Durchstich am Gotthard-Basistunnel:Grüezi Gotthard!

Die Schweizer feiern ihren Gotthard-Basistunnel und fühlen sich doch von Europa verraten: Kein EU-Minister kommt zur Feier, und weil Italien seine Zusagen nicht hält, ist der verkehrstechnische Nutzen gering - ganz im Gegensatz zu den Kosten.

T. Kirchner

Wenn die Schweizer an diesem Freitag das Ereignis des Jahres zelebrieren, das für die Infrastruktur des ganzen Kontinents von Bedeutung ist, bleiben sie unter sich. Die Verkehrsminister der EU-Länder haben es nicht vermocht, ihr Treffen in Luxemburg zu verschieben. Sie werden zwar live zugeschaltet, wenn die Bohrmaschine die letzten Brocken in der Oströhre des Gotthard-Basistunnels wegfrisst, und EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat das "bemerkenswerte Projekt" auch fleißig gelobt. Trotzdem sind die Schweizer ein bisschen beleidigt über die europäische Ignoranz. "Ein absoluter Skandal", schimpft der Parlamentarier Ulrich Giezendanner, "wir bauen für Europa, und keiner kommt hin."

To match feature SWISS/TUNNELS

Gruppenbild mit Bohrer: Schweizer Ingeneure und Techniker vor ihrer Bergbau-Maschine namens "Gaby". Freitagmittag soll es soweit sein - dann kommt der Durchbruch.

(Foto: REUTERS)

So freuen sie sich eben alleine über den Durchstich in dem mit 57 Kilometern längsten Tunnel der Welt. 200 Honoratioren, Tunnelbauer, Journalisten und Politiker, mit dem scheidenden Verkehrsminister Moritz Leuenberger an der Spitze, sausen mit dem Aufzug von Sedrun aus knapp 800 Meter in die Tiefe, um mit der Grubenbahn in Richtung Faido bis zur Ortsbrust vorzustoßen, dem noch zu durchbohrenden Stück, das dann vor ihren Augen zerbröseln wird.

Begleitet wird der historische Moment von einer Licht- und Klanginszenierung des Regisseurs Volker Hesse. Das Schweizer Fernsehen berichtet sieben Stunden am Stück, es hat den Berg schon längst durchpiekst - für die Leitungskabel. Alle werden es schön warm haben. An der Feierstelle, über der sich 2000 Meter Fels türmen, herrschen 28 Grad, und das ist schon gekühlt, eigentlich wären es 45.

Wie weit wird die Abweichung sein? 14 Millimeter?

Eine Weile mussten die Ingenieure bangen, ob sie zum geplanten Datum überhaupt fertig würden. Sie werden es. So wie sie alle anderen technischen Herausforderungen dieses Mammut-Projekts gemeistert haben, das durch härtestes Gestein und diverse Störzonen führt: all die Stellen, wo sich der Bohrer plötzlich im weichen Gestein festfraß, wo Wasserfontänen aus dem Berg schossen, wo die ausgebohrte Röhre unter dem Druck des Gebirges wieder zusammenstürzte. Am schlimmsten, dachten alle, werde es im breiigen Dolomit der Piora-Mulde, die meisten Probleme bereitete aber die Nothaltestelle Faido, die sogar verschoben werden musste.

Spannend ist für die Fachleute jetzt nur noch, mit welcher Abweichung die Tunnelbohrmaschine durch den Fels bricht. Wieder nur ein Fingerbreit, 14 Millimeter, wie beim Durchschlag zwischen den Teilabschnitten Erstfeld und Amsteg vor einem Jahr? Erlaubt wären 25 Zentimeter seitlich, 12,5 in der Höhe, sonst müssten die Vermesser büßen.

1880, beim Durchstich im ersten Gotthard-Eisenbahntunnel, betrug die Abweichung lediglich 33 Zentimeter, und das gelang ohne Satellitentechnik. Der neue Rekordtunnel ist ein Meisterstück Schweizer Ingenieurskunst, zweifellos. Und doch scheint es, als solle der Jubel auch ein wenig die Klagen über die völlig aus dem Ruder gelaufenen Kosten des Projekts übertönen.

Die Schweizer: Bahn- und bergverrückt

Der Gotthard-Tunnel ist ja nur ein Teil der Neuen Eisenbahn-Transversale (Neat), zu der auch der 2007 fertiggestellte Basistunnel durch den Lötschberg sowie die Röhre durch den Ceneri vor Lugano gehören. Am Ende soll die Schweiz dafür 24 Milliarden Franken bezahlen. Wegen geologischer Schwierigkeiten und juristischen Streitereien ist das doppelt so viel wie geplant. Das ist der Preis für einen komplizierten politischen Handel, den das Land, das damals in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) strebte, in den neunziger Jahren mit der EU schloss.

Die Schweiz erklärte sich bereit, durch den Tunnelbau ein Nadelöhr beim schnellen Transit von Nord nach Süd zu beseitigen, gleichzeitig gestattete sie, dass bis zu 40 Tonnen schwere Lastwagen durch ihr Land rollen. Im Gegenzug beteiligte die EU sich über eine Schwerverkehrsabgabe, die ihre Fuhrunternehmer zahlen müssen, an den Neat-Kosten. Den EWR-Beitritt lehnte das Volk dann allerdings ab.

Schon damals war allen klar, dass sich die auf eine Betriebsdauer von 100 Jahren angelegte Neat finanziell niemals rentieren würde. Die Verkehrseinnahmen können die Kosten für Bau und Unterhalt der Strecken nicht decken. Laut den letzten verfügbaren Prognosen wird die Neat bis 2070 einen Verlust von zehn bis 24 Milliarden Franken einfahren.

Die Höhe des Defizits hängt davon ab, ob es wie geplant gelingt, noch mehr Gütertransporte von der Straße weg zu holen. 62 Prozent der Waren rollen inzwischen auf Schienen durch das Land, im europäischen Durchschnitt sind es 17 Prozent, in Italien gar nur 9,4. Bis 2019 will die Schweiz die Zahl der alpenquerenden Lkw-Fahrten von derzeit 1,2 Millionen jährlich auf 650.000 senken.

Dass dies gelingt, bezweifeln viele. Eine von der Alpeninitiative in Auftrag gegebene Studie sagt voraus, dass die Neat den Schienenanteil nur minimal steigern wird, weil die Bahn trotz der Tunnel bei der Geschwindigkeit nicht wirklich konkurrenzfähig sei. Auch nach der für 2017 geplanten Eröffnung des Gotthard-Tunnels bleiben Engpässe. Durch die Röhre rauschen die Güterzüge mit 160 Stundenkilometern, danach müssen sie gleich wieder bremsen. Und in Italien fehlen Wille und Geld, um das Hochgeschwindigkeitsnetz zu vervollständigen.

Das sind Aussichten, die die Schweizer verdrängen. Sie wollten diese Tunnel, das haben sie in zwei Referenden bekräftigt. Bahn- und bergverrückt, wie sie sind, haben sie sich auch ein bisschen verliebt in diese gigantischen Bauten.

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