Ducati:Kunstwerk und Ökofrevel

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Café-Racer: Die Ducati 750 Sport war in den frühen Siebzigerjahren eine Rennmaschine für die Straße. (Foto: N/A)

Kaum eine Motorradmarke besitzt diese Mischung aus Dynamik, Anmut und Pracht. Ducati ist Passion. Dereinst wie heute. Doch das ist zugleich ihr Manko: Zum Ausreizen bleibt eigentlich nur die Rennstrecke.

Von Jochen Wagner

"Un attimo, einen Augenblick!" Massimo Bordi bittet um Geduld. Es ist Juli, neunzehnhundertnochwas. Bologna glüht, wir glühen mit. Wir sind im unscheinbarsten Winkel des Werks, im Allerheiligsten vom Ducati Corse Racing. Inmitten rot betuchter Rennorgeln und vielleicht 50 Motoren unter roten Mützchen zeigt uns Ingenere Bordi, seinerzeit Chefkonstrukteur und Presidente der Ducati Meccanica im Bologneser Stadtteil Borgo Panigale, eine handgeschnitzte Studie.

Mit der Novesedici hatte Designer Massimo Tamburini 1994 (später Schöpfer der MV Agusta 750/1000 F4) in den Motorradmarkt einen Blitz sausen lassen: 916 Kubik, einzigartige Insektenmaske, 107 PS, 195 Kilo, Gitterrohrrahmen, Einarmschwinge, Underseat-Doppelrohrauspuff, 17-Zoll-Alu-Gussräder, Racing-Pneus und -Bremsen, fürs Äußere Schnellverschlüsse, Einspritzer und Computer-Steuergerät. Die Journaille fieberte: Power, Speed, Grip, Drive, Design, Sound - was sollte sie zuerst loben?

Was die 750 Sport vor etwa 40 Jahren war, ist die 1199 Panigale S in der modernen Ducati-Ära. (Foto: picture alliance / dpa)

Zum Ausreizen bleibt nur die Rennstrecke

Ein paar Jahre später nun sagt Bordi: "Ja, die 916 SPS war eine Bombe." Eine Diva schon im Stand: ein bildschönes, rotes, mit Tricolore-Italia-Streifen verziertes, zartes Motorrad. Doch die "EssePiEsse" ging wie die Hölle. Als stärkste Evolutionsstufe der 916 streute sie zwischen 135 und 139 PS und 105 bis 108 Nm an die Kupplung. Das waren nominell für den Spurt von null auf 100 gute drei, auf 200 km/h gute acht Sekunden. Und echte 281 km/h.

Heute, gut 20 Jahre später, sorgt das Chip-Tuning dafür, dass die zarten Keime ökologischer Achtsamkeit im ersten Gashahnschrei mit einem brachialen Antritt zerstieben. Flow pur, die Lust brüllt: "Mehr, mehr!", und das alternativ geimpfte Über-Ich kapituliert. Fragt man einen Ducatista, worauf er abfährt, ob altmodischer Einzylinder mit 30 PS oder neuer Vierventiler Panigale 1299S mit 205 PS. Er wird sagen: "Eine Duc ist es!"

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Dynamik, Armut, Pracht, Technik

Ducati ist Passion. Einst wie heute. Früher sahen auch PS-stärkere Nippon-Bikes gegen diese stabilen wie agilen Fahrwerke kein Land. Auch heute, wo Aprilia RSV4 R, BMW S 1000 RR, Kawasaki ZX 10 R, MV Agusta F4 RC und Yamaha R1 mit über 200 PS konkurrieren, betört diese kaum beschreibbare Mischung: Dynamik, Anmut, Pracht, Technik, Design und so ein Schuss vom Partisanenhaften: Der Sound mag nicht mehr ganz legal und noch nicht wirklich illegal sein - eine Duc muss posaunen: popppoppopommmprooarrwroom.

Das ist zugleich ihr Manko: Zum Ausreizen bleibt eigentlich nur die Rennstrecke. Mit offenen Rohren wird man im zivilen Geläuf leicht zum Hasardeur. Ob Geschoss oder Preziose, 450er-Einzylinder oder 750er SS, TT oder 1098R, die Kürzel sind Insidern ein Morsealphabet. Man erwirbt damit schon ab Werk ein mobiles Kleinod oder die Basis zum Selberhandanlegen. Ein technischer Geniestreich von Fabio Taglioni ist das Kennzeichen von Ducati: die desmodromische Ventilsteuerung (griechisch: desmos dromos, was so viel wie erzwungene Bewegung bedeutet). Damit werden die Ventile nicht nur über einen Öffnungshebel geöffnet, sondern über einen weiteren Hebel zwangsweise geschlossen, ohne die sonst üblichen Ventilfedern. Auf diese Weise sind höchste Drehzahlen ohne Ventilflattern oder Federbrüche möglich. Allerdings ist die Einstellung des Ventilspiels eine diffizile Sache, die mehrere Stunden dauert. Die Liste der Triumphe auf der Rennstrecke ist Legion, allein 14 Titel in der Superbike-WM holte die Marke seit 1988.

Sie alle dokumentiert das neue Buch von Ian Falloon, "The Art of Ducati". Das erinnert an "The Art of the Motorcycle", die legendäre Motorrad-Ausstellung im Guggenheim Museum zu New York 1998, wo auch Ducatis 750SS Königswelle und die Desmoquattro 916 als Jahrhundertkunstwerke prunkten. Mit einem Vorwort von Pierre Terblanche, in den 2000ern Designchef von Ducati, lockt der Band nun mit exzellenten Fotos von James Mann. Eingebunden vom Konterfei der Tricolore-Panigale, zeigen sie die mehr als 60-jährige Geschichte von Ducati in fünf Kapiteln.

Anfangs produzierte die von Adriano, Bruno und Marcello Ducati gegründete Firma ab Mitte der 1920er-Jahre optische Geräte und Rundfunkteile. Ein erster Verkaufsschlager war 1946 das motorisierte Fahrrad "Cucciolo" (Hündchen) mit einem PS aus 48 Kubik. Richtig los ging es 1954 unter Fabio Taglioni. Der Ingegnere schickte gleich eine 98er-Gran-Sport-Marianna in den Moto Giro d'Italia. Bald sind es 125, 175, 250, 350 bis 450 Kubik. 1970 dann die 750 GT, eine einzigartige Harmonie von Motor und Design. Als Paul Smart 1972 die 200 Meilen von Imola gewinnt, wird die 750SS zum Traumbike.

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Die Qual verspannter Körper

Nicht anders Mike Hailwoods Triumph 1978 auf der berüchtigten TT Isle of Man: Seine 95 PS starke 900 Kubik NCR Ducati steht Pate für die heute gesuchte 900SS und Hailwood-Replica. Indes werkelten Taglionis Eleven Massimo Bordi, Gianluigi Mengoli und Franco Farnè an revolutionären Motoren. Wieder kreiert ein Sieg ein Kultbike für die Straße: Marco Lucchinelli gewinnt 1986 die 200 Meilen von Daytona und die "TT" kommt als 750 F1 - weltweit zeigen Eigenbauten, was Ducati eigentlich bringen müsste: eine moderne Zweiventiler-Replika. Indes gießen Taglionis Erben ein neues Motorgehäuse, spindeln Zylinder auf 838, 851 und schließlich 888 Kubik. Ihr moderner Vierventiler mit Zahnriemen dominiert die Superbike-WM und ist der Rohling, aus dem die Juwelen geschliffen werden. Und die werden immer stärker: Aus 107 wurden über 180 PS und zahllose Rennerfolge. Zugleich stieg das kleine Werk 2003 in die MotoGP ein.

Ducati Motorräder, das waren einst filigrane Mopeds, heute sind es bereifte PCs. Kunstwerke oder Ökofrevel? Hier schwächelt das auf die Rennmaschinen fokussierte Buch. Nicht alle Biker wollen auf Stummellenkern ihre Lust durch die Qual verspannter Körper bezeugen. Noch mehr PS sind langweilig. Nicht ohne werksinterne Kontroversen hat Ducati seine Modellpalette daher längst erweitert. Wie die 1968er-Einzylinder-Scrambler erfreut sich deren aktuelles Zweizylinder- Remake großer Resonanz. Gefällig sind in den 1980ern und 1990ern auch die 900SS/1000SS - Sportler allesamt. Der Verkaufsrenner seit 1993 aber ist die Monster, ein Naked Bike. Dazu kommen auch die 1000er-Sportducatis, luftgekühlte Youngtimer. Außerdem gibt es wilde Streetfighter und für das Harley-Feeling die Diavel, mit doppelt soviel Wumms wie der US-Mythos. Hypermotard und Multistrada runden das Spektrum ab - gerade lief die einmillionste Ducati vom Band.

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The Art of Ducati - von der Cucciolo zur Panigale, von einem zu 205 PS, vom Dell'Orto-Vergaser zum Einspritzer, vom Unterbrecherzünder zum PC-Chip-Tuning, vom offenen Rohr zum gedämpften Kat, von luft- zu wassergekühlt, vom Gitterrohr zum Monocoque, vom Starrrahmen zur elektrosensorischen Dämpferschwinge, von Fahrradreifen zu 200er-Walzen, von Trommelbremsen zu Monobloc-Carbons - und vor allem: von zehn km/h auf mehr als 300 Sachen.

Mit Motorrädern Raum und Zeit knacken, aus dem betreuten Dasein einen Tanz aus Kurven und Schräglagen machen, das ist auch Lebenskunst. Weil aber die Natur knapper und die Räume enger werden, muss auch die Kunst des Motorrads ökologisch wie sozial nachhaltig werden. Der Mythos steht in der Pflicht.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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