Ein Symbol der Moderne:Die Ideologiemaschine

Keine Erfindung hat so bewegt wie das Auto: Es war immer auch Vehikel für Gesellschaftsmodelle und Ideale.

Petra Steínberger

"Ein Mann, der mit 26 Jahren immer noch mit dem Bus zur Arbeit fährt", sagte die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher "der kann sich als Versager betrachten." Es würde passen zu ihr und ihre Zeit, irgendwann in den achtziger Jahren, als der Ölschock bereits wieder in Vergessenheit geraten war. Dieser Satz stand symbolisch für eine neue Art konservativen Denkens, das die kreative Zerstörung propagierte und sich befreit hatte vom traditionellen Misstrauen gegen Veränderung. Thatcher wollte die alten Strukturen zerstören, und ihre Lobpreisung der individualisierten Fortbewegung als Zeichen für persönlichen Erfolg entsprach ihrer Deregulierung der Märkte.

Highway Los Angeles

Keine Erfindung hat so viele Ideologen bewegt wie das Auto. Und weil kein Ort so von der automobilen Gesellschaft geprägt wurde wie Los Angeles, wurde die Stadt zum Symbol für die Moderne des 20. Jahrhunderts.

Ein paar Jahre formulierte George W. Bush bei einer Wahlveranstaltung das Heilsversprechen der freien Marktwirtschaft mit den Sätzen: "Was ich für die öffentlichen Verkehrsmittel tun werde? Ich werde die Wirtschaft so stark machen, dass jeder von Ihnen eine Arbeit finden kann, die gut genug ist, um sich ein Auto leisten zu können."

Derzeit geht es den Herstellern dieses Symbols der Individualgesellschaft nicht so gut. Gesellschaftskritiker und Umweltschützer sehen in der Wirtschaftskrise sogleich die Chance für den Wandel einer marktwirtschaftlich organisierten und autofixierten Gesellschaft. In der jüngsten Ausgabe des New York Review of Books fragt die Autorin Emma Rothschild: "Können wir die autoindustrielle Gesellschaft umbauen?"

Das Auto war tatsächlich niemals nur Transportmittel. Es war Gradmesser für die Popularität von Ideologien und Systemen. Umgekehrt versuchten Ideologen stets, das Fahrzeug zum Fokus ihrer Ziele zu deuten. Dabei verbinden Gesellschaft und Automobil eine immerwährende Hassliebe. Die Gesellschaft akzeptiert die ästhetischen und kulturellen Beeinträchtigungen, die der autogerechte Umbau der Natur mit sich bringt. Im Namen der automobilen Freiheit nimmt die Gesellschaft in Kauf, dass tödliche Unfälle im Straßenverkehr im Jahr 2020 wohl weltweit an dritter Stelle der Todesursachen stehen werden, dass sie erheblich zum CO2-Ausstoß beitragen. Und derzeit fördern Regierungen den Kauf von Neuwagen mit Steuermilliarden, um diese Industrie zu retten.

Konservative Autofeinde

Diese Hassliebe besteht seit den Anfängen der Automobilindustrie. In den Jahren 1906 und 1907 beispielsweise waren 90 Prozent der in Berlin registrierten Autos in einen Unfall verwickelt. Interessant ist, wieso die Fürsprecher dieser nicht ungefährlichen Maschine es bis heute schaffen, die Menschheit nicht nur von ihrem fraglosen Nutzen zu überzeugen, sondern auch davon, dass dieser Nutzen vor den Interessen aller anderen zu stehen habe.

Die Ideologiemaschine

Unfälle wurden beispielsweise zu Kollateralschäden erklärt und die Rechte des nicht mobilisierten Teils der Bevölkerung zumindest auf öffentlichem Gelände erst einmal eingeschränkt. Bald war es nicht mehr der Autofahrer, der verfolgt wurde, sondern der Fußgänger, der es wagte, auf der Straße zu flanieren. "Jaywalking" heißt das achtlose Überqueren der Straße durch einen Fußgänger auf englisch, und in manchen amerikanischen Städten stand das bald unter Strafe. Straßen wandelten sich vom öffentlichen Raum zu reinen "Verkehrsadern".

Dabei waren Autos anfangs nicht besonders populär. Einige der ersten Wochenendausflügler mussten vor allem auf dem Land unangenehme Erfahrungen machen. "Wütende junge Bauern nutzten manchmal eine einfache Waffe: einen Misteimer", schreibt Brian Ladd in "Autophobia. Love and Hate in the Automotive Age", seiner meisterlichen Geschichte des Autohasses - und dessen Erfolglosigkeit (University of Chicago, 2008), "oder sie streuten Nägel und Glasscherben auf die Straßen. 1909 schaufelten Farmer bei Sacramento in Kalifornien Gräben quer über die Straße und fingen tatsächlich 13 Autos." Manchmal kam es zu Tragödien. "Ein schlimmer Unfall passierte 1913 in Preußen vor den Toren von Berlin, als ein Drahtseil, das Unbekannte über die Straße gespannt hatten, ein Pärchen köpfte, das von einem Sonntagsausflug zurückkehrte."

Anfangs waren die Fronten klar. Die Befürworter des Fortschritts ließen sich von den Möglichkeiten der individuellen Bewegung begeistern. Die Beschwerden hingegen kamen zunächst von konservativer Seite: von einer armen Landbevölkerung, die die Reichen verabscheute, die rücksichtslos über die Dörfer rasten. Und von Bildungsbürgern, die nicht wollten, dass ihre idyllischen Wochenendpicknicks vom Autolärm gestört würden, die um den Erhalt der Landschaft fürchteten und gewissermaßen Vorläufer der Umweltbewegung waren. Doch die Grenzen verschwammen, als das Auto für die Massen erschwinglich wurde.

Im Lauf der Jahre fanden sich auf beiden Seiten kluge, mächtige oder gefährliche Parteigänger. Das Auto würde in den Vereinigten Staaten "sozialistische Triebe" wecken, warnte etwa der amerikanische Präsident Woodrow Wilson, der der Welt nach dem Ersten Weltkrieg den Frieden schenken wollte. Auf der Autoshow in Berlin 1934 forderte hingegen Adolf Hitler, dass das Auto "von seinen klassenspezifischen und deshalb spalterischen Charakter befreit werden" müsse. Es dürfe kein Luxus mehr sein, sondern solle ein praktisches Hilfsmittel werden.

Wer etwas zu sagen hatte zur Welt, der las seine Ansichten auch aus dem Automobil heraus. Es stellte sich, so Ladd, auch schnell heraus, dass sich ausgerechnet Faschisten, russische Kommunisten und chinesische Zentralplaner begeistern ließen von einer Maschine, die so sehr der individuellen Freiheit huldigte wie das Auto.

Die Geburt des Autos traf aber auch mit dem Beginn der künstlerischen Moderne zusammen, die so häufig die Trennung und Entfremdung thematisierte. Autofahren schien diese gefühlte Empfindung noch zu verstärken.

Die Ideologiemaschine

Die Futuristen des frühen 20. Jahrhunderts hofften, dass Geschwindigkeit ein neues Zeitalter der Gewalt hervorbringen würde, frei von so entmannenden Tendenzen wie Demokratie. Virginia Woolf schrieb 1928, kurz nachdem sie ihr erstes Auto erworben hatte, in ihrem Roman "Orlando": "Der Prozess des schnellen Verlassens von London ähnelt so sehr jener Zersplitterung von Körper und Geist, die der Bewusstlosigkeit und vielleicht dem Tod selbst vorausgeht, dass die Frage offen bleiben muss, ob Orlando in diesem Moment wirklich existiert hat." Die verstopften Vororte von London wiederum inspirierten J.G. Ballard zu seinem dystopischen Roman "Crash". In der Verfilmung von Paul Haggis suggeriert die Stimme im Off, dass die sich selbst entfremdeten Bewohner von Los Angeles ineinander fahren, "nur damit wir etwas fühlen können".

Ende einer Gesellschaftsform?

Immer wieder aber verschärfte das Auto die Spannungen zwischen Stadt und Land: Mit ihm konnten die Menschen zwar der Enge der ländlichen Gemeinschaften entfliehen, konnten zumindest für ein paar Stunden die Freiheit der Stadt genießen, ihre Kultur, ihre Vielfalt. Gleichzeitig fürchteten die Landbewohner, dass mit dem Auto Verbrechen und Laster, die stets mit der Stadt assoziiert wurden, auch auf das Land gelangen könnten. Zudem zerstörte das Auto durch sein Versprechen der Mobilität den Zusammenhalt - auf dem Land genauso wie in den informellen Nachbarschaften der großen Metropolen.

Doch ausgerechnet das Auto, das die Spannung zwischen Stadt und Land symbolisiert hatte, trug wesentlich dazu bei, dass beide Pole in einem amorphen neuen Gebilde verschmelzen konnten: In jener endlosen Vorstadt der Suburbia, diesem Lieblingsort einer neuen, mobilen, zunehmend fragmentierten Gesellschaft. In der Suburbia erobert das Auto jene Lebensqualität mit Komfort und freistehenden Einfamilienhäuser für die Massen des Mittelstandes, die vormals den Wohlhabenden vorbehalten war.

Jetzt, in der Finanzkrise, glauben die Kritiker der automobilen Gesellschaft das Ende dieser Suburbs ebenso zu erkennen wie das Ende der Autokultur. Die Natur und ihre Ressourcen sollen ebenso wie die Strukturen der traditionellen Stadt wiederbelebt werden. Nur dürfen sie nicht vergessen, dass das Auto seit seiner Erfindung sämtliche Krisen überlebt hat. Die Menschen haben immer wieder entschieden, noch mehr mit dem Auto zu fahren, unabhängig davon, ob die Politik das unterstützte oder nicht. Menschen fahren mit dem Auto, weil es meist bequemer und schneller ist, heißt es in einer Studie lapidar. "Deshalb", schreibt Brian Ladd, "gibt es gute Gründe anzunehmen, dass das Auto triumphiert hat."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: