Süddeutsche Zeitung

E-Scooter:Streit um den Gehsteig

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will, dass gedrosselte E-Tretroller auch auf dem Gehweg fahren dürfen. Der Plan stößt auf Widerstand.

Von Marco Völklein

Wenn es so kommt, wie die Anbieter es erwarten, dann dürfte es bald in der Münchner Innenstadt deutlich enger werden. Aktuell fünf Vermietfirmen stehen allein in der bayerischen Landeshauptstadt bereit, um den Münchnern Elektro-Tretroller anzubieten, bundesweit rechnen Branchenkenner mit zehn bis zwölf Verleihfirmen. Die Roller werden aber nicht an festen Stationen per Smartphone-App zu entleihen sein, vielmehr werden sie überall im Stadtgebiet abgestellt werden. Mancher im Münchner Rathaus sorgt sich bereits, dass da ein Wildwuchs entstehen könnte - mal ganz abgesehen davon, dass auch viele Privatleute sich künftig einen E-Tretroller zulegen und damit über die ohnehin gerade im Sommer oft überfüllten Radwege flitzen dürften.

Weder die Vermietfirmen noch private Rollerbesitzer können aber schon loslegen. Denn am 17. Mai entscheidet zunächst einmal der Bundesrat über die von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vorgelegte Verordnung von "Elektrokleinstfahrzeugen" (so heißen die Dinger nämlich im Behördenjargon). Geht es nach Scheuer, dann sollen die Gefährte maximal 20 Kilometer pro Stunde schnell sein und Radwege mitbenutzen dürfen. Sind keine Radwege vorhanden, sollen sie auf die Straße. Schaffen die Kleinstfahrzeuge bauartbedingt nicht mehr als zwölf Stundenkilometer, dürfen sie auch auf Gehwegen benutzt und schon von Zwölfjährigen gesteuert werden. Das sieht zumindest Scheuers Verordnungsentwurf vor, eine Helmpflicht für die Scooter übrigens nicht.

Doch insbesondere die geplante Benutzung von Gehwegen stößt bei einigen auf teils heftige Ablehnung. Unfallforscher wie Christoph Lauterwasser vom Allianz-Zentrum für Technik (AZT) erwarten "definitiv einen Anstieg der Unfallzahlen". Er spricht sich dezidiert dagegen aus, die E-Tretroller bereits Zwölfjährigen zu erlauben und Gehsteige für die Tempo-gedrosselten Versionen freizugeben. "Wir plädieren dafür, dass der Gehweg ein Gehweg bleibt und den Fußgängern vorbehalten", sagt Lauterwasser. Ähnlich sehen das einige Länderverkehrsminister wie beispielsweise die Saarländerin Anke Rehlinger (SPD) oder ihre Berliner Amtskollegin Regine Günther (parteilos). "Bürgersteige sind Schutzräume für Fußgängerinnen und Fußgänger", hatte Günther vor Kurzem erklärt, insbesondere für Kinder, Ältere und in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen. Diese Gruppen müssten sich dort frei und ungefährdet bewegen können. In dieser Woche hatte zudem der Verkehrsausschuss des Bundesrats mehrheitlich die Benutzung von Gehwegen durch Rollerfahrer abgelehnt.

Auch kommunale Spitzenverbände sprachen sich zuletzt gegen eine generelle Freigabe von Gehsteigen und Fußgängerzonen für die kleinen Tretroller aus; dies müsse den kommunalen Verkehrsbehörden im Einzelfall überlassen bleiben. Der Radfahrerverband ADFC warnte vor "chaotischen Zuständen auf der ohnehin schon überlasteten Fahrrad-Infrastruktur" und forderte ein bundesweites Investitionsprogramm für breitere Radwege. Gut möglich also, dass sich bis zur Sitzung des Bundesrat-Plenums am 17. Mai doch noch einiges an Scheuers Verordnungsentwurf ändern könnte. Manch einer in der Verleiherbranche befürchtet sogar, dass das ganze Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschoben werden könnte.

Unterdessen sind auch viele andere Fragen noch offen - etwa die, ob und zu welchen Konditionen Nutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln die Tretroller in Busen und Bahnen mitführen dürfen. Aktuell tüftelt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) nach Auskunft eines Sprechers noch an einer gemeinsamen Empfehlung für die Branche. "Vor allem versicherungsrechtliche Fragen und damit verbunden die Fragen der Haftung sind noch nicht abschließend geklärt", erläutert der Verband.

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Quelle:
SZ vom 04.05.2019
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