Süddeutsche Zeitung

Eisenbahnnostalgie:Warum die Mopsfledermaus die "Sauschwänzlebahn" bedroht

Vor 130 Jahren startete der Bau der spektakulären Bahntrasse durch den Schwarzwald. Die Konstruktion begeistert noch heute - doch es wird immer schwieriger, sie zu erhalten.

Von Marco Völklein

Die Kostbarkeiten lagern in einer unscheinbaren Holzkommode im Besprechungsraum im ersten Stock des Bahnhofs Blumberg-Zollhaus. "Vielleicht", sagt Christian Brinkmann, der Chef hier auf dem Bahnhof im südlichen Schwarzwald, "besorgen wir mal einen Tresor." Allein schon um die Unterlagen vor einem möglichen Brand zu schützen. Denn da ist sich Brinkmann sicher: Die Unterlagen in der klapprigen Holzkommode - "die sind ein echter Schatz".

Zu sehen sind Originalbaupläne aus den 1880er-Jahren. Sie zeigen Tunnelprofile, Bahnhofsgebäude, Brückenkonstruktionen. Auf einigen Plänen sind noch die Unterschriften der Philipp-Holzmann-Ingenieure von damals zu erkennen. Und Betriebsleiter Brinkmann ist noch immer fasziniert von den Leistungen der Bauleute damals. Die Tunnel der Wutachtalbahn wurden im Bogen gebaut, von zwei Seiten aus - "und dennoch haben sich die Bautrupps in der Mitte getroffen", sagt Brinkmann. Um die Baustellen an der 25 Kilometer langen Eisenbahnstrecke beliefern zu können, wurde ein mehr als 100 Kilometer langes Netz aus schmalspurigen Baubahnen errichtet. Alte Fotos künden davon.

Heute nutzt Brinkmann die alten Unterlagen, um auf Spezialfahrten den Besuchern die Leistungen der Konstrukteure nahezubringen. Dann lässt Brinkmann den Zug immer wieder halten, die Leute steigen aus - und bestaunen zum Beispiel den stählernen Biesenbach-Viadukt, eine etwa 250 Meter lange Brücke, die noch während der Bauzeit verlängert werden musste, weil die geplanten, bereits aufgeschütteten Dämme immer wieder abrutschten.

Bekannt ist die Wutachtalbahn als "Sauschwänzlebahn". Wie in einem Kinderbuch schlängeln sich die Gleise durch die Landschaft, mehrere Brücken überwinden teils tief eingeschnittene Täler, sechs Tunnel führen durch die Berge, einer davon als "Kreiskehrtunnel", also als Eisenbahnröhre in Spiralform, durch die sich der Zug quasi durch den Berg nach oben schraubt. Betrachtet man den Tunnelverlauf auf den alten Plänen aus Brinkmanns Holzkommode, erinnert er an ein geringeltes Schweineschwänzchen. Daher der Name Sauschwänzlebahn.

Gerüstet für einen Krieg gegen Frankreich

Begonnen wurde mit dem Bau der Strecke am 15. August 1887, also vor fast genau 130 Jahren. Geplant war sie fürs Militär. Um für einen Krieg gegen Frankreich gerüstet zu sein, forderte die Reichsregierung eine Bahnstrecke, um Truppen aus Württemberg ins Elsass verlegen zu können. Die Trasse durfte aber nicht über die benachbarte Hochrheinstrecke Konstanz-Singen-Basel verlaufen, denn die hätte zum Teil über Schweizer Boden geführt. Im Kriegsfall hätte die Schweiz deutschen Militärs die Durchfahrt verwehrt.

Also verlängerten die Ingenieure die bestehende Wutachbahn durch den Schwarzwald. Zu berücksichtigen waren streng militärische Vorgaben: Alle acht Kilometer sollte ein Bahnhof den Zügen auf der eingleisigen Strecke das Ausweichen und Überholen ermöglichen. Ein möglicher Ausbau auf zwei Gleise war vorzusehen, Tunnelprofile und Brückenwiderlager entsprechend zu dimensionieren. Zudem waren allzu starke Steigungen untersagt, damit die schweren Truppentransporte die Strecke bewältigen konnten. Auch deshalb führten die Ingenieure die Trasse über viele Schleifen und Kehren. So zieht sich die Strecke zwischen Blumberg und Weizen über 25 Kilometer, obwohl die beiden Bahnhöfe nur etwa zehn Kilometer Luftlinie auseinander liegen.

Und obwohl die Bahn in den Sechzigerjahren noch auf Nato-Standard ertüchtigt wurde, spielte sie militärisch nie eine Rolle. Auch Personen- und Güterverkehr fuhr nicht in nennenswerter Größenordnung, die Gegend ist zu dünn besiedelt. Die Leistungen der Konstrukteure von damals werden indes bis heute bewundert. 2014 wurde die Strecke als "historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst" ausgezeichnet. Dabei habe sich schon während der dreijährigen Bauzeit abgezeichnet, dass man die Trasse hätte steiler ausrichten können, sagt Brinkmann. Der technische Fortschritt bei den Loks hätte dies durchaus erlaubt. Letztlich seien "viele seltsame Ereignisse zusammengekommen, dass es die Strecke überhaupt gibt".

Nicht zuletzt waren es engagierte Eisenbahnfreunde, die die Strecke in die Gegenwart retteten. Nach der Stilllegung startete ein Verein 1977, also vor genau 40 Jahren, einen Museumseisenbahnbetrieb. Heute ziehen eine Dampflok aus dem Jahr 1954 sowie eine Diesellok (Baujahr: 1939) vorwiegend an Wochenenden historische Reisewagen über die Trasse. Gestattet ist der Betrieb aber nur von Ende April bis Ende Oktober. In den Wintermonaten sind Fahrten untersagt, weil sich in den Tunneln die vom Aussterben bedrohte Mopsfledermaus eingenistet hat.

Die Museumsbahn ist ein Zuschussgeschäft

Die Betreibergesellschaft der Museumsbahn streitet wegen des Verbots seit mehr als drei Jahren mit der Naturschutzbehörde vor diversen Gerichten. Hinzu kam ein Streit zwischen der Stadt Blumberg und dem Verein. Brinkmann spricht von einer "unruhigen Zeit". Die Zahl der Besucher sank von einst etwa 120 000 pro Jahr zwischenzeitlich auf 85 000. Mittlerweile betreibt die Stadt die Bahn allein. Und die Besucherzahlen berappeln sich wieder: 2016 zählte die Sauschwänzlebahn 108 000 Fahrgäste, für das laufende Jahr rechnet der Geschäftsführer mit 120 000 Gästen.

Klar ist aber auch: Die Museumsbahn ist für die Stadt ein Zuschussgeschäft. Zwei Millionen Euro Miese habe man von 2013 bis 2015 gemacht, sagt Brinkmann. Immer wieder müsse in den Erhalt der Strecke investiert werden. Allein die Sanierung der Gleise und Schwellen auf den Brücken koste je nach Größe des jeweiligen Bauwerks zwischen 250 000 und 750 000 Euro. Zudem "sterben die eingefleischten Eisenbahnfans nach und nach weg", sagt Brinkmann. Daher seien Museumsbahnbetreiber wie die im Wutachtal gezwungen, neue Zielgruppen anzusprechen. Brinkmann setzt beispielsweise auf Kooperationen mit Ausflugsfahrten auf dem Bodensee oder einer regionalen Brauerei. Und auf die Spezialfahrten zu den imposanten Bauwerken aus der Zeit vor mehr als 130 Jahren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3469348
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.04.2017/harl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.