Süddeutsche Zeitung

Diskussion um E10:Weg mit dem Biosprit

Die Verbraucher haben E10 noch nie gemocht. Jetzt fordert auch Entwicklungsminister Niebel einen Verkaufsstopp für den umstrittenen Agrartreibstoff. Die Industrie macht er sich damit zwar nicht zum Freund - dafür aber Umweltschützer und Hilfsorganisationen.

Daniela Kuhr

Es kommt nicht allzu häufig vor, dass Umweltschützer einen Vorschlag aus der FDP begrüßen. Doch Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel hat es geschafft: Seine Forderung nach einem sofortigen Verkaufsstopp für den umstrittenen Biosprit E10 stößt sowohl beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) als auch bei Greenpeace auf Zustimmung.

"Wir haben E10 schon immer kritisch gesehen", sagt BUND-Sprecher Rüdiger Rosenthal. "Die darin enthaltene erhöhte Beimischung von Bioethanol ist nicht nur klimapolitisch fragwürdig, sondern verschärft auch die Konkurrenz zwischen Tank und Teller." Auch Martin Hofstetter, Agrarexperte bei Greenpeace, hält Niebels Vorschlag für sinnvoll. "Ökologisch bringt uns die Biosprit-Erzeugung überhaupt nichts", sagt der Fachmann. "Sie hat im Gegenteil eher noch zu einer Intensivierung der Landwirtschaft beigetragen und damit zu einer weiteren Belastung der Böden und des Klimas."

Dabei war die Idee, die hinter der Einführung von E10 steckte, zunächst gar nicht so abwegig. Seit 2009 müssen Mineralölkonzerne im Jahresdurchschnitt einen bestimmten Prozentsatz von Biokraftstoffen vertreiben, also von Kraftstoffen, die auf pflanzlicher Basis hergestellt wurden. Die Quote lag zunächst bei 5,25 Prozent und dann bei 6,25 Prozent. Davon versprach sich die damalige schwarz-rote Bundesregierung gleich zwei Vorteile: Zum einen sollte der größere pflanzliche Anteil helfen, die CO2-Bilanz des Verkehrssektors zu verbessern. Die EU hatte schließlich das Ziel vorgegeben, dass bis 2020 zehn Prozent des gesamten Kraftstoffverbrauchs aus erneuerbaren Energien kommen müssen. Zum anderen erhoffte man sich, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern - und damit die Abhängigkeit von Öl exportierenden Ländern.

Verbraucher bleiben unwillig

Die Einführung von E5, das fünf Prozent Ethanol enthielt, verlief noch ganz gut. Als Anfang 2011 jedoch das neue E10 mit doppelt so viel Ethanol an die Tankstellen kam, streikten die Verbraucher. Meldungen darüber, dass E10 angeblich Benzinleitungen beschädige, hatten sie verunsichert. Inzwischen steht zwar fest, dass mehr als 90 Prozent der Autos, die herkömmliches Superbenzin tanken, auch E10 vertragen. Doch die Verbraucher bleiben unwillig. Wohl auch, weil die Klimabilanz von Agrotreibstoffen mittlerweile sehr umstritten ist. Vor allem aber, weil angesichts von 925 Millionen hungernder Menschen in der Welt eine breite Debatte darüber eingesetzt hat, ob man Lebensmittel tatsächlich in Tanks verheizen darf.

Anfang der Woche wies auch FDP-Minister Niebel darauf hin, dass der Konflikt zwischen Tank und Teller aufgelöst werden müsse. Angesichts der Dürren in aller Welt führe die starre Beimischungsquote zu steigenden Agrarpreisen und Lebensmittel-Knappheiten. "Deshalb sollte man E10 jetzt aussetzen", forderte Niebel. Der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie bestritt dagegen den Zusammenhang zwischen Biosprit und Hunger und verwies darauf, dass im vergangenen Jahr nur vier Prozent der deutschen Getreideernte in die Spritherstellung geflossen seien.

Zusammenhang zwischen Biosprit und Hunger

Doch Greenpeace-Fachmann Hofstetter warnt davor, das Problem allein aus deutscher Sicht zu beurteilen. "Wir müssen schon jetzt die Hälfte unseres Bedarfs an Bioethanol importieren. Welche Folgen das für die Herkunftsländer hat, überblicken wir doch gar nicht." Vor allem bereitet ihm Sorge, dass die weltweiten Getreidevorräte kontinuierlich sinken. "Befanden sich 2010 noch 175 Millionen Tonnen Getreide in den Lagern, sind es momentan nur noch 105 Millionen." Wenn man sich gleichzeitig vor Augen halte, dass jährlich weltweit 150 Millionen Tonnen Getreide zu Bioethanol verarbeitet werden, könne man "den Zusammenhang zwischen Biosprit und Hunger kaum ernsthaft bestreiten".

Francisco Mari, Agrarexperte beim Evangelischen Entwicklungsdienst, sieht das ähnlich. "Die Idee, den Verkauf von E10 zu stoppen, ist richtig." Dadurch werde der Druck auf die Agrarpreise reduziert. Zugleich wies Mari aber darauf hin, dass Niebel weitaus wirksamere Möglichkeiten hätte, Entwicklungsländern zu helfen. Statt dort weiterhin Projekte zu fördern, die auf eine industrielle Landwirtschaft setzen, "wäre es besser, er nähme Geld in die Hand, um kleinbäuerliche Betriebe zu fördern". Denn eine industrielle Produktionsweise, bei der die Bauern jedes Jahr aufs Neue Kunstdünger und Saatgut kaufen müssen, schaffe nur neue Abhängigkeiten. "Weil die wenigsten Geld haben, müssen sie Kredite aufnehmen, um Dünger und Saatgut zu kaufen", sagt Mari. "Fällt dann aber die Ernte beispielsweise wegen einer Dürre schlecht aus, beginnt eine Schuldenspirale."

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SZ vom 17.08.2012/mike
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