Süddeutsche Zeitung

Drohende Fahrverbote:Wenn ein fast neues Auto zum Auslaufmodell wird

  • Von 2018 an drohen Innenstadt-Fahrverbote für Dieselautos, die nicht die Abgasnorm Euro 6 erfüllen.
  • Dabei kann es sich auch um Fahrzeuge handeln, die erst vor zwei Jahren neu zugelassen wurden.
  • Diese Modelle könnten enorm an Wert verlieren - und ihre Besitzer dadurch viel Geld kosten.

Von Peter Fahrenholz

Deutschland ist Dieselland. Daran hat auch der VW-Skandal wenig geändert. 2016 waren laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) 45,9 Prozent aller neu zugelassenen Pkw Dieselfahrzeuge. Doch manchmal braucht es mehr als eine Erschütterung, um Gewohnheiten zu verändern. Beim Dieselmotor ist das jetzt der Fall, und die Auswirkungen auf die Automobilbranche könnten gewaltig sein.

Der Diesel gilt als eine der Hauptquellen für den Ausstoß des gesundheitschädlichen Stickstoffdioxids (NO₂), seit Jahren ist klar, das vor allem in städtischen Ballungsräumen die EU-Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide zum Teil deutlich überschritten werden. Die Politik hat darauf bisher nicht reagiert, jetzt zwingen Gerichte Kommunen zum Handeln.

Handeln heißt, möglicherweise schon vom nächsten Jahr an: Fahrverbote für ältere Diesel-Pkw, die nicht der Euro-6-Norm entsprechen, die nur noch einen Ausstoß von 80 Milligramm NO₂ pro Kilometer erlaubt. Vorher waren es 180 Milligramm. Älter heißt aber nicht alt: Darunter fallen auch Fahrzeuge, die erst vor zwei Jahren neu zugelassen wurden. Betroffen sind damit nach Schätzungen des Verbands der Automobilindustrie aktuell etwa 80 Prozent des Dieselbestandes. Sollte es zu Fahrverboten kommen, droht damit Millionen Dieselfahrern eine Entwertung ihrer Autos, denn eine technische Nachrüstung ist nicht möglich.

Die Autoindustrie ist alarmiert. Die Deutsche Automobil-Treuhand, die sich mit dem Gebrauchtwagenmarkt befasst, warnt zwar "ausdrücklich vor Panikmache". Es sei "nicht zwangsläufig", dass die Preise für gebrauchte Diesel "plötzlich massiv verfallen". Doch bei den Neuzulassungen gibt es auffällige Verschiebungen - womöglich Vorboten eines Bebens. So ist die Zahl der neu zugelassenen Dieselfahrzeuge 2016 gegenüber 2015 laut KBA-Statistik nur noch um 0,1 Prozent gestiegen, im gleichen Zeitraum betrug der Zuwachs bei Benzinern 8,4 Prozent. Und im Februar brach der Absatz von neuen Dieselfahrzeugen sogar um 10,5 Prozent ein.

Setzt sich dieser Trend fort, steht die Autoindustrie vor ernsten Problemen. Denn die Hersteller sind zwischen zwei gleichrangigen ökologischen Zielmarken eingeklemmt, für die immer strengere EU-Grenzwerte gelten: auf der einen Seite die Stickoxide und der Feinstaub, auf der anderen Seite das Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂). Auch hier gilt von 2021 an ein strengerer Grenzwert: Statt 120 Gramm CO₂ pro Kilometer darf der "Flottenverbrauch" nur noch 95 Gramm betragen.

Bei schärferen Grenzwerten hilft der beste Diesel nicht

Dieses Ziel lässt sich aber nur mit einem starken Anteil an Dieselmotoren erreichen, denn der Diesel verbraucht im Durchschnitt deutlich weniger Treibstoff als die Benziner und stößt damit weit weniger CO₂ aus. Vor allem, wenn der Boom bei den SUVs anhält, wäre es für die Hersteller ein Debakel, wenn die Käufer den Diesel verschmähen. Denn die schweren Pseudo-Geländewagen verbrauchen viel Benzin und verderben die CO₂-Bilanz.

Wenn aber die Grenzwerte weiter verschärft werden, hilft auch der beste Diesel nicht. "Der Anteil von E-Autos muss deshalb in den nächsten Jahren deutlich steigen", fordert Håkan Samuelsson. Der Volvo-Chef schätzt, dass der Diesel wegen seiner teuren Abgasnachbehandlung schon in zwei, drei Jahren so teuer sein wird wie ein Plug-in-Hybrid, also die Kombination eines Verbrennungsmotors mit einem aufladbaren Elektromotor.

Tatsächlich würden Plug-in-Hybride und E-Autos die Schadstoffprobleme lösen, wenn sie Käufer finden. Das lenkt den Blick auf einen Fehler der Politik: Der Aufbau eines leistungsfähigen Ladenetzes wurde verschlafen. Schon jetzt ließe sich der städtische Kurzstreckenverkehr weitgehend elektrisch abwickeln - wenn es genug Ladestationen gäbe. Über Fahrverbote müsste man dann nicht nachdenken.

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SZ vom 04.03.2017/harl
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