Süddeutsche Zeitung

Technik:Das wohl leichteste Elektrorad der Welt

Lesezeit: 3 min

Von Janis Beenen

Auf der Steigung hoch zum Campus der TU Dortmund wünschen sich viele Radfahrer ein T-Shirt zum Wechseln. Da ist es erstaunlich, wie ruhig Dennis Freiburg in die Pedale tritt. Der Maschinenbauer ist trainiert, aber nicht der Typ Bergfloh. Sein Trumpf ist das mattschwarze Rennrad. Ein Elektroantrieb ist verbaut, dennoch ist es mit 6,9 Kilogramm extrem leicht. "So kann ein normaler Fahrer mit Top-Athleten mithalten", sagt Freiburg.

Das Rad des 36-Jährigen soll das weltweit leichteste E-Bike sein, mit 800 Gramm weniger als der bisherige Rekordhalter. Prüfer des Guinness-Buchs untersuchen, ob der Titel nach Westfalen wechselt. So oder so ist Freiburgs Fahrrad, das sich mit drei Fingern mühelos anheben lässt, eine Ansage. Bei voll ausgestatteten Trekking-Pedelecs liege das Gewicht normalerweise um 25 Kilogramm, sagt René Filippek, der für den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club den E-Bike-Markt beobachtet. Sportlichere Modelle kommen auf 15, E-Rennräder teils den 10 Kilogramm nahe.

Konstrukteur Freiburg wollte diese Marke unterbieten. Neben seiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bastelte er an Prototypen. Mit Erfolg: Mühsames Anfahren gibt es bei seinem E-Bike nicht, der Fahrer schießt aus der Startposition. Bei acht Stundenkilometern setzt der Motor ein. Ein Gewicht, das anzutreiben ist, ist kaum zu spüren. Bis 25 Stundenkilometer arbeitet die Unterstützung. Das ist die gesetzliche Grenze für Pedelecs. "Ab 25 Kilometer bin ich per Muskelkraft natürlich deutlich schneller unterwegs", sagt Freiburg.

Die Antriebsrolle lässt den Reifen verschleißen: Jede Saison wird ein neuer Mantel fällig

Der Rahmen ist aus Karbon gefertigt. Entscheidend, so Freiburg, sei aber der Antrieb. Der Motor ist unter dem Rahmen angebracht. Ursprünglich ist dieser Motorentyp in ferngesteuerten Modellhubschraubern verbaut. "Diese Motoren sind klein und extrem leistungsstark", sagt Freiburg. Bei seinem E-Bike überträgt der Motor mithilfe einer kleinen Rolle die Kraft auf den Mantel des Hinterrads. "So wird das Übersetzungsverhältnis von der kleinen Rolle auf das große Rad genutzt", sagt Freiburg.

Ein Nachteil ist der Reifenverschleiß, die Rolle verursacht Abrieb. Verhältnismäßig viel Gummi landet in der Umwelt. Er brauche pro Saison einen neuen Mantel, sagt Freiburg. Üblich sind daher andere Varianten: Mittelmotoren in der Nähe des Tretlagers treiben über die Kette das Hinterrad an. Beim Heckantrieb sitzt der Motor in der Nabe des Hinterrads. Doch ein Antrieb von der Mitte des Rads müsse größer sein, um das entsprechende Drehmoment aufzubringen, sagt Freiburg.

Um die 6,9 Kilogramm zu erreichen, musste er Kompromisse eingehen. Für 25 bis 40 Kilometer reicht die Kraft des Akkus, E-Bikes im Handel kommen wesentlich weiter. "Ich könnte einen zweiten Akku verbauen", sagt Freiburg. Dann werde es aber schwerer. Den Akku hat Freiburg in einer handelsüblichen, roten Trinkflasche an der Sattelstange verpackt - die Steuerungselektronik ebenfalls. So sind die Komponenten nah am Motor. Lange Kabel entlang des Rahmens vermeidet der Entwickler. Soll der Antrieb aktiviert werden, dreht Freiburg am Deckel der Flasche. Er ist der An- und Ausschalter.

Wenn der Fahrer den Akku ausschaltet oder dieser leer ist, koppelt die Motorrolle vom Reifen ab. Eine Erleichterung: Bei vielen E-Bikes ist der leere Akku für Fahrer eine kleine Katastrophe. Gerade bei älteren und günstigen Modellen ist der abgeschaltete Motor oft ein erheblicher Tretwiderstand, bei anderen erfordert das Gewicht der Technik viel Muskelkraft. "Wenn bei einem Rad mit 17 Kilo der Akku leer geht, ist das Mist", sagt Freiburg. Bei seinem Modell läuft es wie auf einem normalen Rennrad weiter. Selbst in dieser Klasse sind 6,9 Kilo wenig, der Radsport-Weltverband fordert bei Wettkämpfen mindestens 6,8 Kilo, damit die Stabilität erhalten bleibt.

Aus Sicht des Konsumenten ist es natürlich wünschenswert, dass gerade E-Bikes möglichst wenig wiegen, sagt David Eisenberger, der mit dem Zweirad-Industrie-Verband Hersteller wie Trek und KTM vertritt. Reichweite und Antriebsart des Dortmunder Modells halten die meisten Hersteller allerdings für wenig praktikabel. Hinzu kommt der Preis. "So ein geringes Gewicht ist nur mit recht hochpreisigen Komponenten zu realisieren", sagt Eisenberger. Tatsächlich hat Freiburgs Rad einen Wert von 18 000 Euro. Wild durch die Innenstadt brettern darf man damit nicht, der Karbonrahmen ist höchst empfindlich.

Knapp unter 10 Kilo hält Entwickler Freiburg für E-Sporträder auf dem Massenmarkt für möglich. Er möchte aber weitergehen: 100 Gramm bekomme er mit anderen Schrauben von seinem 6,9-Kilo-Rad vielleicht noch runter.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2019
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