekoppelt. "Er muss nicht einfädeln." Die Laster können während der Fahrt auch die Spur wechseln und dabei abkoppeln, sagt Wagner. Denn die Anlage funktioniert nur auf der rechten von vier Fahrspuren.

Wie weit die Lkws nach dem Laden mit ihrem Akku dann kommen, ist noch unklar, sagt Reusswig. Dies müsse der Feldversuch zeigen und hänge auch vom Gewicht der Fahrzeuge ab. Die Infrastruktur an der A 5 lasse alle möglichen Lastwagentypen und womöglich sogar Busse zu. "Die Technik an sich funktioniert ja", sagt Martin Bulheller vom Bundesverband Güterverkehr. Nun müsse unter realen Bedingungen getestet werden, ob es auch klappe, wenn nicht ein, sondern zehn, 20 oder 30 Lkws am Tag über Monate auf den E-Strecken fahren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4067896
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.07.2018 / dpA/SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.