Süddeutsche Zeitung

Doppeldecker aus dem Jahr 1936:Irischer Drache im Anflug auf Europa

Die De Havilland DH84 absolvierte den Erstflug der irischen Fluggesellschaft "Aer Lingus". Das Original wurde zerstört, aber eine baugleiche Maschine wurde in den letzten Jahrzehnten aufwendig restauriert. Im Herbst kommt sie nach Deutschland.

Andreas Spaeth

John O'Toole ist ein Pilot, der schon viel erlebt hat. Zuletzt war der stämmige Ire sogar als Flugkapitän einer Expedition wochenlang in der Antarktis unterwegs. Im Hauptberuf ist er ein ganz normaler "Luftkutscher" und sitzt bei der irischen Fluggesellschaft Aer Lingus im Cockpit eines Airbus A 320. Doch neuerdings widmet er sich so oft wie möglich seiner neuen Liebe, die in Wahrheit schon ganz alt ist: Einem historischen Doppeldecker namens Iolar, was auf Gälisch Adler heißt. Die De Havilland DH84 Dragon, so die offizielle Typenbezeichnung, wurde bereits 1936 gebaut. Am 27. Mai des gleichen Jahres fand darin der Erstflug der neu gegründeten Aer Lingus statt, voll besetzt mit sechs Passagieren und einem Piloten von Dublin nach Bristol in England.

Bereits 1941 wurde das Flugzeug bei den Scilly-Inseln ein Opfer des Zweiten Weltkriegs. Erst 1967 kümmerte sich Aer Lingus, mittlerweile als internationale Airline etabliert, darum, ihre eigene Geschichte wieder lebendig werden zu lassen. Man erwarb in England ein Schwesterflugzeug, ebenfalls Baujahr 1936, und restaurierte es in den Originalfarben. Später wurde die Iolar eingemottet und als Schaustück unter der Terminal-Decke am Flughafen Dublin aufgehängt.

Es bedurfte dann eines Wartungsexperten wie Johnny Malloy und einer Handvoll Freiwilliger, um den fragilen Doppeldecker mit seinen stoffbespannten Holzrippen wieder flugfähig werden zu lassen. Das war 1986, als die Airline ihr 50-jähriges Bestehen feierte. Doch Traditionsflugzeuge sind teuer im Unterhalt und Aer Lingus ging es zwischenzeitlich nicht besonders, also wurde die Iolar Ende 2004 wieder in eine hintere Ecke des großen Hangars in Dublin verbannt. Bis im Dezember 2009 ein Deutscher auf den Plan trat: Der neue Aer-Lingus-Chef und Ex-Lufthansa-Manager Christoph Müller. Er war sofort begeistert davon, der Gesellschaft zum bevorstehenden 75. Geburtstag 2011 wieder zu ihrem historischen Schaustück zu verhelfen. Müller kennt schließlich die Geschichte des Kranich-Traditionsfliegers, der "Tante" Ju-52, die auch von 1936 stammt. Genau wie die ersten Exemplare der legendären DC-3 - beides damals sehr fortschrittliche Flugzeuge, vollständig aus Metall und wesentlich größer als die fragile Dragon. Die erinnerte zur gleichen Zeit eher noch an die primitiven Flugapparate der Brüder Wright. Aber das spielte in Irland keine Rolle: "Als Aer Lingus gegründet wurde, bestand die irische Republik erst seit 14 Jahren. Und dann gab es mit diesem Flugzeug die Möglichkeit, die Insel in kurzer Zeit zu verlassen. Das hatte damals schon große Symbolkraft", sagt Müller.

Alle fünf Jahre ist es Zeit für eine Generaluntersuchung

Wartungsveteran Malloy, treibende Kraft hinter den mehrmaligen Restaurierungen der Dragon, ist stolz auf sein Werk: "Ich bin ziemlich optimistisch, dass die hundert Jahre alt wird, aber wir müssen ihre Flugfähigkeit alle fünf Jahre einer kritischen Prüfung unterziehen." Insgesamt sei das Flugzeug beinahe genau im Originalzustand von 1936, nur mit wenigen Extras im Dienste der Sicherheit, etwa den Sitzgurten. "Das ist vermutlich eines der am originalgetreuesten erhaltenen Flugzeuge, die überhaupt noch fliegen", freut sich Malloy. Auch die beiden Gypsy-Major-Motoren, je 130 PS stark samt ihrer in die Motorgondeln integrierten Tanks, sind vor zwölf Jahren generalüberholt worden und seitdem nur rund 300 Stunden geflogen.

In diesem Spätsommer macht sich die Iolar erstmals auf den Weg zum europäischen Kontinent. Und sie besucht auch Deutschland. Anfang September soll sie in Essen-Mülheim, Hannover und Hamburg Rundflüge machen (Auskunft unter Tel. 069-770673033), bevor sie auf der ILA in Berlin täglich im Flugprogramm zu sehen sein wird. "Wenn das Wetter mitspielt", warnt Pilot John O'Toole vorsorglich, denn die Dragon ist wegen ihrer leichten Bauweise und ihrem Leergewicht von gerade mal 1,8 Tonnen sehr anfällig für Seitenwind. "Wir landen am besten mit dem Wind und auf Graspisten, das ist wesentlich einfacher bei Flugzeugen mit Spornrad", erklärt O'Toole. Besonders schnell ist die Dragon mit maximal 210 km/h auch nicht, üblicherweise dauern einzelne Flugsegmente nicht länger als anderthalb Stunden, dreieinhalb bis vier Stunden nonstop sind maximal möglich. John Malloy hat mit einem Trick noch mal acht km/h mehr herausgeholt: "Die Dragon hat Flügel, die man falten kann. Ich habe einfach die Klappkanten mit Klebeband abgedeckt und so diese aerodynamische Verbesserung erreicht", freut sich der Veteran.

O'Toole dagegen liebt das Fluggefühl im ungewöhnlichen Cockpit der Dragon. In der spitz zulaufenden Rumpfnase arbeitet der Pilot vorn ganz allein und genießt einen grandiosen Ausblick. "Auf längeren Flügen sitzt in der ersten Reihe der Kabine ein anderer Pilot und assistiert", sagt O'Toole. Die Passagiere dahinter haben es auf ihren Sesseln aus Stahlrohr, mit Leder bespannt, auch recht nostalgisch. Und niemals eilig.

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SZ vom 27.08.2012/goro/pauk
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